Porträtfilm über den slowenischen Kulturtheoretiker und Philosoph Slavoj Zizek, dem es weniger um eine Einführung in dessen Denken geht als vielmehr um eine Annäherung an dessen intellektuellen Habitus als Denker, Redner und "Jetset-Philosoph". Die Dokumentation ist dabei zwischen privaten Details und wortreichen (Selbst-)Darstellungen Zizekscher Thesen so pointiert, aber auch so wie ihr faszinierender, mitunter herrlich selbstironischer und sympathisch schlitzohriger Protagonist.
- Ab 16.
Zizek!
Dokumentarfilm | USA/Kanada 2005 | 71 Minuten
Regie: Astra Taylor
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Filmdaten
- Originaltitel
- ZIZEK!
- Produktionsland
- USA/Kanada
- Produktionsjahr
- 2005
- Produktionsfirma
- Hidden Driver Prod./The Documentary Campaign
- Regie
- Astra Taylor
- Buch
- Astra Taylor
- Kamera
- Jesse Epstein · Martina Radwan
- Musik
- Jeremy Barnes
- Schnitt
- Laura Hanna
- Länge
- 71 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Slavoj Zizek – ein Philosoph und Kulturkritiker auf der Überholspur, atemlos! Bereits die ersten Minuten geben den Ton des Films vor: Ein vollbärtiger Mann mit wirrem Haar, tiefen Augenringen und ungebügeltem blauem Oberhemd (also so ziemlich das Gegenteil von Norbert Bolz) spricht in die Kamera, an der Kamera vorbei, über sein „spontanes“ Verhältnis zur Welt („ziemlich düster“). Er bezieht sich kurz auf Annahmen der Quantenphysik zur kosmischen Ungleichheit („Die Dinge existieren aufgrund eines Fehlers“), um dann im Akt der Liebe eine widerstreitende Strategie zu denken und gleich wieder zu verwerfen. „Universelle Liebe“, „die Liebe zur Welt“, nein. Zizek liebt die Welt nicht, er schwankt eher zwischen Hass und Indifferenz – und überhaupt sei die Liebe doch ein extrem gewalttätiger Akt, weil man aufgrund eines kontingenten Details eine Person aus dem großen Ganzen herauspicke und diese dann auf ein Podest hebe. So verstanden, komme man wohl nicht umhin zu sagen: „Love is evil!“ Hui, zugespitzte dialektische Wendungen im Sekundentakt.
Ist dieses kleine einleitende Referat Zizeks Ausdruck eines im Wortsinn umfassenden Denksystems oder erleben wir hier, um mit Kleist zu sprechen, die „allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Sprechen“? Wahrscheinlich handelt es sich um eine Mischung aus beidem, gepaart mit einer guten Portion medialer Selbstinszenierung und einem offenbar existenziellen Trieb zur Theorie. An einer Stelle bezeichnet sich Zizek explizit als Monstrum, insofern er sich dem „Spiel des augenzwinkernden Humanismus“ verweigere. Er sei keiner dieser Theoretiker, die einerseits beeindruckende Gedankengebäude errichteten, andererseits aber der Öffentlichkeit durch kleine Signale (Interesse an Fußball; Leidenschaft für Schokolade) suggerierten, dass sie „irgendwo“ auch ganz normale menschliche Wesen seien.
Der Slowene Slawoj Zizek wurde Ende der 1980er-Jahre insbesondere im anglo-amerikanischen Raum zu einer Art Pop-Star der Philosophie, weil er zu dieser Zeit wie kein Zweiter Empirie, Kulturtheorie, Philosophie und Popkultur zu einem packenden Gesamt-Sound zu amalgamieren und in eine faszinierende (oftmals sehr witzige) Form von Theorie-Performance zu transformieren wusste. Man stelle sich vor: Zizek, ein erklärter Lacanianer, der sich bei Hegel und Schelling so gut auskennt wie bei Freud und Marx; ein Bär von einem Mann, der immer etwas gehetzt und derangiert aussieht, der (für uns!) Englisch mit starkem osteuropäischen Akzent spricht, der zudem etwas lispelt, der alles mit allem in Zusammenhang zu bringen versteht, atemlos immer neue Zusammenhänge zwischen den Dingen aufblättert. Der charismatische Performer Slavoj Zizek ist ein gefundenes Fressen für den Film, weshalb es auch mehr Filme über ihn als über jeden anderen lebenden Kulturtheoretiker gibt. Vor Jahren bereits erschien die Dokumentation „Slavoj Zizek – Liebe Dein Symptom wie Dich selbst!“; im Herbst soll der gerade in England auf DVD erschienene 150-Minuten-Film „The Pervert’s Guide To Cinema, Parts 1, 2, 3“ von Sophie Fiennes hierzulande in die Kinos kommen.
Astra Taylors Dokumentation „Zizek!“ konzentriert sich ganz auf den Redner, den von Vortrag zu Symposium um die Welt reisenden „Jetset-Philosophen“, den faszinierten Beobachter und Interpreten seines sechsjährigen Sohns. Es geht weniger um eine filmische Einführung in Zizeks Denken als vielmehr um eine Annäherung an den intellektuellen Habitus des Denkers.
Folglich redet der Mann ohne Punkt und Komma, in der Öffentlichkeit, in der Videothek, selbst im Bett. Man erfährt: Zizek lagert seine Wäsche in der Küche und besitzt jeweils zwei Exemplare seiner Übersetzungen in diverse Sprachen. Man sieht einen engagierten Kapitalismus- und Ideologiekritiker sowie einen Streiter wider die rhetorischen Sprachspiele der Dekonstruktion Derridas und seiner Schüler. Zizek erklärt nicht die Hollywood-Blockbuster mit den Theorien von Freud, Marx und Lacan, sondern Freud, Marx und Lacan (und vieles andere) durch die Hollywood-Blockbuster: „Was Sie immer über Lacan wissen wollten und Hitchcock nie zu fragen wagten“, lautet programmatisch der Titel eines der erfolgreichsten Titel von Zizek (und einigen Mitautoren).
Der Film ist so atemlos wie sein faszinierender, mitunter herrlich selbstironischer, sympathisch schlitzohriger Protagonist, der in einer gut sortierten Videothek erfährt, dass ihm die ausgesuchten Filme von seiner Gastgeberin spendiert werden – und dann gleich noch drei Filme mehr ordert. Kurz vor Schluss vermutet Zizek dann (und hier wird Taylors Film doppelbödig), dass seine weltweite Popularität als lustiger Clown der Gegenwartsphilosophie der Preis dafür ist, dass man das, was er zu sagen hat, nicht ernst nehmen muss. Als er sein umstrittenes Buch zum Leninismus „Die Revolution steht bevor“ veröffentlichte, wies sein englischer Verlag es zurück, weil man die witzigen Pointen vermisste. „Zizek!“ besitzt viele dieser Pointen. Wer es etwas weniger unterhaltsam und seriöser möchte, muss auf „The Pervert’s Guide To Cinema“ warten. Ansonsten gilt: Zizek lesen! Kritisch, versteht sich.
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