Beeindruckendes Porträt der 95-jährigen deutschen Lyrikerin Hilde Domin, das sich weitgehend an der Chronologie ihres bewegten Lebens orientiert und abwechslungsreiche Gespräche mit der humorvollen Dichterin ins Zentrum stellt. Dabei spiegelt der Film zugleich die wachsende Freundschaft zwischen der Regisseurin und ihrer Protagonistin, wodurch er in einigen Momenten zwangsläufig seine kritische Distanz aufgibt.
- Ab 14 möglich.
Ich will dich - Begegnungen mit Hilde Domin
Dokumentarfilm | Deutschland 2007 | 99 Minuten
Regie: Anna Ditges
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2007
- Produktionsfirma
- punktfilm Anna Ditges/WDR/SWR/3sat/rbb
- Regie
- Anna Ditges
- Buch
- Anna Ditges · Hilde Domin
- Kamera
- Anna Ditges
- Musik
- Andreas Schäfer
- Schnitt
- Anna Ditges
- Länge
- 99 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14 möglich.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Anna Ditges, Jahrgang 1978, stieß nach eigenem Bekunden vor einigen Jahren zufällig auf einen Gedichtband der Autorin und war tief beeindruckt; so beeindruckt, dass sie Kontakt zur „Grande Dame“ der Dichtung aufnahm und gleich bei ihrem ersten Besuch bei der 95-jährigen Hilde Domin in Heidelberg die Kamera im Gepäck hatte. Kaum vorstellbar, dass es wirklich so war, doch bilden die Sequenzen des ersten Besuchs – ob inszeniert oder echt – das Intro zu einem bemerkenswerten Porträt der Lyrikerin, das zugleich Dokument einer ungewöhnlichen Freundschaft ist; denn nach anfänglichen Förmlichkeiten entwickelt sich zwischen Hilde Domin und der Filmemacherin eine überaus innige Beziehung. Schon bald ist man per Du, und hinsichtlich der Gesprächsthemen scheint es kaum ein Tabu zu geben. So entwickeln sich in der weitläufigen Wohnung mit Tausenden von Büchern intime Gespräche über das bewegte Leben der Dichterin. Diese folgen vornehmlich der Chronologie ihrer Vita, von der Kindheit in Köln über das 22 Jahre währende Exil bis zu ihren Jahrzehnten in der Wahlheimat Heidelberg. Zwischendurch lässt sich die Filmemacherin von ihrer Gastgeberin das Ordnungssystem ihrer umfangreichen Bibliothek erklären oder begleitet sie auf Spaziergängen oder dem Gang zum Friseur. Während einer gemeinsamen Reise nach Köln suchen sie Hilde Domins Geburtshaus auf und schlendern am Rhein entlang. Doch das Salz in der Suppe des Films, der fast ohne Off-Kommentar auskommt, sind die Gespräche mit der hellwachen, humorvollen Dichterin. Ob sie nun erzählt, wie einst unter einer Trockenhaube ihr Haar in Brand geriet, weil sie von einer Tucholsky-Lektüre gefesselt war, oder Fragen nach ihrer Kunst („Wie entsteht ein Gedicht?“) erfrischend unpathetisch beantwortet („Du nimmst ‘nen Stift und schreibst es auf.“), fast immer sind ihre Statements von einnehmender Schlagfertigkeit und fernab jeder Geschwätzigkeit. Das gilt selbst für Sequenzen, in denen die Regisseurin sie nach höchst intimen Dingen fragt. So will sie wissen, ob Domins verstorbener Mann Erwin „ein guter Liebhaber“ gewesen sei. Worauf sie von Hilde Domin zu hören bekommt: „Kann ich nicht beurteilen. Ich hatte keinen anderen.“ Nachdem sie von einer Abtreibung während der Flucht vor den Nazis berichtet hat und Anna Ditges fragt: „War das schwer für dich?“, kommt es so barsch wie zutreffend: „Was für ‘ne doofe Frage!“. Logisch, dass sich der Film durch die zunehmenden Vertraulichkeiten zwischen der Regisseurin und der Dichterin im Lauf der zweijährigen Dreharbeiten, die bis zu Domins Tod im Februar 2006 andauerten, nicht eben durch kritische Distanz zum Gegenstand seines Interesses auszeichnet. Dabei ist es gerade die Intimität, die das Porträt sehenswert macht. Problematisch erscheint indes der Umstand, dass die Regisseurin ihrer Protagonistin, ihrem (fraglos faszinierenden) Gesicht oft sehr nahe kommt, obwohl diese sich das mehrfach verbittet. Wenn sie Hilde Domin sogar im Schlaf filmt, bleibt zu hoffen, dass die stets um Haltung bemühte, große Dame der Literatur zu dieser Intimität ihr Einverständnis gegeben hat.
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