Dokumentarfilm über die Frühphase des Wolkenkratzer-Baus sowie den amerikanischen Architekten und Visionär Louis Sullivan (1856-1924), der sich erst spät als Vorreiter der architektonischen Moderne etablierte, zu Lebzeiten indes eine eher tragische Karriere durchlebte und ein Opfer des vorherrschenden Zeitgeschmacks wurde. Die ebenso präzise wie stimmungsvolle Dokumentation collagiert Großstadtimpressionen, kolorierte Postkarten und Detailansichten früher Hochhäuser mit Off-Kommentaren, die wohltuend spärlich und zugleich poetisch ausfallen.
- Ab 14.
Tall - Die Amerikanischen Wolkenkratzer und Louis Sullivan
Dokumentarfilm | USA 2004 | 82 Minuten
Regie: Manfred Kirchheimer
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Filmdaten
- Originaltitel
- TALL: THE AMERICAN SKYSCRAPER AND LOUIS SULLIVAN
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- Manfred Kirchheimer Prod.
- Regie
- Manfred Kirchheimer
- Buch
- Manfred Kirchheimer
- Kamera
- Walter Hess · Manfred Kirchheimer
- Schnitt
- Manfred Kirchheimer
- Länge
- 82 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
Diskussion
Glaubt man dem Verleih von „Tall – The American Skyscraper and Louis Sullivan“, so wurden die in diesem Dokumentarfilm behandelte Frühphase des Wolkenkratzer-Baus sowie die Rolle des Architekten Louis Sullivan darin noch nie eingehend in einem Film behandelt. Sollte das stimmen, wäre das ein überraschendes Versäumnis, denn der visuelle Reiz der Bauten dieses Vorreiters der Moderne liegt auf der Hand. Zudem reizt auch Sullivans persönliches Schicksal, wurde doch der ambitionierte Architekt Opfer eines Zeitgeschmacks, der mit seinen heute geschätzten Arbeiten wenig anfangen konnte. Es wäre ein Leichtes, sich auszumalen, wie eine aktuelle Fernsehproduktion zum Thema aussähe; der Reiz von Manfred Kirchheimers Film besteht indes genau darin, dass er die Konventionen augenfällig ignoriert, die bei einer Fernsehdokumentation befolgt würden. Es bleiben einem nicht nur „Reenactments“ von Sullivans Biografie mit Laiendarstellern und Computeranimationen erspart, sondern der Film beginnt auch mit einer experimentell anmutenden Montage stummer, schwarzweißer Großstadtimpressionen. Zudem bedient sich der aus Saarbrücken stammende Kirchheimer, der seit der Flucht vor den Nazis in den USA lebt, eingangs einfacher Collage-Techniken, während die ersten Off-Kommentare ebenso spärlich wie poetisch ausfallen. Es überrascht daher, wenn „Tall“ anschließend größtenteils in eine gediegene, von Jazz und Klassik atmosphärisch untermalte Abhandlung des Themas mündet. Dabei macht der Regisseur, der in Personalunion auch Kameramann, Produzent und Autor ist, aus seinem beschränkten Budget eine Tugend, indem er ausgiebig alte kolorierte Postkarten benutzt, um historische Hochhausbauten zu illustrieren. Dieses einfache Mittel erweist sich als sehr suggestiv und wird treffend ergänzt von stimmungsvollen filmischen Detailansichten früher Hochhäuser. Aus dem Off rekapituliert derweil ein Erzähler die Geschichte der Wolkenkratzer.
Anhand einiger Skizzen und Bilder von Baudenkmälern erhält man einen knappen Überblick über architektonische Grundprinzipien, bevor die konkreten Bedingungen dargelegt werden, die ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Hochhausbauten möglich machten: die Erfindung des Fahrstuhls und des Stahlskeletts. Im Zentrum steht freilich die tragische Karriere des Visionärs Sullivan. Der Lehrer Frank Lloyd Wrights war mit seinen Bauten sowie dem aus der Natur abgeleiteten Prinzip „Form follows function“ ein Vorreiter der architektonischen Moderne, doch seine Karriere wurde vom eklektizistischen Historismus ruiniert, der sich um 1900 in der amerikanischen Architektur durchsetzte. Während die Exponenten der Moderne geflissentlich übersahen, dass Sullivan dem Ornamentalen durchaus nicht abgeneigt war, hat ihn gerade dieser Zug bei moderaten Modernisten, denen der „International Style“ zu rigide ist, postum sehr beliebt gemacht. An diesem Punkt trifft sich Kirchheimers Begeisterung für Sullivan wohl durchaus mit dem aktuellen Zeitgeschmack. Umso sympathischer, dass sich das für die Form seines Films nicht sagen lässt.
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