Die Regeln im Kriegsfilm Hollywoods sind eindeutig: Und die Feinde sind ohne Namen – eine diffuse Masse des Bösen, zum Besiegen bestimmt. Selten nur werden solche Vorgaben durchbrochen und ein Blick auf beide Seiten der Medaille eröffnet. Clint Eastwood hat es versucht und dafür zwei Filme gebraucht. Vielleicht eine gute Idee, handelt doch „Flags of our Fathers“
(fd 37 993) nicht wirklich von der Erstürmung von ein paar Quadratkilometern Fels, sondern betreibt die Dekonstruktion amerikanischer Mythen. Da wäre es womöglich eine zu große Nestbeschmutzung, wenn man nicht nur die nationale Heldensymbolik in Frage stellt, sondern auch noch dem Feind ein Gesicht gibt, ihm eine eigene Geschichte zugesteht – sprich: einen Grund, nicht zu sterben.
Eastwoods filmisches Doppel-Fanal gegen den Krieg entzündet sich an der Schlacht um die winzige Vulkaninsel Iwo Jima, die, gut 1000 Kilometer vor Tokio gelegen, als idealer Stützpunkt für den Angriff der US-Amerikaner auf Japan galt und am 19. Februar 1945 Schauplatz eines 28.000 Tote fordernden Militäreinsatzes bildete – zwei Drittel der Opfer waren Japaner. 12.000 dieser Soldaten gelten immer noch als vermisst und sind in den verzweigt gegrabenen Höhlenanlagen, die den Truppen unter General Tadamichi Kuribayashi Deckung und Versteck gewähren sollten, verschüttet. Mit diesen Daten endet „Flags of our Fathers“ und wirft die Frage auf: Was war mit den Japanern?
„Letters From Iwo Jima“ vermeidet jede Referenz zum vorangegangenen Teil. Da sind nur die zwangsläufigen Schnittmengen, etwa die auf dem Zentralhügel gehisste US-Flagge, die dem ersten Teil den Titel gab, ist kurz aus der Ferne zu sehen; und die Handgranate, die in „Flags of our Fathers“ ins Höhlenlabyrinth geworfen wird, explodiert in „Letters From Iwo Jima“ auf der anderen Seite. Die Hauptdarsteller des einen Films sucht man im anderen vergebens. Das ist einer der Pluspunkte von „Letters From Iwo Jima“, denn es zwingt – ähnlich wie die konsequent unsynchronisierte japanische Fassung – zu der Auseinandersetzung mit „dem Fremden“. Eastwood will die Verbündung des (amerikanischen) Zuschauers mit dem Feind, will die Erkenntnis evozieren, dass der Tod eines Gegners auch im Krieg einen Menschen auslöscht, eine Familie ins Unglück stürzt, eine Frau mit Kind daheim unversorgt zurücklässt. Eastwood gelingt dies – im Sinne Hollywoods – auf vorbildliche Weise. Außer für den bekannten Hauptdarsteller Ken Watanabe, der auch für ein westliches Publikum nicht weiter mit „Leben“ gefüllt werden muss, findet er für die „Sympathieträger“ eindrückliche Szenen aus ihrer Vergangenheit, um sie dem Zuschauer ans Herz wachsen zu lassen. So ist der einfache Bäcker Saigo kein Kriegstreiber, sondern von Anfang an Opfer, der zu einem Himmelfahrtskommando befohlen wird und einfach nur überleben will, um sein noch ungeborenes Kind zu sehen. Baron Nishi will auf der Mission eigentlich nur sein Pferd ausreiten, mit dem er 1932 in Los Angeles die Olympischen Spiele gewann; und Militärpolizist Shimizu, der eindrücklichste Charakter, der vom Rest der Einheit fälschlicherweise als Spitzel verdächtigt wird, wurde in Wirklichkeit strafversetzt, weil er einem „subversiven“ Hund nicht den Todesschuss versetzte. Sie alle schreiben Briefe an die Heimat, die – Apotheose der Emotionalisierung – nie ihren Empfänger erreichen werden. All diese „Helden“ bilden das Zentrum der Einheit, die sich den „feindlichen“ Amerikanern entgegenstellen sollen. Sie müssen ihr Leben vergeuden – wenn nicht im Kampf, dann eigenhändig aus Schmach wegen der Niederlage; denn was bislang nur der in den USA ausgebildete General Kuribayashi ahnt (und der Zuschauer der „Flags of our Fathers“ sah): Die Chance auf einen japanischen Sieg ist gleich Null.
Dennoch wird gekämpft und gestorben, was nicht, wie in „Flags of our Fathers“, durch lange Passagen „von daheim“ strukturiert wird, sondern sich ununterbrochen auf der verdammten grün-grauen Insel zuträgt. Der Krieg ist unmenschlich, und auch Amerikaner können Monster sein. Solche Wahrheit mag in Europa offene Türen einrennen, für die USA ist es laut Eastwood eine immer wieder zu verabreichende bittere Pille. Im Gegensatz zu Terrence Malicks ungleich eindrücklicherem Kriegsfilm „Der schmale Grat“
(fd 33 554), in dem es im selben Krieg um die aberwitzige Erstürmung einer Anhöhe auf der Pazifikinsel Guadalcanal geht, ist Eastwoods Zweiteiler in erster Linie als ein (weiterer) Dämpfer für das von Allmacht beseelte amerikanische Selbstverständnis gedacht; die „philosophische“ Auseinandersetzung mit dem Wahnsinn Krieg aus „Der schmale Grat“ sucht man in „Letters From Iwo Jima“ indes vergebens. Dafür wäre ein dreistündiger einteiliger Film zum Thema womöglich tauglicher gewesen, weil dieser noch eindringlicher und allgemeingültiger die absurden Verschachtelungen eines solchen „Kriegsabenteuers“ vor Augen geführt hätte. Und dass es möglich ist, selbst vier Seiten der Medaille und drei Sprachen eines Krieges in einem Film unterzubringen, das hatte bereits Ken Annakin in „Der längste Tag“
(fd 11 524) über den D-Day am 6. Juni 1944 mustergültig bewiesen.