Porträt der 64-jährigen Züricher Jazz-Pianistin Irène Schweizer, das sich weniger für die Privatperson interessiertals sich auf die Musikerin fokussiert, die bei einer Tournee und verschiedenen Auftritten begleitet wird. Der Film hält den Zuschauer zwar auf Distanz zur Persönlichkeit der Künstlerin, zeichnet aber ein beeindruckendes Bild ihrer Arbeit und ihres Einflusses auf die Schweizer Jazz-Szene.
- Ab 16.
Irène Schweizer
Musikfilm | Schweiz 2005 | 75 Minuten
Regie: Gitta Gsell
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Filmdaten
- Originaltitel
- IRENE SCHWEIZ
- Produktionsland
- Schweiz
- Produktionsjahr
- 2005
- Produktionsfirma
- Reck Filmprod./Mirapix/SRG SSR/Teleclub AG/3sat
- Regie
- Gitta Gsell
- Buch
- Gitta Gsell
- Kamera
- Hansueli Schenkel
- Schnitt
- Kamal Musale · Gitta Gsell
- Länge
- 75 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Musikfilm | Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb
Diskussion
Wer ist Irène Schweizer? Eine Suchende, die viel reist. Die der Reisen überdrüssig ist und davon träumt, Konzerte durchs Telefon zu geben. Eine Frau, die bereits mit zwölf Jahren wusste, dass ihre große Liebe im Leben die Musik sein würde. Der Jazz hatte sie gepackt, und sie packte den Jazz, indem sie Konventionen brach, ihn mit den Ellbogen spielte, das Piano als Schlaginstrument gebrauchte. Irène Schweizer, eine Frau, die sich selbst als elitär radikal beschreibt. Die sich nur widerwillig auf der Bühne in die dunkle Ecke drängen lässt. Die den Ton angibt, auf Zwischentöne hört, aus dem Moment heraus improvisiert. Irène Schweizer, 64 Jahre alt, international bekannte Schweizer Jazz-Musikerin.
Ihr Name steht für ein reiches musikalisches Schaffen seit den 1950er-Jahren, als die Pianistin zum ersten Mal – damals eine Sensation – die Bühne betrat. Ihr Leben und Werk inspirierte Gitta Gsell zu einem filmischen Porträt. Die Züricher Regisseurin zeigt die Musikerin in privaten Momenten, beim morgendlichen Sprung in den Zürichsee, beim Kaffeeklatsch mit Freundinnen, in der Sonne auf einem einsamen Berggipfel. Sie bebildert mit Fotos aus dem Familienalbum die Wurzeln von Irène Schweizer. Freunde und Weggefährten kommen zu Wort und rekonstruieren mit Anekdoten in groben Zügen den Lebensweg der Künstlerin, erwähnen etwa ihr politisches Engagement für die Rechte der Frauen. Trotz dieser Stimmen findet der Film nur wenig Raum für Privates. Gitta Gsell interessiert sich vorwiegend für die öffentliche Person, die Künstlerin, die im Rampenlicht steht, und natürlich für die Musik. Das Filmteam begleitete sie während einer Südafrika-Tournee mit Louis Moholo, geht mit ihr in ein Solokonzert in Berlin oder folgt konzentriert den Auftritten in der Schweiz mit Musikern wie La Lupa oder Han Bennink. Manchmal verliert man sich etwas auf den Nebenpfaden rund um die Auftritte, doch die Musik bleibt im Zentrum der Aufmerksamkeit. Häufig ruht die Kamera auf den Händen der Pianistin, folgt den Bewegungen der Finger, die über die Tasten tanzen. Die Leinwand wird zum Konzertsaal. Das ist die Heimat von Irène Schweizer, die, sobald sie die Bühne betritt, eine ganz andere wird und von sich sagt: „Wenn es den Jazz nicht gäbe, wäre ich keine Musikerin.“
„Jazz ist gemein, Jazz ist macho“, sagt eine ihrer Kolleginnen. Wer in dieser Männer-Domäne gehört werden will, brauche eine dicke Haut, darf Konfrontationen und Kritik nicht scheuen; auch Selbstironie schadet nicht. Das Fräulein aus dem Fernsehen – montiertes Archivmaterial aus den 1950er-Jahren – gibt dem damaligen Publikum den wohlgemeinten Rat, sich Wattebäusche in die Ohren zu stopfen. Der Krach sei dann nicht mehr so laut. Jazz ist aber um einiges komplizierter als simpler Lärm: Wie zwei Kobolde im Zweikampf fallen sie übereinander her, das Piano und das Schlagzeug, umgarnen sich, begleiten sich ein Stück, weichen von einander ab, um sich erneut anzugreifen. Improvisation ist ein Spiel, bei dem man Grenzen sucht, sie verletzt und ständig erweitert. Diesem musikalischen Rebellentum ist Irène Schweizer seit über 40 Jahren verbunden. Sie hat sich mit allen Richtungen des Jazz bis hin zur frei improvisierten Musik auseinander gesetzt und gilt auf den nationalen Bühnen als eine der Besten. Neben der Biografie der Grande Dame des Jazz strukturiert der Film die letzten 40 Jahre bewegte Schweizer Musikgeschichte in Jahrzehnte. Erzählt mit einer reichen Auswahl von Archivmaterial, häufig mit witzigen Zitaten, wie sich der Jazz aus den dunklen Kellern der Züricher Altstadt hinaus ins gleißende Licht der Weltbühne hangelte. Begleitet von politischen Umwälzungen wie den Globuskrawallen oder dem Kampf um das Frauenstimmrecht. Eine Erzählstimme aus dem Off ordnet die Bilder mit Sprengkraft in den Kontext ein und kommentiert sie. Die gesellschaftlichen Untertöne und die auf die Straße geschmierten Parolen haben Irène Schweizer nach eigener Auskunft in ihrer Musikalität beeinflusst. Allerdings bohrt der Film hier zu wenig nach, bleibt die Art und Weise der Beeinflussung vage. Trotz der vielen Informationen und des visuellen Konzepts des Split Screen, das oft das gleiche Bild aus verschiedenen Perspektiven zeigt, kommt man der Protagonistin nicht wirklich nahe. Abgesehen von einer Ausnahme, als sie sich durch die Präsenz der Kamera beim Proben gestört fühlt und in ihre Tasten murrt. Die Dokumentation ist trotz vieler stimmig arrangierter Puzzle-Teile ein Bild mit Lücken. Die Frage bleibt: Wer ist Irène Schweizer?
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