Weihnachten 1914: Deutsche, französische und schottische Soldaten stellen die Kampfhandlungen in den verschlammten Schützengräben an der Westfront für wenige Tage ein, begehen gemeinsam das Weihnachtsfest, bergen und begraben ihre Toten und gewähren sich gegenseitig Unterschlupf. Der vage Ansatz der Fraternisierung wird von den Generalen unter Strafandrohung unterbunden. Die kinogerechte Dramatisierung eines historisch verbürgten Ereignisses, das auf den weiteren Verlauf des Ersten Weltkriegs keinen Einfluss hatte. Die biedere Inszenierung greift auf nationale Klischees zurück und schielt auf publikumswirksame Effekte, was die wichtige Friedensbotschaft deutlich schmälert.
- Ab 16.
Merry Christmas
Kriegsfilm | Frankreich/Deutschland/Großbritannien/Belgien/Rumänien 2005 | 115 Minuten
Regie: Christian Carion
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Filmdaten
- Originaltitel
- JOYEUX NOËL
- Produktionsland
- Frankreich/Deutschland/Großbritannien/Belgien/Rumänien
- Produktionsjahr
- 2005
- Produktionsfirma
- Nord Ouest Prod./Senator Film/The Bureau/Artémis Prod./MediaPro Pic./Les Productions de la Guéville/TF 1 Films
- Regie
- Christian Carion
- Buch
- Christian Carion
- Kamera
- Walther van den Ende
- Musik
- Philippe Rombi
- Schnitt
- Andrea Sedlácková
- Darsteller
- Diane Krüger (Anna Sörensen) · Benno Fürmann (Nikolaus Sprink) · Guillaume Canet (Lieutenant Audebert) · Gary Lewis (Palmer) · Dany Boon (Ponchel)
- Länge
- 115 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Kriegsfilm | Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
Der Erste Weltkrieg ist als erster moderner Krieg in die Geschichte eingangen, weil die Mobilmachung in ihm gesellschaftlich umfassend war und seine Schlachten mit den Mitteln der Industrialisierung geschlagen wurden. Der zähe Stellungskrieg an der Westfront machte aus Soldaten das sprichwörtliche Kanonenfutter und aus der Generalität zynisch kalkulierende Fabrikherren des massenhaften Todes. Die Realität dieses Krieges war derart verheerend, dass der so genannte Weihnachtsfrieden von 1914 im kollektiven Gedächtnis bis heute eine erstaunlich geringe Bedeutung hat. Während die kurzzeitige Verbrüderung der verfeindeten Truppen an weiten Teilen der Westfront in Großbritannien immerhin ein fester Bestandteil der Erinnerungsfolklore ist und mittlerweile dort auch eingehend erforscht wurde, hat dieses ungewöhnliche Ereignis in Deutschland und Frankreich noch keine vergleichbare Aufarbeitung erfahren: Dass sich daran etwas ändern wird, ist auch nach Christian Carions „Merry Christmas“ eher unwahrscheinlich.
Es ist ein kleiner Frieden im großen Krieg: Schottische, französische und deutsche Einheiten liegen sich an Weihnachten in Rufweite in ihren vom Regen durchtränkten Schützengräben gegenüber und begehen das Fest als kurze Atempause. Als aus den deutschen Stellungen besinnliche Lieder zu hören sind, antworten die gegnerischen Verbände mit ihren nationalen Weihnachtsmelodien. Dem musikalischen Dialog folgen zögerliche Rufe, dann steigen die ersten Soldaten aus ihren Gräben, um einander im Niemandsland zwischen den Fronten die Hand zu reichen. Schließlich einigen sich die kommandierenden Offiziere auf einen allgemeinen Waffenstillstand; die Toten werden Seite an Seite begraben, eine gemeinsame Messe wird gelesen, ein Fußballspiel gespielt, und als aus der Etappe ein neuer Sturmbefehl gekabelt wird, gewährt man sich gegenseitig Unterschlupf vor dem angekündigten Artilleriebeschuss. Entlang der gesamten Westfront kam es zu solchen informellen Waffenruhen, die allerdings meist nur wenige Tage dauerten. Der politische Wille, Androhungen von Sanktionen und der turnusmäßige Austausch der Soldaten sorgten dafür, dass das Töten und das Sterben weiter ging.
Nach dieser durch Feldpostbriefe, Tagebuchaufzeichnungen und Augenzeugenberichte überlieferten Kriegsepisode hat der französische Regisseur Christian Carion einen Film gedreht, der im Gegensatz zu klassischen Weltkriegsdramen wie „Im Westen nichts Neues“ (fd 24 803) und „Wege zum Ruhm“ (fd 6371) nicht die Sinnlosigkeit des Stellungskrieges in den Vordergrund rückt, sondern den Überlebenswillen der Soldaten. Dabei ist Carions „Merry Christmas“ in seiner Verdichtung auf einen einzigen Schauplatz und einige herausgehobene Protagonisten zwar historisch weitgehend akkurat, doch hat kaum eine Figur ein Eigenleben über ihre dramaturgische Funktion hinaus. Es menschelt zudem unentwegt auf eine Weise, die das Offensichtliche im Dialog ein weiteres Mal beschwört und das Außerordentliche der Situation im inszenatorischen Klischee erstickt. Immerhin erliegt Carion dabei nicht der Versuchung, aus dem geradezu surrealen Geschehen ein naives Plädoyer für die Völkerverständigung abzuleiten. Denn tatsächlich brach sich nicht die politische Vernunft im kleinen Soldaten Bahn, vielmehr machte die vollständige Demoralisierung der Truppen den Weihnachtsfrieden möglich. Des Kämpfens müde, verlor die teils nur verordnete, teils aber auch innig gepflegte Feindschaft zusehends ihre Macht. Erst als sich die Soldaten gegenseitig als Menschen kennen gelernt hatten, fragten sich viele, wie man jetzt noch aufeinander schießen solle.
Die biedere Inszenierung könnte man wohl verschmerzen, wenn sich Carion in seinen poetischen Zuspitzungen nicht derart im Ton vergriffen hätte. Die eigentliche Botschaft dieser paneuropäischen Co-Produktion ist pikanterweise die Haltbarkeit nationaler Stereotypen. Die Franzosen sind in „Merry Christmas“ Pagnolsche Gemütsmenschen, die Schotten Heißsporne, und auf deutscher Seite führen Benno Fürmann und Diane Krüger die deutsche Kulturnation ins Feld. Wenn Fürmann, als Heldentenor „Stille Nacht, Heilige Nacht“ schmetternd, auf den Feind zugeht und dadurch den Weihnachtsfrieden stiftet, ist man ob dieses aberwitzigen Regieeinfalls für einen Augenblick einfach sprachlos. Ist das Schlachtfeld vielleicht eine hübsch drapierte Opernbühne? Am Ende ist Carion mit seinen guten Absichten nicht im Morast des Krieges stecken geblieben, sondern im eigenhändig angerührten Europudding.
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