Dokumentarfilm auf den Spuren des tibetischen Mönchs Gendun Choephel, der sich 1934 vom Klosterleben abwandte, um die moderne Welt zu bereisen. Seine Welt an einem weltabgewandten Buddhismus ist gleich doppelt relevant: historisch als Warnung davor, dass ein erstarrtes Tibet der Ideologie Chinas nichts entgegenzusetzen hat, aktuell, weil sie das westliche Bild des Buddhismus als vage "Lifestyle"-Spiritualität entlarvt. Diese doppelte Speerspitze spiegelt sich auch in der Form des spannenden Films, wenn der Bericht des Mönchs durch Reisebilder der Gegenwart konterkariert wird.
- Ab 14 möglich.
Angry Monk - Eine Reise durch Tibet
Dokumentarfilm | Schweiz 2005 | 97/58 (gek.) Minuten
Regie: Luc Schaedler
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Filmdaten
- Originaltitel
- ANGRY MONK - REFLECTIONS ON TIBET
- Produktionsland
- Schweiz
- Produktionsjahr
- 2005
- Produktionsfirma
- angry monk productions/SF DRS/Swissimage
- Regie
- Luc Schaedler
- Buch
- Luc Schaedler
- Kamera
- Filip Zumbrunn
- Musik
- Roland Widmer · Heinz Rohrer · Loten Namling
- Schnitt
- Martin Witz · Kathrin Plüss
- Länge
- 97
58 (gek.) Minuten - Kinostart
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- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14 möglich.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Angry Monk: wütender Mönch. Schon der Titel birgt einen Widerspruch, so möchte man meinen, verbindet man mit einem religiösen Menschen doch eher eine friedvolle denn eine kämpferische Lebenshaltung. Doch bei Gendun Choephel verhält es sich anders. Seit seiner Jugend lehnte sich der gläubige Tibeter gegen alle ihm starr erscheinenden und einengenden Strukturen auf. Sogar dem Kloster kehrte er aus eben diesem Grund nach Jahren den Rücken, um auf Reisen zu weiteren Erkenntnissen zu gelangen.
Der Dokumentarfilmer Luc Schaedler hat sich mehrere Male nach Tibet begeben, um die Kultur dieses Landes einmal aus einer Perspektive zu betrachten, die nicht jenen klischeehaften Erwartungen entspringt, die das zentralasiatische Hochland ausschließlich als Zufluchtsort für Anhänger spiritueller Lebenskunst begreifen wollen. Dabei ist er nicht umhin gekommen, auch das Leben Gendun Choephels zu erforschen, welches eng mit der Geschichte des alten Tibet verwoben scheint. Auf den Spuren des zumindest im Westen nahezu unbekannten Rebellen setzt sich der Schweizer mit der turbulenten Vergangenheit des mystifizierten „Dachs der Welt“ auseinander und eröffnet einen Blick auf dessen Vielschichtigkeit. Zusammen mit Kameramann Filip Zumbrunn sucht er verschiedene Orte in Tibet und in Indien auf, an denen der Buddhist sein Leben verbrachte. Mit einem Bus fahren sie nach Zhöpang, einem Dorf im Osten nahe der chinesischen Grenze, wo Choephel 1903 geboren wurde. Sie reisen zu dem berühmten Kloster in Drepung, in dem er als Mönch studierte, nach Lhasa, wo er als Porträtmaler arbeitete, und in die indisch-tibetische Grenzstadt Kalimpong, seine letzte Station im Ausland, bevor er in die Hauptstadt zurückkehrte und bald darauf, nach dem Einmarsch der Chinesen 1951, starb. Der Lebensweg des Abenteurers steht zwar im Vordergrund des Dokumentarfilms, bildet jedoch nicht das Hauptthema. Vielmehr ermöglicht er einen Zugang zur Identität des heutigen Tibet. Zeitzeugen, Forscher und Archivmaterial erklären, dass in den Klöstern und in der Gesellschaft hierarchische Strukturen herrschten, die aufzubrechen unmöglich war, da Geistliche wie Adlige ihre Macht mit allen Mitteln zu verteidigen wussten. Nicht gewillt, sich den reformresistenten Machthabern zu unterwerfen, verließ Gendun Choephel zunächst das Kloster und später dann auch seine Heimat.
Das Leben des Querdenkers war von allem anderen als von Keuschheit und Weltabgewandtheit bestimmt: Er liebte Zigaretten, Alkohol und die Frauen. Immer intensiver beteiligte er sich am politischen Geschehen. Als er in Indien den Widerstand gegen die britischen Kolonialherren erlebte, sehnte er sich umso mehr nach einem Wandel der tibetischen Gesellschaft hin zu einer fortschrittlichen, offenen Gemeinschaft. Er machte sich an die Aufarbeitung der Vergangenheit, durchforstete Archive und Bibliotheken und begann, das erste Buch über die politische Geschichte Tibets zu verfassen. Gleichzeitig gründete er zusammen mit anderen Intellektuellen eine Partei, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, die Regierung in Lhasa zu stürzen – eine Aktion, die ihn später das Leben kostete, da er, vom britischen Geheimdienst verraten, bald darauf eine demütigende und zerstörerische Gefangenschaft ertragen musste. Der Film funktioniert wie eine klassische Fernsehdokumentation: Ein kleines Team begibt sich auf eine große Reise, auf der es möglichst viel Material aufnimmt, das es dann durch einen subjektiven Kommentar des Beobachters – „Dies ist das letzte Foto von Gendun Choephel, das ihn kurz vor seinem tragischen Tod zeigt“ – zusammenzuhalten gilt. Einer offensichtlichen Logik folgt auch die Montage. Wurde eben noch von der Genussfreudigkeit des Mönches berichtet, präsentiert das folgende Bild gleich eine Zigarette. Leichte Musik begleitet die Aufnahmen. Ab und zu werden Reisenotizen des Gelehrten auf Englisch zitiert, zwischendurch Interviews eingeschnitten zur Belegung der These des Autors – die widerspenstige Genialität des Unbeugsamen – und malerische Landstriche porträtiert, den großen Temperaturunterschieden entsprechend tiefrote, bräunlich-karge und schneeweiße Gebirgszüge. Eingeblendete Landkarten dienen zur geografischen Orientierung.
Obgleich die Gedanken des Autors deutlich zum Ausdruck kommen, bleibt Raum für eigene Überlegungen. Anhand der Schilderung des ungestümen Geistes des „Angry Monk“ lässt sich die Mannigfaltigkeit der tibetischen Kultur erahnen. Ständig im Kampf zwischen Tradition und Fortschritt, versucht die Bevölkerung ihre Identität zu wahren. Einerseits zeigen die Bilder das geschäftige Treiben einer modernen Großstadt in Lhasa, andererseits die tiefen Wurzeln der Religion: Buddha-Statuen schmücken Techno-Discos, Pilger knien zwischen Autos und Passanten bei ihren Gebeten auf dem Boden. Im Hintergrund lassen Werbeschilder den Einzug des von Chinesen gebrachten Fortschritts erkennen. „Da haben wir den Dreck“, soll Gendun Choephel den Einmarsch der Roten Garden vor über 50 Jahren kommentiert haben.
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