Eine unbequeme Wahrheit

Dokumentarfilm | USA 2005 | 96 Minuten

Regie: Davis Guggenheim

Dokumentarfilm über die Vortragsreise des ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore, der mit seiner "Travelling Global Warming Show" auf die Gefahren der Erderwärmung hinweisen will. Ein faszinierender, trotz schneller Schnitte und vielfältiger Perspektivwechsel formal aber eher konventioneller Film, der das Kino als Multiplikator nutzt, um auf weltweite Probleme und ihre notwendigen, womöglich unbequemen Lösungen aufmerksam zu machen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
AN INCONVENIENT TRUTH
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Lawrence Bender Prod./Participant Prod.
Regie
Davis Guggenheim
Buch
Davis Guggenheim
Kamera
Bob Richman · Davis Guggenheim
Musik
Michael Brook
Schnitt
Jay Lash Cassidy · Dan Swietlik
Länge
96 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Paramount (1:1,78/16:9/Dolby Digital 5.1)
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Diskussion
Besser, in diesem Fall sollte man vielleicht sagen schlechter, kann man einen Dokumentarfilm gar nicht promoten: Am 21. September 2006 veröffentlichte die europäische Raumfahrtorganisation ESA ein Satellitenfoto, das den Nordpol im August desselben Jahres zeigte. Der wäre zu diesem Zeitpunkt relativ bequem auf dem Seeweg zu erreichen gewesen; das Kontrollbild aus dem Vorjahr belegt, dass sich der Pol damals noch durch etliche Lagen Packeis dem direkten Zugriff verweigerte. Hier hat die Wirklichkeit Davis Guggenheims beeindruckenden Dokumentarfilm „Eine unbequeme Wahrheit“ eingeholt, ja sogar überholt: Die Freude über den beinahe subtropischen „Jahrhundertsommer“ wird durch die Schrecken einer scheinbar nicht mehr umkehrbaren Klimakatastrophe überschattet. Guggenheim konzentriert sich in seinem Film auf die „Travelling Gobal Warming Show“ des ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore, der im Jahr 2000 nach einer umstrittenen Stimmauszählung George W. Bush unterlegen war. Seitdem hat sich Gore in ein Thema verbissen, das ihn bereits seit den 1960er-Jahren umtreibt: die globale Erwärmung und die daraus resultierende Klimakatastrophe, die Gore mit seiner Multimedia-Show darstellt und eine ökologische Umkehr einfordert. Ruhelos tourt er durch die Lande und stellt in seinem ebenso unterhaltenden wie erschreckenden Programm die Zusammenhänge dar. Dabei belässt es Gore nicht dabei, die gravierenden Veränderungen in der Natur, von denen die meisten als bedrohliche Einzelphänomene bekannt sein dürften, zu beschreiben; vielmehr entwirft sein Vortrag anschaulich-süffisant ein wahres Netzwerk globaler Bedrohungen, die sich gegenseitig beeinflussen. Dass das Abschmelzen der Polkappen zu einer Flutkatastrophe führen wird, ist weitgehend bekannt; Gores Computergrafiken aber verdeutlichen, was das eigentlich heißt: Die Niederlande sind von der Landkarte verschwunden, große Teile New Yorks stehen unter Wasser – Ground Zero wäre allenfalls eine Trauerstätte für Taucher. Selbst wenn es nicht zum Äußersten kommen sollte, lauern viele andere Gefahren durch den übermäßigen CO2-Ausstoß. Die Erwärmung der Meere trägt zu immer fürchterlicheren Umweltkatastrophen bei, wozu Hurricane Katrina, der 2005 New Orleans verwüstete, ebenso zählt wie das Verschwinden der Eisfelder am Südpol; Ereignisse, die bislang eher als Einzelphänomene wahrgenommen wurden, aber im Zusammenhang betrachtet und diskutiert werden müssen. Gores Hauptanliegen ist es, die Dringlichkeit der erforderlichen Lösungen, ein verändertes Umweltbewusstsein mit „unbequemen“ Veränderungen im Konsum- und Produktionsverhalten nicht als wissenschaftliche Langzeitaufgabe, sondern als vordringliche Forderung zum Schutz des Planeten zu betrachten – und zur Rettung der menschlichen Existenz. Während manche Forscher diese Probleme immer noch als zukünftige darlegen und einen Zeitpuffer von 50 bis 100 Jahren einräumen, belegen die Aufnahmen von schmelzenden Gletschern, dass die Zeit bereits jetzt abzulaufen scheint: Innerhalb weniger Jahrzehnte sind diese größten Süßwasser-Reservoirs der Erde, die gigantischen Eis-Biotope, zu erbärmlichen Restflächen geschrumpft. Angesichts solcher Bilder wird deutlich, dass ein radikales Umdenken von Nöten ist und die Katastrophenszenarien, die dem Kampf ums Trinkwasser einen höheren Stellenwert als dem ums Erdöl einräumen, nicht aus der Luft gegriffen sind. Guggenheims Film scheint auf den ersten Blick kaum mehr als Gores Umweltshow zu dokumentieren und mit einigen privaten Eckdaten zu unterfüttern – der beinahe tödlich verlaufene Unfall von Gores Sohn, der den Politiker zum Überdenken seiner Maxime zwingt; der Verlust der US-Präsidentschaft. Doch bei näherer Betrachtung offenbaren sich überraschende Qualitäten. Da ist nicht nur die Tatsache, dass hier eine „unbequeme Wahrheit“, die recht unterhaltsam, aber durchaus mühselig in tausenden Vortragssälen verbreitet werden musste, nun durch die Mittel des Kinos Verbreitung findet; zugleich verdichtet sich der Film zum Porträt einer charismatischen Persönlichkeit, der es Ernst zu sein scheint mit dem, was sie sagt. Dabei bricht Guggenheim die Guckkasten-Optik von Gores Bühnenshow allmählich auf, wechselt Positionen und Perspektiven, verändert Nähe und Distanz, um gleichsam einen rundum ehrlichen Umweltpolitiker und sein Programm vorzustellen. Dadurch erzielt Guggenheim einen geschickten Doppler-Effekt: Er inszeniert die (Selbst-)Inszenierung eines begnadeten (Selbst-)Darstellers, kehrt dessen Eitelkeiten hervor, ohne sie anzukreiden, und unterstützt zugleich dessen Arbeit mit jeder Sekunde seines Films. Das Ergebnis ist ein parteiischer Dokumentarfilm, der die Konventionen des Genres bestenfalls durch die schnelle Schnittfolge bricht, weil er mehr dem Thema als innovativen Annäherungen verpflichtet ist. Im Sinne dieser konsequenten Abbildung ist nichts einzuwenden, wenn immer wieder Gores Apple-Laptop ins Bild rückt: der kleine Helfer des Vortragsreisenden, der für die Grafiken und Einspielungen zuständig ist und der Show erst ihre optischen, mitunter faszinierenden Reize verleiht. Dass Gore im Vorstand dieser Firma sitzt, sei lediglich angemerkt; mit Blick auf das zentrale Anliegen des Films, das die Menschheit mehr beschäftigen sollte als die Wahl eines neuen Computers, muss dies auch nicht weiter vertieft werden.
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