Die Geschichte ist auf den ersten Blick schlicht und schon ganz und gar in seinem barocken Titel enthalten. „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“ beschreibt mit historischer Akkuratesse fast dokumentarisch die letzten Monate des bereits zu Lebzeiten zum Mythos gewordenen Outlaws Jesse James und den einigermaßen gut belegten, von Legenden umrankten Vorgang seiner Erschießung durch Robert Ford 1882. Ford gehörte zum erweiterten Kreis der James-Bande und ließ sich vom Gouverneur Missouris und dem ausgesetzten Kopfgeld zum Verrat überreden. In heutigen Begriffen war er ein Killer im Regierungsauftrag. Jesse James wurde ermordet, weil er lebend den Politikern zu gefährlich war und sich die Behörden an ihm für jahrzehntelange Demütigungen rächen wollten.
Die Essenz des Films aber liegt ganz woanders. Andrew Dominik geht weit über die Nacherzählung des Historischen hinaus: Verführerisch inszenierte Meditation über den Western, die versucht, dieses uramerikanische Genre auf der Höhe der Gegenwart zu interpretieren, eine Reflexion der Gewaltverhältnisse Amerikas, des Gangstertums und der in beidem wurzelnden Mythologien, sowie des Zusammenhangs von Männlichkeit und Furcht, Wahnsinn und Brutalität, ist dies vor allem eine lyrische Betrachtung von Star-Ruhm und Glamour, der „celebrity culture“, die unsere Gegenwart längst nicht mehr nur in den USA prägt. In über 30 US-Filmen ist Jesse James die Hauptfigur; Stars wie Tyrone Power, Robert Duvall, Kris Kristofferson, Audie Murphy, Lee Van Cleef, Robert Wagner und Colin Ferrell verkörperten den Outlaw, Regisseure wie Fritz Lang, Henry King, Nicholas Ray, Walter Hill und Samuel Fuller suchten eine eigene Perspektive und zeigten James meistens irgendwie als Opfer, als guten Menschen auf Abwegen. Ganz ist dieses idyllische Bild auch bei Dominik nicht verschwunden, doch stellt er den Mythos vom Kopf auf die Füße, enthüllt seine brutale, mörderische Seite und rückt den Volkshelden aus dem Zentrum. Held ist nicht Jesse James, sondern Robert Ford. Seine Psychologie wird in Form von inneren Monologen entfaltet. Dominik zeigt in Ford das Verlangen eines Groupies nach Ruhm, zeigt, wie sich die Faszination für den Star mit Geltungssucht paart. Demnach ist die Geschichte von Jesse James und Robert Ford eigentlich die enttäuschter (nicht notwendig homosexueller) Liebe und unbewusster Demütigung. Eine prototypische Geschichte von Star und Fan, an deren Ende der Fan den geliebten Star tötet, der ihn nicht so, wie gewünscht, wieder lieben will. Eine Bluttat aus Ressentiment. Sie machte Jesse James endgültig zum prototypischen Outlaw-Helden. Lobende Nachrufe wurden geschrieben, der tote Körper wurde auf Eis gelagert, man bot für ihn 50.000 Dollar. Fotos des aufgebahrten Toten verkauften sich tausendfach. Die in diesem Zusammenhang interessantesten Fakten betreffen die Folgen des Mordes: Robert Ford wurde durch den Mord tatsächlich zum Star, der seine Tat 800-mal auf der Bühne nachspielte – und darüber verzweifelte. Zehn Jahre später wurde auch er ermordet: ohne Nachrufe, Fotos und Nachruhm.
Brad Pitt spielt Jesse James als müde und paranoid gewordenen Rock-Star des Verbrechens, einen brutalen Mörder, der von seinem Ruhm verfolgt wird, mit der Begeisterung seiner Fans nichts anfangen kann und todessehnsüchtig sein Ende herausfordert – ähnlich wie Jim Jarmuschs stilistisch ganz anders geartetes Western-Pastiche „Dead Man“
(fd 31 716) zeigt der Film in James eine Figur, die eigentlich schon von Beginn an tot ist. Aber wie Ford ist es auch sein Darsteller Casey Affleck, der den Star in den Schatten stellt: Grandios spielt Affleck mit hell weinerlicher Stimme und unsicheren Körperbewegungen den schwer durchschaubaren spätpubertären Charakter, der James mal naiv und zutraulich, mal hinterhältig und immer obsessiv – wie ein Stalker – auf den Fersen klebt. Stilistisch ist der Film von der brillanten Kameraarbeit geprägt. Roger Deakins nähert sich der Bildsprache früher Fotografien an: Die Bilder sind in der Mitte scharf, verschwimmen aber leicht zu den Rändern hin. Die von Braun und Grautönen, von mattem Weiß und tiefem Schwarz und indirektem Licht dominierte Farbpalette des überwiegend im Winter spielenden Films ähnelt zwischendurch immer wieder Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Die Bewegungen der Kamera sind langsam, ihr Blick zeigt weite Himmel, bleibt an dessen Wolkenspielen hängen oder fängt das Gras ein, die Bäume, stumme Gesichter. Gesprochen wird nur das Nötigste. So entsteht ein schöner Zen-Western, ein ambitioniertes, bildgewaltiges Werk, beherrscht von einer kontemplativen Atmosphäre, die in den besten Momenten an Terrence Malick erinnert. Im Mittelteil zwar etwas langatmig, bleibt der Film bis zum Ende faszinierend, zumal sich die Dramaturgie ständig steigert. Ein Drama der Entschleunigung, noch mehr aber der Desillusionierung, das der Print-the-legend-Moral der Mediengesellschaft Widerstand entgegensetzen will.