Für den unbekannten Hund
- | Deutschland 2006 | 107 Minuten
Regie: Dominik Reding
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2006
- Produktionsfirma
- Eye-Warning-Fimprod.
- Regie
- Dominik Reding · Benjamin Reding
- Buch
- Dominik Reding · Benjamin Reding
- Kamera
- Axel Henschel
- Musik
- Tom Ammermann
- Schnitt
- Heike Ebner
- Darsteller
- Lukas Steltner (Bastian) · Sascha Reimann (Festus) · Zarah Löwenthal (Leila) · Gunnar Melchers (Schmiege) · Josef Heynert (Maik)
- Länge
- 107 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Der Titel verweist auf die Inschrift auf einem Grabstein: Hier haben die Steinmetz-Wandergesellen Festus, Schmiege und Leila einen toten Hund beerdigt und seinen Ruheort mit einem liebevollen Denkmal markiert. In der Erzählgegenwart des Films ist diese Zeremonie, die die zünftigen Drifter dem tierischen Streuner bereiten, für Festus eine glückliche Erinnerung – mittlerweile ist sein Freund Schmiege spurlos verschwunden, und die geliebte Leila hat dem Wandergesellen-Leben den Rücken gekehrt und einen neuen Partner. Quälende Erinnerung ist auch ein schrecklicher Mord, der die Handlung des Films antreibt: Bastian, ein 20-Jähriger aus Wismar, hat einen Mann getötet, mit einem Schnitt durch die Kehle. Der Stadtstreicher ist ihm und einem Kumpel in die Quere gekommen, als sie des Nachts frustriert vor einem geschlossenen Tankstellen-Shop herumhingen. Weder das Feuer, mit dem Bastian die Spuren der Tat verwischt, noch die Haftstrafe, die er wegen eines anderen Delikts verbüßt, können den Mord aus seinem Gedächtnis löschen. Als er durch einen Zeugen erpresst wird, will er fliehen – und landet bei einer Gruppe, die ihm eine solche Flucht zu ermöglichen scheint: bei den Wandergesellen, zu denen auch Festus gehört und die, den Regeln ihrer Zunft folgend, in der traditionellen Kleidung auf der Walz sind und mal hier, mal dort Arbeit annehmen.
Wie in ihrem furiosen Debüt „Oi! Warning“ (fd 34 491) erzählen die Zwillingsbrüder Dominik und Benjamin Reding auch hier eine Geschichte von Gewalt und ihren Konsequenzen, vom Fluch und Reiz von Lebensmodellen jenseits der bürgerlichen Gesellschaft, von Fluchtbewegungen und der Last der Schuld, vor der es kein Entkommen gibt. Auch „Für den unbekannten Hund“ ist radikales, hinreißend kraftmeierisches Kino: Da entsteht in eindrücklichen Raumfantasien ein Deutschland, wie man es im Kino kaum einmal sieht – irgendwo zwischen sorgfältig kadrierter, betonharter, postindustrieller Hölle und schwarzromantischer Wildheit. Da klingt die Sprache, verfremdet durch den Code der Wanderburschen, plötzlich nach Dichtung; da kollidieren akustisch Rock und Barock und visuell Feuer und Wasser, Licht und Dunkel, Primärfarben und Grau, während Charaktere aufeinanderprallen, die fern von der Lethargie, der Lähmung und des Überdrusses, der sonst so gern im deutschen Kinofilm beschworen wird, von persönlichen Dämonen gejagt werden.
Ein wunderbares schauspielerisches Gegensatz-Gespann sind Sascha Reimann alias Ferris MC als Festus und Lukas Steltner als Bastian: der eine überbordend vor Energie, der andere verhaltener, linkischer – und doch beide ähnlich vibrierend vor innerem Druck. Langsam und zögerlich entwickelt sich während der wechselvollen Reise eine Freundschaft zwischen den ungleichen jungen Männern, doch ihre jeweilige Vergangenheit, die sich auf tragisch-fatale Weise berührt, bricht mittels der Montage immer wieder in die Gegenwart ein.
Der Film setzt thematisch da an, wo „Oi! Warning“ aufhörte: Stand dort am Ende das Schuldigwerden der Hauptfigur in einem verzweifelten Racheakt und blieb die Hoffnung auf eine zweite Chance nur vage im Off ausgesprochen, stellt „Für den unbekannten Hund“ eben diese zweite Chance ins Zentrum, wenn Bastians Walz widerwillig, aber unvermeidlich zur Buß-Pilgerreise wird, während er Festus auf der Spurensuche nach dessen Vergangenheit begleitet. Wie „Oi! Warning“ ist der Film in seiner Grundstruktur ein ins Extreme gesteigerter Bildungsroman, in dem ein Charakter sich in der Reibung an äußeren Einflüssen und Begegnungen formt; die unruhigen, leidenschaftlichen, die bürgerliche Existenz fliehenden Helden der frühen Romantik und die Rebellen des Sturm und Drang scheinen Pate gestanden zu haben für die Hauptfiguren.
Nichtsdestotrotz ist der Film bei aller Stilisierung sehr nah an unserer Lebenswirklichkeit, und das nicht nur, weil die Einblicke in subkulturelle Lebensstile hier einmal mehr von gründlicher Recherche zeugen. Ebenso eindrucksvoll wie das „exotische“ Milieu der Wanderburschen vermitteln sich die Langeweile und Perspektivlosigkeit in den sozialen Randgebieten Deutschlands, die zeitlose, paradoxe jugendliche Sehnsucht nach Gemeinschaft und Orientierung einerseits und Freiheit und Ausbruch andererseits, zeigen sich Ausgrenzungs- und Selbstbehauptungsmechanismen, von denen schockhafte Gewaltexzesse nur die Spitze des Eisbergs sind. Die Gebrüder Reding entwickeln daraus sinnliches, ebenso schmerz- wie lustvolles Kino, das Herz und Verstand gleichermaßen berührt.