Hitlerkantate

Drama | Deutschland 2004 | 124 Minuten

Regie: Jutta Brückner

Ein desillusionierter Ex-Kommunist erhält den Auftrag, für Hitlers 50. Geburtstag ein musikalisches Werk zu komponieren. Mit seiner Schülerin, die dem Führer ergeben ist, macht er sich an die Arbeit. Beide liefern sich ideologische und sexuelle Duelle, wobei der Idealismus der Frau im Lauf der Zeit Mordfantasien weicht. Der spröde intellektuelle Film arbeitet sich an Thesen über Hitler als Sexsymbol, der NS-Rassenideologie und den arischen Züchtungsfantasien ab. Dabei werden trotz aller Stilisierungen spannende Einsichten und originelle filmische Lösungen vermittelt. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Saxonia Media/WDR/mdr/arte
Regie
Jutta Brückner
Buch
Jutta Brückner
Kamera
Thomas Mauch
Musik
Peter Gotthardt
Schnitt
Monika Schindler
Darsteller
Lena Lauzemis (Ursula) · Hilmar Thate (Ernest Broch) · Rike Schmid (Gisela) · Arnd Klawitter (Gottlieb) · Dirk Martens (Reinhard Hasstrich)
Länge
124 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Gerade hat der erregte junge SS-Mann erfahren, dass das unprofessionell prüde Modell in dem von der SS in Auftrag gegebenen Porno-Film Jüdin sein soll. Er lässt sich den Film noch mal vorführen: „Stimmt, wenn man genau hinsieht, dann sieht man dieses jüdisch Triebhafte!“ Was ihn allerdings nicht davon abhält, später über die Bilder zu onanieren, bis der Führer aus dem Off „Gehorsam bis in den Tod“ fordert. Bilder aus dem deutschen Reich des Jahres 1938. Die Zeit der anarchischen Entrechtlichung der Lebensverhältnisse von Juden in Deutschland geht dem Ende entgegen, „diese ewigen Straßenexzesse müssen aufhören“. Man macht sich ans Werk, die „Judenfrage“ systematischer anzugehen, will dabei aber das Stilempfinden der Deutschen nicht verletzen, wozu hat man schließlich „eine zivilisatorische Mission“ (Heydrich). In ihrem essayistischen Spielfilm „Hitlerkantate“ begibt sich die Filmemacherin Jutta Brückner („Hungerjahre – in einem reichen Land“, fd 22 774) noch einmal auf die Spurensuche nach den widersprüchlichen „sexual politics“ der Nazis und den Absurditäten der NS-Rassenlehre für den Alltag der Zeitgenossen. Sollen SS-Männer polygam leben dürfen, um ihr Erbgut besser nutzen zu können? Kann man Arier anhand ihrer Haarfarbe und Kopfform erkennen? Weshalb kann man die jüdische Herkunft nicht per Bluttest bestimmen? „Hitlerkantate“ ist bestimmt keine Komödie, zeigt aber deutlich die permanente Überforderung der Akteure durch die eigene Ideologie und das pragmatische Verbiegen der widersprüchlichen Realität. „Sie sind ja schlimmer als jeder Spitzel. Sie glauben sogar daran!“ Im Zentrum des Films steht die komplizierte Beziehung zwischen der Musikschülerin Ursula und dem Komponisten und ehemaligen Kommunisten Broch, der seit Jahren nichts Bedeutendes mehr komponiert und sich ins Innere Exil zurückgezogen hat. Broch, ein Moderner, bekommt den Auftrag der Partei, dem Führer musikalisch zum 50. Geburtstag zu gratulieren: „Uraufführung im Olympiastadion, alle Berliner Orchester, alle Berliner Chöre, dazu ein Lichtdom von Albert Speer.“ Broch kann sein „Glück“ kaum fassen: „Warum ausgerechnet ich?“ Ursula dagegen wurde einst ohnmächtig, als sie dem Führer in die Augen sah. Sie ist eine glühende Verehrerin Hitlers. In finnischer Klausur, wo Lehrer und Schülerin gemeinsam an der Komposition arbeiten sollen, kommt es zum ideologischen, emotionalen und sexuellen „Duell“ der beiden grundverschiedenen Menschen mit ihren unterschiedlichen Geschichten. Einmal entdeckt Ursula im Haus eine Schallplatte ohne Label. Die Musik klingt mitreißend, aber sie versteht den Text nicht. Broch erläutert, dass es sich dabei um kommunistische Agitation „in heroischem C-Moll“ handle, komponiert von ihm, als er „noch ein Kerl“ gewesen sei. Ursula schlägt vor, die Musik neu zu betexten, schließlich gelte folgendes: „Es ist nämlich so, Herr Broch, dass zum ersten Mal in Deutschland beides in einer Hand ist: die Macht und das Richtige, die Wahrheit und auch Menschlichkeit und Güte. Alle sind gleich, arbeiten, kämpfen und sterben für ein hohes Ziel!“ Spricht’s und blickt dabei nach oben zum bewunderten Komponisten, so wie sie eingangs zum geliebten Führer aufblickte. Viel später, wenn die Heimkehr ins Reich Ursula ihren Idealismus ausgetrieben hat, wird ihre sexuelle Fantasie in eine Mordfantasie umschlagen. „Heil Hitler, du Sau!“, hatte es zuvor schon einmal geheißen. Hier geht es also einmal mehr um die komplexen psycho-sexuellen Dimensionen in der Liebe zu „unserem Hitler“. Kann Broch Hitler aus dem Körper Ursulas exorzieren? Schließlich wird Broch wieder komponieren: „Eine Musik, die von der Lust an der eigenen Unterwerfung erzählt, von dem Glück, sich dem hinzugeben bis in die Katastrophe.“ Dabei soll ihm Ursula helfen: „Ich brauche Dich, Du kennst den Abgrund!“ „Hitlerkantate“ knüpft ästhetisch konsequent an die Filme an, mit denen Jutta Brückner als Exponentin eines feministischen Films um 1980 bekannt wurde. Seinerzeit hätte ein Themenheft von „frauen und film“ ihre „Hitlerkantate“ theoretisch flankiert, heutzutage wirkt der Film wie eine Flaschenpost aus vergangenen Tagen. Verglichen mit der mittlerweile gängigen filmischen Auseinandersetzung mit der NS-Zeit wirkt „Hitlerkantate“ zunächst altmodisch, spröde und intellektuell überdeterminiert: Der Führer als Sexsymbol, ödipale Konflikte, avantgardistische Kunstproduktion zwischen Sozialismus und Faschismus, Exil-Romantik mit Zigarre im Mund (Hilmar Thate gibt gerne mal den Bertolt Brecht), Nazi-Pornos und Züchtungsfantasien – „Hitlerkantate“ will möglichst viele Facetten der komplexen Thematik mittels symbolisch anspruchsvoller Einstellungen und anti-naturalistisch verdichteter Dialoge zum Klingen bringen, was mitunter an die stilisierten Spielfilmversuche von Harun Farocki oder Ingemo Engström erinnert. Lässt man sich darauf ein, wird man mit diskussionswürdigen Einsichten und originellen filmischen Lösungen belohnt. Und Lena Lauzemis als „Ursula“ ist eine faszinierende Entdeckung!
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