Keine Sorge, mir geht's gut

Drama | Frankreich 2006 | 96 Minuten

Regie: Philippe Lioret

Nachdem ihr Zwillingsbruder spurlos verschwunden ist, verschließt sich eine junge Frau mit zunehmender Radikalität ihrer Umwelt, bis sie in die psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses eingewiesen wird. Die ebenfalls traumatisierten Eltern bemühen sich zwar um den Normalzustand, finden aber kaum Zugang zu ihrer Tochter, die sich seit dem tragischen Ereignis ziel- und orientierungslos treiben lässt. Ein leises, mitunter beiläufig inszeniertes Drama, in dem die feinfühlig entwickelten und gespielten Charaktere nicht nur persönliche Schicksale verkörpern, sondern einen Seelenzustand, der jede Bedeutung in Frage stellt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
JE VAIS BIEN, NE T'EN FAIS
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Nord-Ouest Prod./France 3 Cinéma/Studio Canal/Fin Août Productions
Regie
Philippe Lioret
Buch
Philippe Lioret · Olivier Adam
Kamera
Sacha Wiernik
Musik
Nicola Piovani
Schnitt
Andrea Sedlácková
Darsteller
Mélanie Laurent (Lili) · Kad Merad (Paul, Lilis Vater) · Isabelle Renauld (Isabelle, Lilis Mutter) · Julien Boisselier (Thomas) · Aïssa Maïga (Léa)
Länge
96 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Universal (16:9, 2.35:1, DD5.1 frz./dt.)
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Diskussion
Leicht mag in Vergessenheit geraten, wie nahe man am Abgrund wandelt; gerne wird verdrängt, wie schnell Schicksalsschläge in fatale Strudel ziehen können. Der Film „Keine Sorge, mir geht’s gut“ erinnert daran, wie zerbrechlich die heile Welt, in der wir leben, eigentlich ist. Glücklich und entspannt kommt Lili von einer Sprachreise in Barcelona nach Paris zurück, ihre Eltern erwarten sie am Busbahnhof. Die Schule hat sie abgeschlossen, ein neuer Lebensabschnitt steht bevor. Doch anstatt sich mutig in das neue Leben zu stürzen, wie es ihr fröhlicher Charakter und ihr sonniges Aussehen vermuten ließen, beginnt für Lili ein schier unaufhaltsamer Fall in unendliche Seelentiefen. Denn: Ihr Zwillingsbruder ist nicht mehr da, ihr innig geliebter Weggefährte. Plötzlich fort, für immer verschwunden. Nach einem Streit sei er einfach abgehauen, so die Eltern. Mehr wollen sie nicht verraten. Eine unerträglich, weil unausgesprochen schwere Last droht die Familie nun zu erdrücken, vor allem Lili läuft Gefahr in der beklemmenden Atmosphäre daheim zu ersticken. Niemand sagt etwas. Keiner vermag zu erklären, warum der Bruder, der Sohn nicht mehr unter ihnen weilt. So beginnt die Tochter, die Nahrungsaufnahme zu verweigern, immer unzugänglicher zu werden, sodass sie schließlich in die psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses eingeliefert wird. Erst als ihr der Vater unverhofft Briefe des Verschwundenen reicht, bessert sich ihr Zustand allmählich. Scheinbar ist er auf Reisen durch Frankreich, treibt sich in verschiedenen Städten herum. Von nun an erhält Lili regelmäßig Lebenszeichen, Postkarten und ein Geburtstagsgeschenk. Die Hoffnung auf ein Wiedersehen, auf das Kitten des zerbrochenen Herzens, auf eine Wiederherstellung der heilen Welt wächst. Der Verlust des Bruders bedeutet jedoch eher den Auslöser eines allgemeinen Schwindelgefühls bei Lili, als dessen Ursache. Denn grundsätzlich weiß sie nicht, wie es in Zukunft weitergehen soll, welche Ziele sie verfolgen oder welche Träume sie verwirklichen will. Den Alltag der Eltern hält sie für bieder, wenngleich oder wahrscheinlich gerade weil deren geordnetes Leben im Pariser Vorort Stabilität und Ruhe verspricht. Was sie erst später merkt: Mit dem Vater verhält es sich wie insgesamt mit Phillipe Liorets Film. Äußerlich passiert kaum etwas, innerlich jedoch lodert es. Zumindest große Träume hat ihr Vater. Lili hingegen irrt durch das Leben, beständig auf der Suche nach ihrem Bruder, nach ihrem Sinn. Trotz der rasanten Gefühlswellen, trotz des aufwühlenden Zustandes, der permanenten Leerstelle, die der wohl unwiederbringlich Verlorene hinterlassen hat, bedient sich der Film einer Erzählweise, die sich auf den ersten Blick eher undramatisch gibt. Einerseits ereignen sich folgenschwere Vorfälle, andererseits wird kein großes Aufhebens davon gemacht. Einzelne Aktionen sind weniger wichtig, der Fokus liegt auf dem Seelenleben, der komplexen psychischen Welt. Die Bedrückung, welche im und durch den Film zu spüren ist, gründet sich nicht in dem bürgerlichen Umfeld, in dem Lili aufgewachsen ist, sondern in der Ziellosigkeit, welche sich als Folge des Verlustes äußert. Den Boden hat sie völlig verloren. Man taumelt, man schwankt, man fällt. Weniger spielen hier die einzelnen Figuren eine Rolle, als vielmehr das gesamte narrative Netz, das sich um diese spannt. Zärtlich zurückhaltend werden die Charaktere von den Schauspielern auf die große Kinoleinwand gebracht: Kad Merad als einfältig wirkender und zugleich liebevoller Vater, Isabelle Renauld als fürsorglich tapfere Mutter und Mélanie Laurent, die als impulsive Lili auftritt. Nicht so sehr durchleidet man ein persönliches Schicksal, jenes einer Filmfigur, als vielmehr ein allgemein schmerzliches Gefühl, das entsteht, wenn alles plötzlich in Frage gestellt wird, wenn nichts mehr von Bedeutung scheint, wenn das Leben irgendwie aufhört zu sein und man dennoch weiter auf Erden wandeln muss. Der Film lässt sich als eine Beschreibung von Verlust verstehen, die Trauer und Lebensmut, Weltschmerz und Sinnsuche mittels sanfter Gewalt zu verbinden weiß. Er erinnert daran, wie zerbrechlich die heile Welt eigentlich ist. Und daran, wie sehr es sich der Schönheit dieser zu erfreuen gilt.
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