Dokumentarfilm | Deutschland 2007 | 92 Minuten

Regie: Volker Koepp

Beeindruckender Dokumentarfilm über das Leben im ehemaligen Ostpreußen, der seine Geschichte ganz aus dem Blickwinkel von Kindern erzählt, die scheinbar ohne Eltern und sonstige erwachsene Bezugspersonen auf heruntergekommenen Höfen und in Dörfern aufwachsen, von ihren Sorgen und Nöten berichten, aber auch immer wieder von ihren Plänen, Wünschen, Hoffnungen und Spielen. Der poetische Film bettet seine Beobachtungen und Erzählungen in den Kreislauf der Natur ein und zeigt eine idyllische Landschaft, die im Kontrast, aber auch im Einklang mit den Geschichten der Kinder steht. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Vineta Film/RBB/MDR
Regie
Volker Koepp
Buch
Volker Koepp · Barbara Frankenstein
Kamera
Thomas Plenert
Musik
Rainer Böhm · Katharina Thomas
Schnitt
Beatrice Babin
Länge
92 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
Salzgeber (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Früher Sommer im ehemaligen Ostpreußen, in der russischen Exklave Kaliningrad: Kinder spielen in den Ruinen zerfallener Bauernhäuser, ein leichter Wind streicht über die Bäume. Die Holunderblüten leuchten weiß-gelb. Holunder wächst überall, auch auf den Trümmern, am Rand der Schuttberge. Der zähe Strauch ist ein Zeichen der Hoffnung und steht auch für Überlebenskraft, versinnbildlicht die unbändige Energie der Kinder, die die zerfallenen Gehöfte beleben. Volker Koepp beginnt seine Reise mit wenigen Sätzen aus Hans Christian Andersens Märchen „Mutter Holunder“. Der Holunderbusch steht aber auch für Geborgenheit, den heimischen Kräutertee, das Reich der Märchen und der Fantasie. Koepp führt in ein eigentümlich faszinierendes Zwischenland, in idyllische, mit Grün überwucherte Dörfer, Ruinen, in denen die deutsche Vorgeschichte und die sowjetische Geschichte immer noch präsent sind. „Holunderblüte“ zeigt eine ehemals feudal strukturierte Landschaft, die dann kollektiviert wurde; ein Land mit einer verlorenen Geschichte, das langsam zwischen Altem und Neuem, zwischen Volksfest und Moderne seine Identität neu definiert. Im Zentrum stehen die Kinder einer abwesenden Elterngeneration in den entvölkerten Dörfern. Die Felder liegen brach, die Dörfer sind verödet, die traditionelle Familie existiert nur noch in Rudimenten; denn oft lassen die Eltern ihre Kinder zurück, um in den weiter entfernten Städten Arbeit zu finden. Die Kinder scheinen ohne Eltern groß zu werden. Es ist ein Szenarium, das an einen Science-Fiction-Film erinnert, an eine Landschaft nach der Katastrophe, die aber geografisch zwischen Tilsit und Königsberg verortet ist. Volker Koepp lässt die Kinder von ihrem Leben erzählen, von der Verantwortung für sich und die kleineren Geschwister, über den Alkoholismus der Eltern und die Gewalt der Erwachsenen. Aber die Kinder sind heiter, verspielt, dem Leben zugewandt, witzig, lebenslustig, erzählen auch von der Liebe, von Zukunftsplänen und Kinderspielen. Ihre Geschichten und Gedanken stehen im Kontrast, aber auch in eigentümlicher Harmonie mit der idyllischen Landschaft, zwischen Wiese, Wasser, rauschenden Weiden und zerfallendem Backstein; eine Landschaft, deren raue Romantik und trügerische Schönheit Kameramann Thomas Plenert in brillanten Einstellungen eingefangen hat. Volker Koepp begleitet die Kinder während eines ganzen Jahres: im Wechsel der Jahreszeiten mit ihren unterschiedlichen Vegetationen, dem verschiedenartigen Licht. Dies ist der natürliche Rahmen für die Spiele, Sorgen und Probleme der Kinder, aus deren Perspektive sich die Geschichten entfalten. So ist „Holunderblüte“ viel mehr als ein Dokumentarfilm über den Wandel einer Region, der Film ist ein poetischer Reigen der Lebenserfahrungen der Kinder im steten Spannungsfeld mit der Natur. Koepp beobachtet und dokumentiert das ehemalige Ostpreußen seit 20 Jahren. Für den Regisseur ist die Gegend um Kaliningrad gezeichnet durch ein fehlendes Heimatgefühl, den allgegenwärtigen Alkoholmissbrauch und die Landflucht. Aber bei alldem ist „Holunderblüte“ auch ein beeindruckend hoffnungsvoller Film über eine Landschaft, die scheinbar ihre eigene Geschichte überlebt hat und in der eine junge Generation in eine ungewisse, aber neue Zukunft hineinwächst.
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