Nächtliche Irrfahrt

Psychothriller | Frankreich 2003 | 102 Minuten

Regie: Cédric Kahn

Ein französisches Ehepaar fährt in den Süden, um seine Kinder aus einer Ferienkolonie abzuholen. Auf der Autofahrt macht der Mann immer wieder Pausen und trinkt zuviel, was zu Streitereien führt. Als die Frau verschwindet, gerät der Mann in Panik und sucht sie vergebens. Dafür wird er von einem Anhalter bedroht. Thriller nach einem Roman von Georges Simenon, der einen Mann auf verlorenem Posten zeigt. Formal ein Road Movie, bezieht der wortkarge Film seine Spannung aus der umsichtigen Inszenierung, die sich vor allem auf den hervorragend dargestellten Ehemann konzentriert. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
FEUX ROUGES
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Alicéléo/France 3 Cinéma/Gimages
Regie
Cédric Kahn
Buch
Laurence Ferreira Barbosa · Cédric Kahn · Gilles Marchand
Kamera
Patrick Blossier
Musik
Claude Debussy
Schnitt
Yann Dedet
Darsteller
Jean-Pierre Darroussin (Antoine) · Carole Bouquet (Hélène) · Vincent Deniard (Ausbrecher) · Charline Paul (Kellnerin) · Jean-Pierre Gos (Polizeiinspektor)
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Psychothriller
Externe Links
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Diskussion
Das Rot im Originaltitel („Rote Lichter“) steht für Gefahr, und in der gespenstischsten Szenen des Films sieht man Laubbäume, die dicht an dicht durch die Fahrtbewegung vorbeirauschen – monochrom rot eingefärbt. Der Thriller, den Cédric Kahn nach dem gleichnamigen Krimi von Georges Simenon drehte, lebt von solchen bedrohlichen Stimmungsbildern. Immer wieder sieht man die nächtliche Straße aus dem Blickwinkel des Autofahrers, der sich selbst mit dieser Fahrt immer mehr quält. Anfangs waren sie zu zweit im Auto: Das Ehepaar Antoine und Hélène, beide um die 40, ist auf dem Weg von Paris in die Region Landes (südlich von Bordeaux am Atlantik), um ihre Kinder aus dem Ferienlager abzuholen. Doch die Fahrt stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Schon bei der Verabredung im Café in Paris hat der kleine Angestellte ein Bier zuviel getrunken, während er auf seine verspätete Frau, eine Anwältin, gewartet hat. Im Verlauf der Fahrt macht er immer wieder Halt in Kneipen am Wegrand und trinkt. Was seine Frau aufregt, und Antoine auch. Das Paar streitet, Antoine wird immer betrunkener, hat Konzentrationsschwierigkeiten, fährt immer gewagter. Als er von einem Kneipenbesuch auf den Parkplatz zurückkommt, ist seine Frau verschwunden. Ein Zettel informiert: „Fahre mit dem Zug weiter.“ Nun gerät Antoine erst recht in Panik: Er fährt zum Bahnhof, wo der Zug gerade weg ist, holt ihn zwischendurch ein, sodass er neben ihm herfährt, verliert ihn aber wieder. In einer Kneipe nimmt er einen zweifelhaften Mann mit, von dem er schnell ahnt, dass er derjenige ist, vor dem die Polizei im Radio gewarnt hat – und tut im weiteren Verlauf im Affekt Dinge, die er wohl nie für möglich gehalten hat. Die sommerliche nächtliche Fahrt ist Kernstück des Films. Die Stimmung während der Fahrt macht ihn so spannend: Da sind nicht nur die Blicke auf die Landstraße mit den gelben Markierungen und roten Lichtern in den Ortschaften, den bedrohlichen Bäumen am Wegesrand und dem angespannten Gesicht des Autofahrers, den einsamen Rastplätzen, wo nur die Neonreklame der Kneipe leuchtet, den seltsamen Typen in den Kneipen. Virtuos setzt Kahn dazu impressionistische Musik von Debussy ein, die in Kombination mit den Bildern und den wenigen aggressiven Dialogen des Fahrers mit seiner Frau und seinem Anhalter die Bedrohung noch verdichtet. Da sich das meiste im Innern des Wagens abspielt, ist das Road Movie über weite Strecken ein Kammerspiel – bis es am Ende in ein Psychodrama umschlägt. 15 Anrufe führt Antoine am nächsten Morgen in einer Kneipe – und Kahn bezieht daraus mit fast statischer Kamera eine intensive Spannung der Worte und Gesten. Mal ist Antoine freundlich, mal wütend. Das Wechselbad seiner Gefühle zeigt, wie hilflos er ohne seine Frau ist, die er sucht und schließlich in einem Krankenhaus findet. Dass sie ihn am Ende anlächelt und um Verzeihung bittet, weil sie ihn verlassen hatte – obwohl sie fast genauso schlimme Dinge erleben musste wie er –, ist kein Happy End, sondern nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm. Kahn hat den Krimi Simenons aus dem Jahr 1953, der am Labor Day in den USA (zwischen New York City und Maine) spielt, ins gegenwärtige Frankreich geholt, das nächtens auf den Nationalstraße und Landstraßen überraschend amerikanisch aussieht. Vor allem konzentriert er den Blick auf den Ehemann, einen verkappten Alkoholiker – ob aus Stress oder aus Gewohnheit, wird nie ganz klar –, der eine Fahrt durch die Hölle erlebt. Jean-Pierre Darroussin spielt den verzweifelt-unbekümmert-genervten Mann mit einer Intensität, die keinen kalt lässt, während Carole Bouquet in wenigen Szenen als beherrschte, immer gefühlkälter werdende Ehefrau eine für sie typische Rolle spielt. Damit rückt sie Darroussin umso stärker in den Mittelpunkt und macht aus „Nächtliche Irrfahrt“ einen sehenswerten Thriller in der Tradition von Chabrol und Hitchcock.
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