Der Dokumentarfilm geht der komplexen Frage nach, was eigentlich einen Staat ausmacht. Dafür werden keine Staatsrechtler befragt, vielmehr stellt die Regisseurin eine Reihe staatsähnlicher (Kleinst-)Gebilde vor, wobei der Bogen vom Absurden zum Selbstverständlichen geschlagen und die Absurdität des Selbstverständlichen entlarvt wird. Eine formal zwar eher konventionelle, aber inhaltlich umso reizvollere Abschlussarbeit.
- Ab 14.
Gelée Royale - Der Staat bin ich
Dokumentarfilm | Deutschland 2004 | 63 Minuten
Regie: Antje Knapp
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- KHM (Kunsthochschule für Medien Köln)
- Regie
- Antje Knapp
- Buch
- Antje Knapp
- Kamera
- Steph Ketelhut · Elke Schweikhardt
- Schnitt
- Fabienne Westhoff
- Länge
- 63 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
Diskussion
Staaten gehören zu jenen Phänomenen des Lebens, von denen man alltäglich hört, liest und über die man ganz selbstverständlich spricht, ohne darüber nachzudenken, was sich eigentlich dahinter verbirgt. Regisseurin Antje Knapp hat sich für ihre Abschlussarbeit an der Kunsthochschule für Medien in Köln einmal diese Gedanken gemacht. Die unausgesprochene Leitfrage, die ihrem Dokumentarfilm „Gelée Royale – Der Staat bin ich“ zugrunde liegt, ist die ebenso naive wie hochkomplexe Frage, was denn eigentlich einen Staat ausmacht. Auf der Suche nach einer Antwort hat Knapp Philosophen und Staatsrechtler gemieden und stattdessen Menschen gefunden, die sich auf ganz handfeste und zum Teil äußerst originelle Weise mit dem Thema auseinandersetzen. Sie gründen ihre eigenen Mini- und Fantasiestaaten, verwirklichen reale soziale Gegenentwürfe oder bewachen die Grenzen Deutschlands.
Statt eines tiefgründigen Essays wählt die Regisseurin in ihrem Kinodebüt damit einen spielerischen, reportageartigen Zugang. Faszinierend sind die Klein- und Kleinstreiche, die „Gelée Royale “ vorstellt. Das „Ausland-Miland“ des bildenden Künstlers Jörn Stahlschmidt ist ein äußerst flexibles Staatsgebilde. Es misst gerade mal einen halben Quadratmeter und besteht aus einem grün angestrichenen Holzbrett, das sich zusammenklappen und handlich in der Aktentasche transportieren lässt. Nicht viel größer fallen die „Königreiche Dyonien und Pelarien“ aus, an denen Spielzeugmacher Gerhard Bätz und Bühnenbildner Manfred Kledorf schon seit 50 Jahren im heimischen Wohnzimmer basteln – und zwar im Maßstab 1:50. Real bewohnbar ist hingegen die Betonplattform vor der britischen Küste, die Roy Bates in den 1960er-Jahren besetzt und anschließend zum unabhängigen Staat „Sealand“ erklärt hat: mit eigener Hymne, Flagge, Verfassung und sogar einem Gefängnis. Hier vermengen sich Fantasterei und soziale Wirklichkeit zu einem bizarren Konstrukt. Denn nur eine komplizierte staatenrechtliche Regelung erlaubt es Bates bis heute, die „Sealand“-Flagge auf dem einstigen britischen Militärstützpunkt wehen zu lassen.
Doch was, so die Filmfrage, ist ein Staat letztlich anderes als ein imaginäres Produkt? Das, was die durchaus ernstgemeinte „koptisch-pharaonische Exilregierung“, mit der Falez Nagib in einer Frankfurter Bürowohnung gegen die Unterdrückung der katholischen Minderheit der Kopten in Ägypten protestiert, beispielsweise vom dänischen Freistaat „Christiania“ vor allem unterscheidet, ist wohl, dass Nagib einen einsamen, don-quichottesken Kampf ausficht, während die Bewohner von „Christiania“ ihren herrscherlosen Alternativstaat kollektiv imaginieren. Eine handvoll Regeln gelten in diesem von der Regierung tolerierten sozialen „Experiment“ im Zentrum Kopenhagens. Dass dort jeder dennoch eine ganz eigene Vorstellung von „seinem“ Freistaat hat, ist kein Widerspruch. Schließlich ist das in einem international anerkannten Staat wie der Bundesrepublik Deutschland kaum anders. Wo genau die Grenze zwischen Deutschland und Belgien verläuft, vermag auch ein deutscher Zollbeamter nicht zu definieren. Denn: ist die Grenze nun handbreit, fingerbreit? „Wahrscheinlich ist es nur eine schmale Linie“ – wenn überhaupt. Raffiniert schlägt Knapp in ihrer Dokumentation den Bogen vom Absurden zum Selbstverständlichen und entlarvt damit die Absurdität des Selbstverständlichen. Das ist auf äußerst kurzweilige Weise höchst philosophisch. Die Regisseurin macht kaum etwas falsch; ihr Film gelingt und fasziniert. Sie macht aber vielleicht ein bisschen zuviel richtig. Filmformal gestaltet sie ihre Dokumentation konventionell, geradlinig, fernsehgerecht. Im Rahmen des von der „Gesellschafter“-Initiative initiierten Wanderfestivals „Utopien, Träume, Weltentwürfe“ wird der Film zwar im Kino ausgewertet, dennoch ist er sichtlich nicht fürs Kino gemacht.
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