Es soll Menschen geben, die als Erwachsene noch immer nicht den Tod von Bambis Mutter verwunden haben, und Eltern, die Walt Disney nie verzeihen konnten, dass er ihre Kinder nicht nur unverhofft mit der Sterblichkeit vertraut machte, sondern auch mit der Raubtiernatur des Menschen. Ein einziger Gewehrschuss zerreißt in „Bambi“ (fd 1016) die sorgsam gestaltete Naturidylle und mit ihr die Harmonie einer behüteten Gegenwelt der Kindheit. Von diesem Trauma erholt sich der Film trotz seines versöhnlichen Ausgangs nicht mehr – und gerade das erhebt ihn in den Rang des Klassikers. Ganz ähnlich träufelt auch George Miller das Gift der Erkenntnis in eine nur scheinbar unbeschwerte Geschichte. Die Vorschau lässt ein animiertes Pinguin-Musical erwarten, in dem jedes fusselige Neugeborene ein fröhliches Liedchen trällert, während ein aus der Art geschlagenes Junges das Tanzbein schwingt. Genau das bekommt das Publikum auch, und zwar in einer handwerklichen Qualität und mit einer erzählerischen Finesse, die zugleich bezaubert und in falsche Sicherheit über die wahren Motive dieser Reise an den Kältepol der menschlichen Gesellschaft wiegt.
Das Paarungsverhalten der Kaiserpinguine scheint keine große Wissenschaft zu sein: Jeder trägt sein Lied im Herzen und singt es so lange, bis ihn die Melodie mit einem anderen verheiratet. Dann geht das Weibchen auf Fischzug und lässt das Männchen mit dem gemeinsamen Ei allein. Ist der Nachwuchs geschlüpft, kommt er in die Gesangsschule, und so geht es weiter im Kreislauf der Natur. Nur der kleine Mumble ist nicht recht bei Stimme, kann dafür aber die Füße nicht still halten. Ein steppender Pinguin – hat man so was schon gesehen? Viel Ruhm erntet er damit nicht in seiner Kolonie, doch sein Außenseitertum prädestiniert ihn dazu, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und die Gemeinschaft in Zeiten der Not auf den richtigen Weg zu führen. Eine gute Stunde hält George Miller mit seiner Botschaft hinterm Berg und unterhält so effektiv wie in seinen beiden Filmen um das „Schweinchen namens Babe“ (fd 31 670/fd 33 503). Die Wasserung der jungen Pinguine wird zum Bravourstück der Animationskunst, mit Anleihen bei militärischen Flugschauen und Hollywoods Badenixe Esther Williams, eine Begegnung mit einem Seeleoparden ist für das Kinderkino das, was der „weiße Hai“ fürs erwachsene Publikum war, und mit dem Auftritt einiger mit Latino-Akzent versehener Adelie-Pinguine gleitet die Musical-Ouvertüre elegant in eine ausgebuffte Typenkomödie hinüber. Ein beringter Vogel gibt dann den ersten Fingerzeig auf eine Brut von Aliens, die offenbar an den schwindenden Fischbeständen in der Antarktis Schuld ist und in der wir uns leicht selbst erkennen können. Mit einem kleinen Gefolge mutiger Freunde macht sich Mumble auf den Weg, um an das Gute im Menschen zu appellieren und seine Kolonie vor dem Verhungern zu bewahren. Einige Seeelefanten können sich über so viel Naivität nur wundern: „Ihr geht in den sicheren Tod“, prophezeien sie, und wer wollte ihnen da mit Überzeugung widersprechen?
Von allen im Kinderkino heimisch gewordenen Regisseuren hat George Miller die erstaunlichste Karriere vorzuweisen. Seine Anfänge liegen im moralischen Grenzland der „Mad Max“-Serie, und seitdem hat sich sein Menschenbild nicht wesentlich geändert. Auch in seinem gefeierten Loblied auf das Hüteschwein Babe regiert das rücksichtslose Recht des Stärkeren und wird nur durch ein besonderes Talent des tierischen Protagonisten ausgesetzt. Wie in E.B. Whites Kinderbuchklassiker „Wilbur und Charlotte“ muss das Schwein Kunststücke vollführen, um dem Tod durchs Schlachtermesser zu entgehen; das Erstaunen ist die einzige Sprache, mit dem das Tier den Mensch erreicht. Vielleicht ahnt der Leser bereits, wie Miller in seinem Film die Hoffnung auf das Gute am Leben erhält, doch merkt selbst ein Kind, dass hinter diesem frommen Wunsch nur wenig Überzeugung steckt. Zu düster fällt in „Happy Feet“ die Begegnung mit den Menschen aus, zu unerbittlich schieben sich die Eisbrecher der industriellen Fischerei durch den tierischen Lebensraum, zu furchtbar ist der Umschnitt, mit dem der Hilferuf des tapferen Pinguins als sinnloses Quaken beim Adressaten ankommt. „Du bist im Pinguin-Himmel“, wird Mumble am Ende seiner Reise durch einen Artgenossen willkommen geheißen, der schon zu lange in Gefangenschaft gelebt hat. Man möchte seinen Kindern nicht erklären müssen, warum eher das Gegenteil der Fall ist. Aber man wird wohl nicht drum herum kommen.