Filmisches Essay über die Geschichte der deutschen Nachkriegswirtschaft, das in Wort und Bild Kontinuitäten, Brüche, Verknüpfungen und Vernetzungen des Ökonomischen augenfällig macht. Ein extrem vielschichtiger Diskurs über Geschäft und Geschäfte, Karrieren, Affären und Persönliches, wobei mit Dauer des Films deutlich wird, dass immer wieder die gleichen Namen in immer anderen Zusammenhängen fallen. Trotz des trockenen Themas hat der Film, auch durch seine anekdotenhafte Struktur, viel Sinnliches zu bieten.
- Ab 16.
Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen?
- | Deutschland/Österreich 2004 | 73 Minuten
Regie: Gerhard Benedikt Friedl
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Filmdaten
- Originaltitel
- HAT WOLFF VON AMERONGEN KONKURSDELIKTE BEGANGEN?
- Produktionsland
- Deutschland/Österreich
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- HFF/WDR
- Regie
- Gerhard Benedikt Friedl
- Buch
- Gerhard Benedikt Friedl
- Kamera
- Gerhard Benedikt Friedl
- Schnitt
- Gerhard Benedikt Friedl
Diskussion
Konkursdelikte, das klingt kompliziert und wenig glamourös. Konkursdelikte sind kein Gegenstand für das Kinos. Im Kino geht es um aberwitzige Einbrüche, um Umverteilungskämpfe in der Manier eines Robin Hood, vielleicht auch noch um besonders dreiste Raubüberfälle mit hohem logistischen Aufwand. Aber Konkursdelikte, Scheinkäufe oder Aktienschiebereien sind nicht physisch genug, um Gegenstand eines Films zu sein. Denkt man; doch Gerhard Friedls eigenwilliger Abschlussfilm der Abteilung Dokumentarfilm an der HFF München beweist das Gegenteil und macht sich Brechts Einschätzung zu eigen, derzufolge eine Fotografie der AEG-Werke nichts über die hinter der Fassade herrschenden Bewegungsgesetze verrate. „Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen?“ ist ein filmischer Essay über die deutsche Nachkriegswirtschaftsgeschichte, die keine „Stunde Null“ kannte, da bekannte Namen wie Stinnes, Flick oder Krupp Kontinuität bezeugen. Das Verfahren, das Friedl dabei wählt, ist nicht nur schlicht genial, sondern auch überaus unterhaltsam, indem er Handeln unter ökonomischer Ratio konsequent in Pop, in reine Oberfläche verwandelt. Er macht aus der Bildernot so eine Tugend. Die Bezüge zwischen den Ebenen der Denotation und der Konnotation filmischen Erzählens ist gelockert. Hier wird nicht aufgedeckt oder doziert, sondern es werden Zusammenhänge geschaffen, indem Aussagen aneinander gereiht werden, die nur zu Beginn kontingent erscheinen und immer etwas Amüsantes haben. Wie erzählt man die Pleite der Herstatt-Bank, die Schwarzgeld- und Parteispenden-Affären oder die in Vergessenheit geratenen Starfighter-Deals, wenn man nicht in Fernsehmanier den Einzelfall rekonstruieren will? Friedl lässt aus dem Off lakonisch Anekdotisches verlesen. Es sind kurze Sätze, die unterschiedliche Genres mischen: Familiengeschichten werden mit Firmengeschichten verwoben, Persönliches fließt mit Geschäftlichen ineinander, Politikerkarrieren, Karrieresprünge und -knicks kommen hinzu. Gründungsmythen bedienen sich beim patriarchalen Bildinventar („XY will seinen Angestellten ein Vorbild sein“), Katastrophen wie Firmenzusammenbrüche ereignen sich mal still und leise, dann wieder versuchen Pleitiers mit aristokratischer Geste aus dem Leben zu treten, Krankheiten und Unglücksfälle kommen hinzu, aber auch Marotten und Spleens: „Aufregungen lösen bei Hans Gerling Druckgefühle hinter dem Brustbein aus.“
Unwillkürlich denkt man angesichts der erstaunlichen Auswahl der „Notizen“ an die Arbeiten Alexander Kluges, die mit einer vergleichbaren Rhetorik Zusammenhänge herstellen. Die bildliche Ebene ist allerdings gerade keine beweisführende Entsprechung der akustischen Erzählung, sondern bewegt sich frei dazu, suggeriert vielleicht sogar mehr, als sie de facto einlöst. Mal werden anonyme Kassenräume, mal die Tresorräume einer Bank gezeigt, dann wieder gleitet die Kamera durch Fabrikhallen, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheinen, was den Zuschauer dazu reizt, Wort und Bild in Zusammenhang zu bringen. Doch die Entsprechungen finden sich mitunter nur auf der akustischen Ebene, wenn etwa die Zahl der Gäste einer Geburtstagsfeier gegen die Zahl der Aktionäre, die nach dem Bankrott ihre Einlagen zurückfordern, aufgerechnet werden. Mitunter entstehen auch Kontrastfiguren, wenn Bilder eines tristen Hinterhofsportplatzes gegen den Prunk der Wirtschaftsmächtigen ausgespielt werden. Lange Fahrten durch Städte wie Frankfurt, Monaco oder Genf erinnern an verwandte Verfahren bei Huillet/Straub. „Hat Wolff von Amerongen Konkurskonflikte begangen?“ kopiert einerseits die Erzählweise der Yellow-Press über die Wirtschaftsmächtigen, die sich stets darum bemühen, das Menschelnde in den Vordergrund zu rücken und private Unglücksfälle für wichtiger als Werksfusionen zu nehmen. Dennoch gelingt es Friedl, der reinen Aufzählung auf Dauer eine Struktur zu verleihen: Bestimmte Namen und Affären sind dem Zuschauer noch in Erinnerung, bestimmte Namen tauchen wie Pointen immer wieder auf (etwa wenn Gerling in Folge des Konkurses der Herstatt-Bank Teile seines Konzerns an Flick veräußern muss), bestimmte Zusammenhänge werden augenzwinkernd suggeriert und dann durch entsprechende Bilder bekräftigt (etwa wenn es um informelle Beziehungen und Gespräche geht). Letztlich ist die Zahl der Akteure jedoch erstaunlich überschaubar. Wie in einer Kindertheater-Inszenierung werden diese peu à peu vorgestellt und kurz charakterisiert („Franz Josef Strauß bemüht sich um sein Privatvermögen. Er vertraut seinem Freund Karl-Heinz Schreiber. Schreiber ist Flugzeug- und Waffenhändler.“) Je näher der Film der Gegenwart kommt, desto besser fügen sich die Puzzleteile von Wort und Bild ineinander, ergeben ein Bild, das nur im Kopf des Zuschauers existiert, gerade, weil die Vorgänge, die der Film umkreist, sich mit Archivmaterial nicht darstellen lassen. Mit Fortdauer des Films beginnt man bestimmte Auftritte geradezu zu warten. Nach 40 Minuten ist es beispielsweise soweit, Holger-Ludwig Pfahls betritt die Bühne. Waffengeschäfte mit der österreichischen Bundesarmee. Dazu eine Fahrt durch die Straßen Wiens. Oder ist es bereits Paris, wo Pfahls schließlich den Fahndern ins Netz ging? „Walter Leisler Kiep sagt, sein Leben habe in der Politik keine Spuren hinterlassen.“ In Friedls Film, der sich zu diesem Zeitpunkt zum Polit-Thriller über die unsichtbaren Netzwerke der Macht entwickelt hat, allerdings schon.
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