Ein mächtiges Luftschiff bewegt sich ruhig durch den Abendhimmel. Noch wissen die Passagiere nicht, dass Piraten im Begriff sind, einen Angriff zu starten. Sie suchen unter den Passagieren ein kleines Mädchen namens Sheeta bzw. den blauen Stein, den es um den Hals trägt. Als der Angriff in vollem Gange ist, rettet sich Sheeta auf die Außenhaut des Schiffes. Bedrängt von den grotesk aussehenden Banditen, verliert sie den Halt und stürzt in die Tiefe.
Das ist eine temporeiche und dramatische Einleitung in einen Trickfilm, der sich danach erst einmal die Zeit nimmt, vor dem Hintergrund wunderschön altmodisch anzusehender Flugapparate und Bergwerksmaschinen aus einem vergangen geglaubten Jahrhundert der Dampfmaschinen den Vorspann abzufahren. Danach wird zu dem bewusstlos in die Tiefe fallenden Mädchen übergeblendet. Plötzlich entwickelt der Stein an seinem Hals unwirkliche Farben, und der Sturz des Mädchens wandelt sich in das sanfte Hinabgleiten einer Feder. Jetzt ahnt man, warum die Piraten hinter dem so unscheinbaren Juwel her sind. Zeuge des wundersamen Falls wird der Bergwerksjunge Pazu, der am Rand des Bergdorfes ein Häuschen hat. Pazu nimmt das verstörte Mädchen bei sich auf. An der Wand in der Stube entdeckt es ein altes Foto mit dem Untertitel „Laputa“, und Pazu erzählt ihr von seinem verstorbenen Vater, der dieses Bild einer im Himmel schwebenden Insel gemacht hat. Keiner wollte ihm glauben, dass es diese Insel wirklich gibt, auf der sich ungeahnte Reichtümer befinden sollen. Pazu aber will die Vision seines Vaters beweisen und dessen Ehre wiederherstellen. Er will ein Flugzeug bauen und die Insel im Himmel finden.
Gerade mal neun Minuten sind seit Beginn von „Das Schloss im Himmel“ vergangen, und schon sind Elemente gleich mehrerer Abenteuergeschichten präsentiert: das Mädchen mit dem Zauberstein, die vermeintlich bösen Piraten, der Junge mit dem Traum seines Vaters, schließlich die mysteriösen Regierungsvertreter, die Sheeta im Zeppelin bewachten – und die geheimnisvolle fliegende Insel Laputa, die von Stürmen und Gewitterwolken begleitet wird. Hayao Miyazaki ist ein Meister des Geschichtenerzählens. Er versteht es, Fährten zu legen, die hinter jeder Biegung zu einem neuen Faszinosum führen. So füllt er mühelos fast 130 Filmminuten, die wortwörtlich wie im Fluge vergehen und selbst Kinder mühelos bei der Stange halten. Allenfalls die Kleinsten werden von Miyazakis Geschichten überfordert; nicht weil sie mit der thematisierten Gewalt nicht umgehen könnten – diese ist nie schockierend, sondern wird logisch in der Fantasiewelt der Geschichte abgepuffert –, es ist eher die überbordende Fantasie der Bilder, die fesselt, heraus- und vielleicht überfordert. Für die Älteren unterteilt sich der Film in zwei gleichberechtigte Teile: die Abenteuergeschichte zu Land und die Fantasy-Geschichte in der Luft. Erstere besticht durch ein aktiongeladenes futuristisches Vergangenheitsszenario voller Dampf, Feuer und fliegender Gefährten, letztere verblüfft durch das archaische Science-Fiction-Szenario. Dabei schlummert, wie schon in Miyazakis Meisterwerken „Chihiros Reise ins Zauberland“
(fd 36 002) und besonders „Prinzessin Mononoke“
(fd 34 790), hinter all den blitzenden und erschreckend schönen Bildern eine pazifistische, naturbewahrende Botschaft.
„Das Schloss im Himmel“ entstand bereits 1986, doch erst jetzt findet dieses Meisterwerk des Animationsfilms den Weg in die deutschen Kinos. So ist auch die hiesige Rezeptionsgeschichte der Werke aus dem berühmten Tokioter Produktiosstudio Ghibli verfälscht, weil der Film erst nach Miyazakis vergleichbarem Film „Das wandelnde Schloss“
(fd 37 181) zu sehen ist – was ungefähr so wäre, wie wenn man den ersten „Indiana Jones“-Film einen Monat nach der Premiere des vierten Teils (der 2007 startet) erstmals in die Kinos bringen würde. Und doch ist die Begegnung mit „Das Schloss im Himmel“ ein Glücksfall, beweist doch der Film auf eindrucksvolle Weise, dass auch 20 Jahre altes Material mit konsequent schlicht gehaltenen 2D-Animationen eine angenehme Zeitlosigkeit verströmt, die immer noch mitreißt. Trotz manches formalen Anachronismus ein eindrucksvolles Werk voller berührender Details, getragen vom enormen epischen Atem.