Der bevorstehende 30. Geburtstag stürzt einen glücklich verheirateten Mann in eine (Sinn-)Krise mit fast dramatischen Folgen. Stellenweise grüblerische Tragikomödie über Torschlusspanik und erotische Neugier, deren moralisierende Grundhaltung die Geschichte in geordnete Bahnen lenkt. Die angestrebte Auseinandersetzung mit der Bürgerlichkeit und ihren Werten ist am ehesten aus den akribisch ausgestatteten Wohn- und Lebensräumen der Personen abzulesen.
- Ab 14.
Der letzte Kuss (2006)
Tragikomödie | USA 2006 | 104 Minuten
Regie: Tony Goldwyn
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Filmdaten
- Originaltitel
- THE LAST KISS
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2006
- Produktionsfirma
- Lakeshore Ent.
- Regie
- Tony Goldwyn
- Buch
- Paul Haggis
- Kamera
- Tom Stern
- Musik
- Michael Penn
- Schnitt
- Lisa Zeno Churgin
- Darsteller
- Zach Braff (Michael) · Jacinda Barrett (Jenna) · Casey Affleck (Chris) · Rachel Bilson (Kim) · Michael Weston (Izzy)
- Länge
- 104 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Tragikomödie
Heimkino
Diskussion
Ist es mit aufregenden Küssen vorbei, wenn der 30. Geburtstag kurz bevor steht? Für Michael läuft der Countdown. Das vermeintlich „magische“ Alter pirscht sich unabänderlich heran, was auch seinen bisherigen Lebensverlauf treffend beschreibt: Alles scheint gleichmäßig zu fließen, wie der Strom der Fußgänger, der an einem Straßenüberweg über den Asphalt gleitet. In dem vor den Fußgängern wartenden schwarzen Mittelklasse-Wagen sitzen in trauter Zweisamkeit Jenna und Michael, gerahmt von der Windschutzscheibe, die dem Ganzen einen spiegelnden Glanz verleiht – das Leben ist poliert und wohlgeformt. Michael kann sich in diesem Moment nicht enthalten, Jenna zu sagen, wie glücklich er mit ihr sei. Die einzige Irritation besteht darin, dass sich neben Jennas seligem Lächeln unübersehbar eine Buswerbung mit einer lasziven Schönen ins Bild schiebt. Doch zunächst scheinen Michaels Fantasie und Begehren im bürgerlichen Glück ordentlich domestiziert. Das Musterpärchen ist auf dem Weg zu Jennas Eltern, um ihnen mitzuteilen, dass Nachwuchs unterwegs sei. Während der Sekt ausgepackt und etwas steif angestoßen wird, sitzt Michael mittendrin und doch nur dabei – Zach Braff schaut mit seinem prägnanten und wandelbaren Ausdrucksvermögen entgeistert auf das ganz normale Familienglück, das sich vor seinen Augen abspielt. Jenna will nun auch ein Haus kaufen. Die Variante des amerikanischen Traums mit Erfolg im Job und Familie scheint erreicht. Doch welche unangenehmen Realitäten und Abgründe innerhalb dieses Traums existieren, zeigt sich in Michaels Freundeskreis. Sein Freund Chris etwa hat bereits ein Kind, das er sehr liebt, doch der Familienalltag treibt ihn und seine Frau immer weiter auseinander. Auf der Hochzeit eines anderen Freundes wandert Michael zwischen solchen Eindrücken umher. Plötzlich ist da die hübsche, quirlige brünette Studentin Kim, die ihn nicht nur anlächelt, sondern auch aufregend anflirtet. Verwirrt über seine Position im Leben, sieht man Michael einsam am Seeufer unter einer amerikanischen Flagge stehen.
„Stop editing my life“, lautet eine Aufforderung in der Runde der Jungs, die aus unterschiedlichsten Gründen in die Bude des Junggesellen Kenny flüchten. Sie diskutieren über Lebensentwürfe und ihr Scheitern. Es ist tatsächlich die filmische Montage, die die teilweise unerträglich alltägliche Stimmung des Films bestimmt. Glück und Leid der Figuren sind so diskret miteinander verwoben, dass das Gesamtbild unausweichlich scheint. Für Jennas Mutter ist das Glück ihrer Tochter beispielsweise der Anlass, ihre Liebe zu ihrem Mann in Frage zu stellen. Das Auf und Ab in der Beziehung der Eltern ist ein Spiegelbild der Beziehung des jungen Paares. Wie von einer unsichtbaren Kraft gezogen, versucht Michael, die hübsche Kim wiederzutreffen. Widerstreitend scheint er sich erst dem Sog des Begehrens in der Mischung aus Torschlusspanik und Neugier hinzugeben, um dann doch wieder „vernünftig“ zu werden. Aber das Leben mit seinen simplen Verzweigungen führt zum Eklat. Wie in den emotionalen Szenen zwischen Blythe Danner und Tom Wilkinson, die die Eltern spielen, beeindrucken auch Zach Braff und Jacinda Barrett als das jüngere Paar mit ihren schauspielerischen Leistungen und transportieren die ganze Emotionalität der Situation. Dies ist umso interessanter, als der Film seine Charaktere nicht in Kategorien von „gut“ und „böse“ einordnet, sondern die Handlungsmotive in ihrem Kontext verständlich macht. Dadurch geraten moralische Vorstellungen leicht aus den Fugen, und es ist faszinierend, die Gefühle und Probleme der männlichen Endzwanziger jenseits des Machotums zu verfolgen. Am spannendsten ist dabei, wie der Film mit der Ausweglosigkeit der emotionalen Verpflichtungen umgeht. Seine inszenatorischen Stärken liegen besonders in der akribischen Ausstattung der Wohn- und Lebensräume, in denen sich die Bürgerlichkeit zeichenhaft begründet. Leider verschenkt er gegen Ende die Chance, die Ausweglosigkeit auch narrativ in allen Konsequenzen erfahrbar zu machen; letztlich wird alles in geordnete Bahnen gelenkt. Auch wenn Michael durch seine Hartnäckigkeit viele Sympathiepunkte erheischt, gerät die Story zum Plädoyer für Durchhaltekraft und Verzeihen. Was in einer Beziehung danach kommt, bleibt indes ausgespart. Steht der Film damit nicht wieder am Anfang? Die Verhältnisse haben sich ja nicht geändert – aber davor drückt er sich.
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