Der Dokumentarfilm rekonstruiert das Schicksal von fünf Gemälden des Malers Gustav Klimt, die nach dem Anschluss ans Reich (1938) dem österreichischen Staat anheim fielen und nach dem Krieg als "Beutekunst" einbehalten wurden. Erst nach einem jahrzehntelangen Rechtsstreit wurden die Kunstwerke, auch unter dem Druck der Öffentlichkeit, den rechtmäßigen Erben übergeben. An einem exponierten Sonderfall thematisiert der Film eine gängige Praxis staatlicher Kunstsammlungen und Museen, verdichtet sich zugleich aber zu einem Sittenbild der österreichischen Gesellschaft seit dem Anschluss ans Dritte Reich und gewinnt damit an (kultur-)politischer Brisanz. (O.m.d.U.)
- Ab 14 möglich.
Stealing Klimt
Dokumentarfilm | Großbritannien 2006 | 90 Minuten
Regie: Jane Chablani
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Filmdaten
- Originaltitel
- STEALING KLIMT
- Produktionsland
- Großbritannien
- Produktionsjahr
- 2006
- Produktionsfirma
- Films of Record
- Regie
- Jane Chablani
- Buch
- Martin Smith
- Kamera
- Bernhard Hoefer · Ulli Bonnekamp · Simon Fanthorpe
- Musik
- Chris Elliott
- Schnitt
- Shelagh Brady · Paul Dosaj
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14 möglich.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Das Publikum der großen europäischen Museen schlendert nicht selten an ganzen Galerien geraubter Kunstschätze entlang. Über Jahrhunderte hinweg wurde die Ausplünderung einzelner Volksgruppen, feindlicher Reiche oder fremder Kulturen mit verblüffender Selbstverständlichkeit betrieben, und es ist noch gar nicht so lange her, dass der ehemalige französische Kulturminister André Malraux im Weltkulturerbe Angkor Wat mit der Spitzhacke in der Hand auf frischer Tat ertappt wurde. Trotz eindeutiger Beweislage ist die Rückgabe geraubter Kunstgüter weiterhin die Ausnahme, weshalb es einer Sensation gleichkam, als fünf Gemälde von Gustav Klimt nach langem Streit an die Erben der rechtmäßigen Besitzer zurückgingen. Auf reichlich dubiose Weise hatte sich der österreichische Staat die während der Nazi-Zeit in seinen Besitz übergegangenen Werke zu Eigen gemacht und sich bis zuletzt gegen die Herausgabe der nationalen Heiligtümer gesträubt. Das ihr eingeräumte Rückkaufsrecht ließ die österreichische Regierung gleichwohl ungenutzt, sodass die Werke am freien Markt versteigert wurden. Klimts Meisterstück unter den restituierten Bildern, die „Goldene Adele“, erzielte prompt den höchsten Preis, der je für ein einzelnes Kunstwerk gezahlt wurde.
Die Geschichte hinter diesem weltweit beachteten Ereignis erzählen Jane Chablani und Martin Smith in ihrem Dokumentarfilm. Sie beginnt mit dem Leben der von Klimt gleich zweimal porträtierten Adele Bloch-Bauer und lässt sich zu gleichen Teilen als Familienchronik und als Lehrstück über ein Kapitel österreichischer Vergangenheitsbewältigung lesen. In ihrem letzten Willen hatte die 1925 verstorbene Kunstliebhaberin ihren Ehemann gebeten, die im Familienbesitz befindlichen Klimt-Werke nach seinem Tod der Österreichischen Galerie zu schenken. Ferdinand Bloch-Bauer, der eine Dekade später von den Nazis weitgehend enteignet wurde, setzte sich in seinem Testament über diesen Wunsch hinweg und vermachte die Gemälde seinen nach Amerika geflohenen Nichten und Neffen. Bereits drei Jahre nach Kriegsende forderte eine von ihnen, Maria Altmann, den Besitz ihres Onkels zurück, allerdings wurde ihr Anspruch mit Hinweis auf das angeblich rechtsgültige Vermächtnis Adele Bloch-Bauers zurückgewiesen. Zwar durften die Angehörigen einen Teil des Familienbesitzes ausführen, doch nur unter der Bedingung, die fünf Klimt-Gemälde dem österreichischen Staat zu überlassen. Dieser erpresserische Kuhhandel wurde über 50 Jahre später erfolgreich angefochten, wobei wohl vor allem der Österreich drohende Ansehensverlust den Ausschlag gab.
Chablani und Smith räumen den Berichten Maria Altmanns den größten Raum ein und ergänzen die Erinnerungen der mittlerweile hochbetagten Erbin durch die Aussagen von Rechtsanwälten, Kunsthistorikern und Journalisten. Für die österreichische Seite wollte dabei niemand Partei ergreifen, stattdessen entwickelt sich dieser veritable Justizkrimi dank der erhellenden Montage verschiedener Expertenstimmen immer mehr zum Sittenbild der österreichischen Gesellschaft seit dem Anschluss ans Dritte Reich. Die Autoren arbeiten nicht ohne Süffisanz an einer Kontinuität, die vom antisemitischen Eifer der Bevölkerung über die nationale Lebenslüge, die ersten Opfer der deutschen Kriegslüsternheit gewesen zu sein, bis zum chauvinistischen Pochen auf den eigenen Kulturschatz führt. Jahrzehntelang hielt der Alpenstaat hunderte mutmaßlich geraubte Güter in geheimen Kammern vor der Öffentlichkeit versteckt, im Fall der fünf Klimt-Gemälde war sich ein Museumsdirektor nicht dafür zu schade, seinen Kollegen vorzuwerfen, während der Nazi-Zeit keine klaren Verhältnisse geschaffen zu haben. Ausgerechnet zu diesem entlarvenden Zitat bleibt der Film eine Quellenangabe schuldig. An manchen Stellen hätte man sich etwas größere Faktensicherheit gewünscht, an anderen eine etwas weniger am Fernsehformat geschulte Inszenierung; insgesamt aber überzeugt „Stealing Klimt“ als Annäherung an eine juristische Skandalgeschichte, die den Kunstmarkt in Aufruhr versetzte und den österreichischen Gleichmut in Bezug auf die historischen Verfehlungen ins Wanken brachte. Wäre der Hintergrund nicht gar so ernst, könnte man es für eine Nestroysche Komödie halten. Über die kulturpolitische Bedeutung dieses Falls wird sicher noch zu reden sein, und das nicht nur in Wiener Kreisen.
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