The New World

- | USA 2005 | 135 Minuten

Regie: Terrence Malick

Terrence Malick erzählt die historische Begegnung des englischen Kolonisten John Smith und der jungen Indianerin Pocahontas (1607) in elegischen Szenenfolgen von singulärer Bildkraft und Poesie. Hinter der individuellen Geschichte entdeckt er das Drama der Welt und der Zivilisation, symbolisiert in der mythischen Schicksalhaftigkeit des Zusammenpralls der "alten" und der "neuen Welt". Ein hochsensibler Film, in dem Kamera, Schnitt und Musik eine ebenso große Rolle spielen wie die Darsteller. - Sehenswert ab 12.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
THE NEW WORLD
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
New Line Cinema/Sunflower Prod./Sarah Green Film Corp./First Foot Films/The Virginia Co.
Regie
Terrence Malick
Buch
Terrence Malick
Kamera
Emmanuel Lubezki
Musik
James Horner · Wolfgang Amadeus Mozart · Richard Wagner
Schnitt
Richard Chew · Hank Corwin · Saar Klein · Mark Yoshikawa
Darsteller
Colin Farrell (John Smith) · Q'Orianka Kilcher (Pocahontas) · Christopher Plummer (Capt. Christopher Newport) · Christian Bale (John Rolfe) · August Schellenberg (Powhatan)
Länge
135 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Die in den USA und GB auf BD erschienene Langfassung (172 Min.) ist in Deutschland bislang nicht erschienen. Die Extras beinhalten ein ausführliches "Making of" (60 Min.).

Verleih DVD
Warner (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
DVD kaufen

