Fast in allem ist „Verführung einer Fremden“ ein herkömmlicher Hollywood-Psychothriller: filmisch tiptop, aber unauffällig; darstellerisch routiniert, mit zwei echten Stars – Halle Berry und Bruce Willis – in den Hauptrollen und einem überzeugenden, ausdrucksstarken Zuspieler (Giovanni Ribisi) in der leicht exzentrischen Nebenrolle. Nur in wesentlichen Punkt weicht James Foleys Film vom Standard ab: beim Plot. Das Drehbuch von Todd Komarnicki und Jon Bokenkamp wechselt immer wieder unerwartet zwischen den beiden Thriller-Grundhaltungen Suspense und Mystery. Der dramaturgische Jonglierakt droht zwar bisweilen außer Kontrolle zu geraten, dennoch sind es die finalen Paukenschläge ebenso wie die kleineren erzählerischen Freiheiten zwischendurch, die dem Film einen eigenen Reiz verleihen.
Die Auftaktsequenz folgt zunächst brav dem Thrillerhandbuch: Der Enthüllungsartikel der New Yorker Reporterin Rowena Price, der einen schwulenfeindlichen Politiker als selbst homosexuell überführt, verschwindet ungedruckt in der Schublade ihres Chefs: Die Zeitung wird die Geschichte nicht veröffentlichen, der Zeuge hat seine Aussage zurückgezogen. Mächtige Leute machen ihren Einfluss geltend. Außer sich vor Wut kündigt Rowena. Noch auf dem Nachhauseweg begegnet sie ihrer Kindheitsfreundin Grace, die ihr gleich Material für den nächsten möglichen Knüller in die Hände drückt. Über einen Internetchat begann Grace eine Affäre mit dem Chef einer der führenden amerikanischen Werbeagenturen: Harrison Hill. Dann aber brach er den Kontakt ab, wofür sich Grace nun rächen will, indem sie Hills Frau von der Liaison erzählt. Rowena hört sich das alles eher genervt als interessiert an. Kurz darauf aber ist Grace tot. Der mit dem Genre vertraute Zuschauer rechnet im Folgenden natürlich fest damit, dass die Ermittlungen, die Rowena nun auf eigene Faust und mit tatkräftiger Unterstützung des Computerexperten Miles aufnimmt, einen Zusammenhang zum Fall des schwulen Abgeordneten offenbaren werden. Doch in „Verführung einer Fremden“ deckt niemand mehr den verhinderten Skandal auf.
Symbolisch allerdings setzt sich der Prolog im weiteren Film fort. Jeder hat seine ganz privaten Geheimnisse. Sei es das Kindheitstrauma, das Rowena in ihren schlaflosen Nächten verfolgt, oder das fast obsessive Begehren, das Miles für seine attraktive Ex-Kollegin hegt. Erst recht verschweigen Hill und seine Frau manches. All diese großen Geheimnisse wird der Film am Ende lüften; schön übersichtlich zusammengefasst. Manch kleineres Geheimnis aber behält er für sich. So verkneift es sich Regisseur Foley etwa, das Liebesleben Rowenas zu einem romantischen Nebenstrang auszubauen.
Die verdeckten Ermittlungen selbst gestalten sich anfangs allerdings weniger geheimnisvoll. Rowena lässt sich in Hills Firma anstellen und später vom Boss ein wenig verführen, um an die nötigen Infos heranzukommen. Gleichzeitig hackt sich Miles in Hills E-Mail-Konto, und Rowena beginnt unter dem Decknamen Veronica auch noch online mit Hill zu flirten. Die Schlinge um den Werbemann zieht sich immer enger. Doch dann fliegt Rowenas Tarnung auf, und der Showdown mit überraschendem Ausgang beginnt. Nicht zuletzt dank dieser erfrischenden Pointe präsentiert „Verführung einer Fremden“ nicht bloß handwerklich souveränen Nervenkitzel mit einem Hauch von Willis-Charme und Berry-Erotik, sondern sogar noch ein bisschen mehr.