Eine Filmstudentin will eine Dokumentation über das abgeschiedene baskische Dorf Obaba drehen. Bei ihren Recherchen vor Ort stößt sie auf unheimliche Geschichten und gerät in ein Netz aus Liebe, Hass und Geheimnissen, das sie nicht zu durchdringen vermag und das sie immer mehr an den zeitverlorenen Ort bindet. Ein Film zum in Spanien aktuellen Trend der filmischen "memoria", der Aufarbeitung gesellschaftlicher Verkrustungen der Franco-Diktatur; zugleich die Adaption eines baskischen Bestellers, das den einsetzenden Dialog mit dem Baskenland signalisiert. Trotz beachtlicher Schauspielerleistungen krankt der Film an der manieriert-prätentiösen Inszenierung sowie an mangelnder atmosphärischer und dramaturgischer Dichte.
- Ab 16.
Obaba
- | Spanien/Deutschland 2005 | 107 Minuten
Regie: Montxo Armendáriz
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Filmdaten
- Originaltitel
- OBABA
- Produktionsland
- Spanien/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2005
- Produktionsfirma
- Oria Films/Neue Impuls Film/Pandora Film
- Regie
- Montxo Armendáriz
- Buch
- Montxo Armendáriz
- Kamera
- Javier Aguirresarobe
- Musik
- Xavier Capellas
- Schnitt
- Rosario Sáinz de Rozas
- Darsteller
- Pilar López de Ayala (Maestra) · Juan Diego Botto (Miguel) · Bárbara Lennie (Lourdes) · Peter Lohmeyer (Ingenieur) · Mercedes Sampietro (Mutter von Miguel)
- Länge
- 107 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Eine junge Frau filmt sich selbst mit einer kleinen Videokamera: „Ich hatte ein ganz normales Leben, früher, wir tranken Bier mit anderen Studenten und unterhielten uns über Nebensächliches“, sagt sie. „Bis alles begann.“ Dann fährt sie mit dem Auto durch den dunklen Wald. Schmale Kurven führen in die Nacht. Ein älterer Mann hat am Straßenrand geparkt. Auf seinem Arm krabbelt eine große grüne Eidechse. „Wie weit ist es noch nach Obaba?“, fragt die junge Frau. „Noch 87 Kurven“, lautet die seltsame Antwort.
Lourdes Santis, eine 23-jährige Filmstudentin, soll als Seminararbeit ein seltsames Dorf in den Pyrenäen dokumentieren: in einer Landschaft, in der die Erinnerung ausgelöscht ist, irreal und gleichzeitig gegenwärtig, in der Lourdes sich staunend bewegt wie „Alice im Wunderland“. Sie erfährt seltsame Dorfgeschichten von Ismael, dem mysteriösen Hotelbesitzer, und von dem tauben Tomás, dem Ismaels Eidechsen angeblich das Hirn angefressen haben sollen, wie seine verbitterte Schwester Merche immer wieder erzählt. Über ein altes Grundschulfoto rekonstruiert Lourdes die Vergangenheit des Dorfs, stößt auf Tabus, auf Gefahren wie die Eidechsen, die den Dorfbewohnern zufolge nachts in die Ohren der Schlafenden kriechen, um ihre Gehirne zu verspeisen. Sie trifft auf eine Kette von enttäuschten Gefühlen, Hass, Neid und Liebe, aber den eigentlichen Grund der seltsamen Stimmung im Dorf findet sie nicht. Auch ihre eigene Liebesgeschichte mit dem jungen Miguel hilft ihr nicht weiter.
Der Film zeigt die Geschichten, die Lourdes bei ihren Recherchen findet, in unterschiedlichen Episoden: von der unglücklich verliebten jungen Dorfschullehrerin, vom Verbrecher Lucas, der als Kind seine ältere Schwester in den Fluss stieß und Jahre später, von ihrer Stimme verfolgt, in der Stadt einen Raubüberfall verübt, von der Einsamkeit des deutschen Bergbauingenieurs jüdischer Herkunft, der 1965 immer noch im Exil lebt. Bei seiner Uraufführung auf dem Festival in San Sebastián 2005 stand der Film im Trend einer neuen, sozialdemokratischen Erinnerungspolitik: „La memoria“, die Erinnerung – eine Vergangenheitsbewältigung, die politisch nur noch wenig polarisieren, sondern emotionale Verkrustungen auflösen sollte. Andererseits steht „Obaba“ auch im Zusammenhang mit einer konkreten Versöhnungspolitik im Baskenland: Ein spanischer Film, der auf einem baskischen Kultroman basiert und von einem Regisseur aus Navarra inszeniert wurde, ist ein kulturelles Signal auch für den jetzt einsetzenden Dialog zwischen sozialistischer Regierung in Madrid und baskischen Nationalisten über das Ende des Terrorismus und das zukünftige Statut des Baskenlandes.
Montxo Armendáriz ist einer der am politisch engagiertesten Regisseure des spanischen Films. Dabei wirkt er mitunter wie ein Spätgeborener einer älteren Generation. Wie bereits vor Jahren sein Film „Secretos del Corazon“ („Geheimnisse des Herzens“) steht auch „Obaba“ nach dem Bestseller „Obabakoak oder Das Gänsespiel“ des baskischen Schriftstellers Bernardo Atxaga ganz im Geist des „nuevo cine español“, des neuen spanischen Films der 1960er- und 1970er-Jahre: jener verschlüsselten, oft im ländlichen Raum angesiedelten Filme von Carlos Saura, Manuel Gutiérrez Aragón, Basilio Martín Patino und Victor Erice, die noch zu Lebzeiten Francos oder kurz danach entstanden und in denen sich tiefenpsychologisch der Geist der Diktatur, jener versteinerten spanischen Gesellschaft der letzten Jahre des Franco-Regimes, wie in einem bösen, traurigen Märchen widerspiegelt. Aber hier liegt auch die Schwierigkeit des Films: die Episoden wirken kryptisch, verschlüsselt, ohne dass wirklich ein Geheimnis, eine Spannung aufgebaut würde. Die einzelnen Geschichten plätschern mitunter prätentiös vor sich hin, und so versandet Montxo Armendáriz’ choral angelegtes Projekt über den Umgang mit der Vergangenheit in dörflicher Beredsamkeit, und was vielleicht noch vor 30 Jahren ein Hinweis auf die unausgesprochenen Altlasten der Diktatur hätte sein können, wirkt heute ästhetisch manieriert, unentschlossen unkonkret, ohne dabei atmosphärische Dichte zu erlangen – und das trotz wunderbarer schauspielerischer Einzelleistungen wie von Peter Lohmeyer als vereinsamter deutscher Freidenker oder Héctor Colomé als zwielichtiger Hotelbesitzer und Eidechsenzüchter.
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