Ein vor einigen Jahren nach Paris ausgewanderter Kirgise kehrt mit seiner französischen Ehefrau in spe in sein Heimatdorf zurück. Doch seine Eltern wollen ihren Sohn traditionsgemäß verheiraten, und so verleugnet der Heimkehrer seine Braut. Erstlingsfilm über den Konflikt zwischen Tradition und Moderne, der sich durch bunte, stilisierende Metaphern zum Unterhaltungsfilm mausert und dabei den Respekt vor seinem Sujet in ethnografischer Despektierlichkeit verliert.
- Ab 14.
Kirgisische Mitgift
- | Frankreich/Russland/Deutschland/Kirgisistan 2006 | 102 Minuten
Regie: Nurbek Egen
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Filmdaten
- Originaltitel
- SUNDUK PREDKOV | ISABELLE OU LA RENCONTRE INATTENDUE | L' ÉTÉ D'ISABELLE
- Produktionsland
- Frankreich/Russland/Deutschland/Kirgisistan
- Produktionsjahr
- 2006
- Produktionsfirma
- Kinoglaz/Pygmalion/Sanzhyra/MACT/Thoke+Moebius Film
- Regie
- Nurbek Egen
- Buch
- Nurbek Egen · Ekaterina Tirdatova
- Kamera
- Dmitri Ermakov
- Musik
- Alexei Aigui
- Schnitt
- Marat Magambetow
- Darsteller
- Natacha Régnier (Isabelle) · Bolot Tentimyshov (Aidar) · Marat Zhantelier (Osonbai) · San Amanov (Yusup) · Marat Kozukeev (Ermek)
- Länge
- 102 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Der Weg ins Ausland ist in vielen abgeschiedenen Regionen der Welt die einzige Möglichkeit, eine gute Ausbildung zu absolvieren und beruflich voranzukommen. In der neuen Heimat herrschen dann meist auch andere Werte, und folgerichtig kommt es bei der Rückkehr zum „Culture Clash“. In „Kirgisische Mitgift“ hat Aidar vor einigen Jahren sein kirgisisches Heimatdorf Richtung Paris verlassen, wo er den Aufstieg in die obere Mittelschicht geschafft und mit Isabelle eine Frau gefunden hat, die er bald heiraten will. Gemeinsam fahren beide in die kirgisischen Berge, um die Zukunftspläne den Eltern und Verwandten bekannt zu geben. Doch die Tradition will es anders: Aidar soll eine Kirgisin heiraten, nicht zuletzt, um einen Fluch zu brechen, der über der Familie liegt, seitdem vor neun Generationen ein Sohn gegen den Willen seines Vaters ein andersgläubiges Mädchen heiratete.
Nurbek Egen spricht in seinem ersten Spielfilm aus eigener Erfahrung. Der 1975 im südkirgisischen Osch-Gebirge geborene Regisseur studierte sein Handwerk an der Moskauer Filmhochschule WGIK. Dort war er, wie er sagt, „gezwungen, die Traditionen und Gebräuche meines Volkes und meiner Eltern zu ignorieren. ... Ich bewegte mich zwischen zwei Welten, zwischen zwei Kulturen, zwischen Ost und West“. Sein filmisches Alter Ego Aidar kehrt als Fremder in die Heimat zurück. Die Idylle der klaren Bergbäche und baumbestandenen Steilhänge kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass er hier nicht als Gast auf Besuch willkommen ist, sondern als integrativer Teil eines Clans, für den es andere Pläne gibt als die Heirat ins entfernte Frankreich. Im Elternhaus steht die Hochzeitskiste bereit, die seit der Geburt des Kindes mit symbolisch und materiell wertvollen Dingen – Schmuck, Kleider, Geld – gefüllt wird, um am Hochzeitstag als Grundstock für das frisch verheiratete Ehepaar die Fortführung der Traditionen zu garantieren.
Eine französische Verlobte passt in diese Vorstellung nicht hinein, und so begegnet Aidar dem Zuschauer vor allem als Feigling und stellt Isabelle bei seinen Eltern als Journalistin vor. Die versteht zunächst nicht, warum sie in einem anderen Haus schlafen muss, integriert sich aber allmählich in die schweigsam distanzierte Dorfgemeinschaft. Vor allem mit Aidars Mutter verbindet sie bald eine Freundschaft, während sich der Sohn und Geliebte immer weiter in sein selbstgestricktes Lügengespinst verwickelt. Natürlich kommt die Wahrheit zum Schluss ans Licht, und eigentlich müsste Aidar nun, da er sich des Verrats an der Familientradition schuldig gemacht hat, getötet werden. So weit treiben es denn aber die Vorsintflutler aus den kirgisischen Bergen nicht – schließlich hat der vereinsamte, moralstrenge Postbote, der als Hüter der Tradition auftritt, Marcuse gelesen und befindet sich selbst in einem Konflikt zwischen Tradition und Moderne.
Vor dem vielschichtigen Hintergrund dieses Antagonismus entwickelt sich „Kirgisische Mitgift“ vor allem als Unterhaltungsfilm, und so greift Egen zu stilisierenden Metaphern, um seinen Plot stringent darstellen zu können. Da geht es, wie in der Dorfschlägerei nach der Heirat von Aidars Cousine, in Bezug auf Alkohol und auch sonst tatkräftig zur Sache, farbenfroh und lärmend; da flattert allerlei Kleingetier um die Füße der Protagonisten und da muss sich Isabelle in ein hölzernes Duschprovisorium zurückziehen, in dem sie natürlich unter Beobachtung der Dorfjugend steht. Egen bezeichnet Emir Kusturica und Wong Kar-wai als seine Vorbilder, und tatsächlich folgt „Kirgisische Mitgift“ deren dramaturgischen Strickmustern aus Poesie, menschlicher Nähe und Folkloristik. Nur, dass der Zuschauer bei „Kirgisische Mitgift“ nicht vom Strudel der Ereignisse mitgerissen wird, sondern außen vor bleibt: als Beobachter einer vormodernen Wertegemeinschaft, hinter deren Trachten das Korsett der Tradition hervorlugt. Eigentlich eine Geschichte mit Potenzial, doch begegnet Egens Film seinem eigenen Sujet mit einer ethnografischen Despektierlichkeit, deren bunte Bilderreigen die Exotik ihres Gegenstands zur Schau stellen. „Kirgisische Mitgift“ ordnet sich der bipolaren Weltsicht zwischen „Tradition“ und „Moderne“ unter und wirft dabei kein neues Licht auf eine alte Kultur – der Zuschauer dankt dies, wie 2006 auf dem Filmfestival Cottbus, mit dem Publikumspreis. Letztlich sind weder Aidar noch Isabelle noch die Dorfbewohner dem Zwiespalt zwischen diesen Kulturen gewachsen, man verabschiedet sich zwar ohne Verbitterung, aber doch als Fremde.
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