Nicht zuletzt der Anschlag vom 11. September 2001 hat Fragen über Migration, Integration, „Leitkultur“ und kulturelle Identitäten entschieden auf die politische und soziale Agenda gesetzt. 2003 erschien der Roman „The Namesake“ („Der Namensvetter“) von Jhumpa Lahiri, die als Tochter bengalischer Eltern in London geboren wurde und mittlerweile in den USA lebt. „The Namesake“ erzählt die Geschichte von Ashoke Ganguli, seiner Frau Ashima und ihrem gemeinsamen Sohn Gogol. Als der Physiker Ashoke einem Ruf ans MIT (Massachusetts Institute of Technology) nach Cambridge folgt, heiratet er zuvor nach bengalischem Ritual Ashima. Es ist eine arrangierte Ehe. In Boston bekommt das Ehepaar einen Sohn, den Ashoke, ein großer Verehrer der russischen Literatur, spontan, scheinbar aus einer Not heraus, den Namen Gogol gibt.
Drei Menschen, zwei Generationen, zwei Kulturen – diese Thematik hat Mira Nair („Monsoon Wedding“, fd 35 355) bei ihrer Verfilmung gereizt, die auf Kontraste und Entgegensetzungen setzt, ansonsten aber über weite Strecken „werkgetreu“ ist. Alle Figuren sind Grenzgänger zwischen den Kulturen, dabei in je spezifischer Ausprägung, die ihr Verhältnis zur Herkunftskultur bestimmt. Der berufstätige Ashoke nutzt die traditionell strukturierte Privatsphäre als Refugium zur kulturellen Rückversicherung; Ashima dagegen muss in einem langwierigen, mitunter schmerzhaften Prozess lernen, sich zur fremden Kultur, in der sie lebt, in Beziehung zu setzen. Beiden gemeinsam ist die Bedeutung, die sie der Pflege ihrer Wurzeln beimessen. Ganz anders sieht dies bei Gogol aus, der auf seine Umgebung dank seiner dunklen Haut- und Haarfarbe einen exotischen Reiz ausübt, ansonsten aber als US-Amerikaner sozialisiert wird – und fast schon zwangsläufig in kleinen und großen Gesten beginnt, sich von seinen Wurzeln zu emanzipieren. Die identitätskonstituierenden Erzählungen von den bengalischen Traditionen, für die Eltern ein Überlebensmittel, beginnen Gogol so zu nerven, dass er seinen Namen ablegt und seinen zweiten Vornamen Nikhil aufnimmt, der, als er ein aufstrebender Architekt wird, zu „Nick“ wird. Der Film folgt ihm bei seiner Integration, die in Sachen Lifestyle immer etwas zu perfekt, fast streberhaft verläuft. Nick ist attraktiv, erfolgreich, hat Affären mit Frauen, die ihrerseits wieder divergierende kulturelle Traditionen aktualisieren; Maxine aus alteingesessenem Ostküsten-Adel, Moushumi als kosmopolitische Bohemien mit bengalischen Wurzeln.
„The Namesake“ entwickelt sich mitunter etwas schematisch zur ideologisch-kulturellen Choreografie einer Immigrationskultur mit divergierenden Mischungsverhältnissen, die Figuren zu Haltungen verkürzt. Nair setzt dabei ostentativ auf die prozessuale Auflösung bzw. Verwischung von Widersprüchen. Entwickelt sich die Beziehung zwischen Ashoke und Ashima im Lauf des gemeinsamen Lebens von der arrangierten Beziehung zu einer von tiefem Verständnis geprägten Liebe, gerade weil das Paar in der Fremde lebt, scheitert die Ehe von Nick und Moushumi vielleicht gerade daran, dass das Paar, abgesehen von der Herkunft, wenig gemeinsam hat. Als Ashoke stirbt, muss Gogol erkennen, dass „Nick“ doch keine tragfähige Identitätskonstruktion darstellt. Auch farbdramaturgisch und atmosphärisch argumentiert Nair auf der Basis verwischender Kontraste: Die farbenprächtige Eingangssequenz in Kalkutta suggeriert eine Geborgenheit und Wärme, auf die das winterliche Massachusetts wie ein Schock wirken muss. Vergleichbare Spannungen durchziehen sämtliche Interieurs, die wie die Figuren einen Katalog von Möglichkeiten (großbürgerlich, modernistisch, studentisch, etabliert) abdecken (sollen). Vieles bleibt in der Schwebe, wobei nicht deutlich wird, ob dies Stärke oder Schwäche des Films ist. Nair widmet sich der psychologischen Binnenperspektive der Immigration, blendet aber die Reaktionen der hegemonialen Kultur auf das Fremde fast völlig aus. Der Terrorismus, der integral für die aktuelle Beschäftigung mit dieser Problematik scheint, bleibt außen vor. Als schließlich (anders als im Roman) das Geheimnis um Gogols Namen gelüftet wird, bekommt der Film einen ordentlichen Schuss sinnhafter Sentimentalität injiziert, die dem eher nüchternen, „wertfreien“ und etwas anämischen Film ansonsten fehlt. In Gogol substanziieren sich die Hoffnungen seines Vaters auf sein Glück im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Zu Beginn des Abspanns liest man eine Widmung, die auf ein letztlich gelungenes intergenerationelles Tauschgeschäft schließen lässt: „To our parents, who gave us everything.“