Diskussion
In 32 Jahren hat Terrence Malick nur vier Filme gemacht, diesen eingeschlossen. Seine Werke sind Fremdkörper in der extrovertierten Welt des amerikanischen Filmschaffens. Sie haben nichts gemein mit den veräußerlichten Anbiederungen Hollywoods an einen schlechten Publikumsgeschmack, aber ebeno wenig mit den ambitionierten Selbstgefälligkeiten vieler Independents, denen filmische Fantasie und Bildgewalt abhanden gekommen sind. Malick, der einst Heidegger übersetzt hat und in seiner Frühzeit nichts Geringeres als ein Epos über die Erschaffung der Welt auf die Leinwand bringen wollte, ist wie ein Prophet in der Wüste. Er erzählt seine Geschichten in elegischen Bildfolgen von singulärer Kraft und Poesie; er interessiert sich vornehmlich für die Mythen, aus denen seine Figuren und Geschichten ihre Nahrung beziehen. Wasser, Wolken, Tiere und sich im Wind wiegende Gräser sind ihm wichtiger als die meist doch nur dem Augenblick verhaftete Psychologie der Personen. Der Atem, der durch Malicks Filme weht, ist der Atem der Schöpfung. „The New World“ erzählt eine Story, die allen Amerikanern vertraut ist, die Geschichte der Indianerin Pocahontas nämlich, die sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts in den englischen Kapitän John Smith verliebte. Was den Nachfahren der Kolonisten die Stammeshäuptlinge Sitting Bull und Crazy Horse waren, sind den Pazifisten die Sagen, die sich um das kleine Indianermädchen Pocahontas gewoben haben. Smith überlieferte in seinen eigenen Aufzeichnungen das erhabene Bild von der unzivilisierten Schönheit, die bereit gewesen sei, ihr Leben für ihn aufzugeben. So hat Pocahontas die Jahrhunderte überdauert – bis hin zur idyllisch stilisierten Zeichentrickheldin in einem Walt-Disney-Film: eine Pop-Figur, in deren Biografie die tragische Dimension ihrer Lebensgeschichte bedeutungslos geworden ist. Dort, wo die Pop-Ikone aufhört, fängt Malicks Film an, indem er den geläufigen Mythos gleichsam auf den Kopf stellt. Pocahontas ist bei Malick keine gefällige Legendenfigur mehr. Ja, sie ist nicht einmal mehr Pocahontas. Kein einziges Mal fällt in dem Film ihr Name. Es ist einfach „sie“, von der hier die Rede ist. Entsprechend wenig erfährt der Zuschauer auch über jenen Captain Smith. Es wird nicht einmal klar, warum er auf der Überfahrt in Eisen gelegt wurde. Beide sind Repräsentanten unterschiedlicher Kulturen, deren Zusammenprall Malicks Aufmerksamkeit gilt. Die Eroberer betreten staunend ein Paradies, das sie ebenso wenig begreifen wie für sich nutzbar machen können. Andererseits erzählt Malick aber auch nicht die abgegriffene Story vom verlorenen Paradies. Sein Film zeigt sich von Anfang an unbeeinflusst von heutigen Denkweisen und historischen Modellen. Er entwickelt sich als das Drama der Welt schlechthin, in der Kultur unvorstellbar ist ohne Natur und Natürlichkeit, auf die Malick stets sein Augenmerk richtet. Diesem Konzept entsprechend, erzählt er die Geschichte der zwölfjährigen Indianerin weniger mit Dialogen als mit stummen, in den Rhythmus der Natur eingebetteten Szenenfolgen, die von leise gesprochenen inneren Monologen akzentuiert werden – sehr ähnlich seinem vorangegangenen Film „Der schmale Grat“ (fd 33 554). Wenn zu Beginn des Films die langsam anschwellende Musik von Richard Wagners „Das Rheingold“ Bilder des Meeres und der Flüsse begleitet, dann symbolisiert das nicht nur die kataklysmische Begegnung der „alten“ und der „neuen Welt“, sondern auch die Schicksalhaftigkeit der Ereignisse, die folgen: die in zarten Andeutungen belassene Liebesgeschichte, deren Scheitern geradezu vorherbestimmt ist; die für beide Seiten katastrophale Auseinandersetzung zwischen Eroberern und Ureinwohnern; die Ehe des Mädchens mit einem wohlhabenden Engländer und die schließliche Übersiedlung in die „alte Welt“. Wie wenig Geschichtstreue für Malick im Vordergrund steht, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er Pocahontas´ Ende (sie starb im Alter von 20 Jahren an Tuberkulose) außer Betracht lässt. Sein Film endet, wie er begonnen hat – mit Bildern strömenden Wassers zu der vom Anfang her vertrauten „Rheingold“-Musik. Was an Malicks Filmen seit jeher am meisten fasziniert, ist das, was ein amerikanischer Kritiker einmal ihre „Pausen“ genannt hat. Es sind „Pausen“, in denen die Handlung stillzustehen scheint und die Kamera sich Zeit nimmt, in die Natur abzuschweifen. In „Der schmale Grat“ hörte der Stellungskrieg zeitweilig auf, um den Blick des Zuschauers auf die Umgebung zu konzentrieren, die ebenso Opfer der Zerstörung wurde wie die Menschen. Es ist eine Überhöhung der erzählten Story ins Mythische, die Malick dadurch erreicht: Krieg als Teil der Menschheitsgeschichte dort, Zivilisation als fragwürdiger Gegenpol des Natürlichen hier. Wo Malicks Sympathien liegen, danach muss man nicht lange suchen. Den Bildern des unberührten Virginias, das die Kolonisten mit ihren stinkenden Siedlungen und ihrer Gier nach Gold verunreinigen, steht eine alle Spontaneität vermissen lassende geometrische Landschaft in der „alten Welt“ gegenüber, wo sich der Gott, von dem die Engländer immer reden (wie die Indianer sagen), wohl kaum mehr wohlfühlen würde. Kamera, Schnitt und Musik haben auch diesmal eine mindestens so große – wenn nicht größere – Bedeutung wie die Darsteller. Mit der zur Zeit der Dreharbeiten 14 Jahre alten Q´Qrianka Kilcher hat Malick Glück gehabt. Noch unbeeinflusst von allen Star-Allüren, gibt sie ihm die Naivität und Unbekümmertheit, die er für diese Rolle brauchte. Dramatisches hatte sie ohnehin nicht zu spielen, denn bei Malick entwickelt sich das Drama stets hinter verhaltenen Blicken und Gesten. Wenn er Emotionen erzeugen will, hilft ihm die Kamera mehr als die Schauspieler – und, nicht zu vergessen, die Musik. Malick stört sich nicht daran, Musik anachronistisch zu verwenden, solange sie genau das vermittelt, was er haben will. Mozart ist ihm gerade recht, obwohl die Handlung anderthalb Jahrhunderte vor dessen Geburt spielt. Dessen 23. Klavierkonzert bewirkt für die immens zurückhaltenden Liebesszenen genau das, was Bo Widerberg 1967 in „Elvira Madigan“ (fd 15 385) schon mit dem 21. Klavierkonzert erreichte: Für Augenblicke sind die Figuren auf der Leinwand und das Publikum im Kino der Welt entrückt. Für viele Zuschauer, deren Aufmerksamkeitsspanne von Fernsehdramaturgie und Actionfilmen auf Sekundenlänge reduziert wurde, mag Terrence Malicks Stil ebenso befremdlich wirken, wie es Kubricks „2001“ (fd 15 732) für die Mehrzahl der Kinogänger stets geblieben ist. Malick verweigert sich Kompromissen. Doch er scheint bereit zu sein, die diversifizierten Möglichkeiten heutiger Filmdistribution (und vielleicht noch mehr der bevorstehenden digitalen Kinoprojektion) wahrzunehmen. Es gibt nämlich heute bereits zwei verschiedene, von Malick selbst hergestellte Versionen von „The New World“ – und demnächst wird es auch noch eine dritte geben. Die erste erschien im Dezember in New York und Los Angeles, um den Film für die „Oscar“-Verleihung zu qualifizieren. Sie ist 150 Minuten lang. Die zweite ist die jetzt allerorts verbreitete Verleihfassung mit 135 Minuten Laufzeit. Auf DVD wird dann in ein paar Monaten eine drei Stunden lange Version auf den Markt kommen. Malick diskreditiert keine der verschiedenen Fassungen, sondern lässt sie als gleichberechtigte Versionen nebeneinander stehen. Der Rezension liegt die 135-Minuten-Fassung zugrunde.
Kommentar verfassen

Kommentieren