Dokumentarfilm über Arlit, eine Stadt in Niger, die einst vom Uran-Abbau lebte und durch ihn florierte, nach dessen Reduzierung an Armut sowie an der Erkrankung vieler ehemaliger Arbeiter leidet. Heute dient Arlit als Durchgang für Migranten und Menschenschmuggler. Der sehr ruhige, ernsthafte Film zeigt die Trostlosigkeit des Lebensraums und lässt zahlreiche Bewohner über ihre verlorenen Hoffnungen und ihr Überleben sprechen, erhebt dabei aber keinerlei Anspruch auf Objektivität. (O.m.d.U.)
- Ab 14 möglich.
Arlit, deuxième Paris
Dokumentarfilm | Benin/Frankreich 2005 | 78 Minuten
Regie: Idrissou Mora-Kpai
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Filmdaten
- Originaltitel
- ARLIT, DEUXIEME PARIS
- Produktionsland
- Benin/Frankreich
- Produktionsjahr
- 2005
- Produktionsfirma
- Noble Films/MKJ
- Regie
- Idrissou Mora-Kpai
- Buch
- Idrissou Mora-Kpai
- Kamera
- Jacques Bessé
- Musik
- Amadou Sariki Nomma · Ferdewass Arlit
- Schnitt
- Vera Memmi
- Länge
- 78 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14 möglich.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Einst war die Stadt in ganz Afrika als „zweites Paris“ bekannt, Regisseur Idrissou Mora-Kpai hat sie auch noch mit dem New York des 19. Jahrhunderts verglichen: Arlit, ein Nest in Niger, mitten in der Sahara. Wenn die Kamera immer wieder das Areal abschwenkt, die Stadt und die Umgebung, dann kann man diese Beschreibungen für übertrieben, wenigstens aber für hoffnungslos veraltet halten. Die Stadt besteht aus Lehmbauten, die sich farblich kaum vom gelblich-braunen Boden abheben, die Umgebung ist eine flache Steinwüste, die nicht einmal pittoreske Dünen zu bieten hat, sondern nur ein nacktes, staubiges Nichts. Mit diesem Nichts müssen sich die Menschen in Arlit auseinandersetzen, seit der einzige große Arbeitgeber der Region, Cogema, nur noch mit halber Kraft und zu weitaus geringeren Tarifen produziert: eine Firma für Uran-Abbau, die gigantische Löcher in den Wüstenboden gegraben und endlose Stollen hineingetrieben hat. Nicht nur die Arbeiter profitierten einst durch (für die Region) sehr hohe Löhne von den Vorkommen; die ganze Stadt hatte ihre Infrastruktur darauf eingestellt, eine Boomtown, die Arbeitssuchende und Glücksritter aus ganz Afrika anlockte. Seit einigen Jahren aber, da die Preise für Uran im Keller sind, wirkt Arlit wie eine Stadt im Wartezustand, in einer lähmenden Lethargie, im Verfall.
Mora-Kpai, der aus Benin stammt und an der HFF in Babelsberg studiert hat, lässt Arlits Bewohner vom Niedergang der Stadt erzählen. Zwei Frauen sitzen tagein, tagaus hinter dem Tresen einer Kneipe, die nie ein Gast betritt. Auf die Frage an eine von ihnen, womit sie ihren Lebensunterhalt bestreite, antwortet sie geheimnisvoll: „Auf meine Weise.“ Hätte sie das Geld, würde sie sofort verschwinden. Das gilt auch für den aus Benin eingewanderten Mechaniker, der an uralten Pick-ups und Motorrädern herumschraubt und am liebsten zurück in die Heimat gehen würde. Zwei alte Männer berichten von ihrer Freundschaft über alle schlechten Zeiten hinweg, vor allem von ihren Krankheiten. Denn Arlit ist nicht nur von Armut betroffen, sondern auch vom schleichenden Tod durch Radioaktivität. Niemand, so erzählt ein Tuareg, hätte die Arbeiter je über die Gefahren des Uran-Erzes aufgeklärt, weshalb sie jahrelang ungeschützt in den Minen tätig waren. Manche starben qualvoll noch während ihrer Beschäftigung, andere später. Die Ärzte des Ortes scheinen vorwiegend in Diensten des Arbeitgebers zu stehen. So behauptet einer vor der Kamera, dass 99 Prozent der Lungenkrebs-Toten auf das Konto von Tabakgenuss gingen; in den Minen könne man sich höchstens Ekzeme holen. Vertreter der Firma Cogema kommen nicht zu Wort. Auch kann man nur erraten, wer gerade spricht, weil der Regisseur konsequent auf identifizierende Bauchbinden verzichtet hat. Deutlich wird aber die multiethnische Zusammensetzung der Stadtbevölkerung, die Arlit heute vor allem als Ort des Durchgangs charakterisiert; denn Arlit ist für zahllose Afrikaner, die der Armut entfliehen wollen, die letzte schwarzafrikanische Stadt vor der Sahara, auf dem ungewissen Weg nach Europa. Mora-Kpai spricht mit Menschenschmugglern, denen es egal ist, was mit ihren Kunden am Ankunftsort in Algerien passiert, und mit Migrationswilligen, die auf der langen Reise ihr Leben riskieren. Es ist ein sehr gemächlicher Film, der sich dem Tempo des Ortes anzugleichen scheint, sensibel, aber sachlich und ohne zu dramatisieren: das Porträt einer Metropole auf Zeit, einer Stadt der zerbrochenen Hoffnungen.
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