Auf den Spuren ihrer Großeltern bereist die Filmemacherin das chinesische Jangste-Gebiet, wo ihr Großvater vor 80 Jahren Konsul des Deutschen Reichs war. Anhand von Fotografien und Tagebuchaufzeichnungen konfrontiert sie die Gegenwart mit der Vergangenheit und aktiviert die Erinnerungen betagter Einheimischer. Eine klassische Reisereportage, in die auch das fragwürdige Projekt des Drei-Schluchten-Staudamms und seine Auswirkungen Eingang finden. Spannung erzielt der mit teils imposanten Bildern aufwartende Film durch das Nebeneinander von Tradition und Modernem, das von den Menschen naiv-begeistert angenommen wird.
- Ab 14.
Die chinesischen Schuhe
Dokumentarfilm | Deutschland/VR China 2004 | 108 Minuten
Regie: Tamara Wyss
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland/VR China
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- Mediopolis Film und Fernseh Prod./China Intercontinental Communication Center Beijing
- Regie
- Tamara Wyss
- Buch
- Tamara Wyss
- Kamera
- Lutz Reitemeier · Tamara Wyss
- Schnitt
- Anette Fleming · Tamara Wyss
- Länge
- 108 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Es gibt gewiss mehrere gute Gründe, eine Reise durch China zu unternehmen, schließlich gehört das Land mit seinen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Umbrüchen derzeit zu den vermutlich spannendsten Regionen der Welt. Tamara Wyss hatte allerdings noch ein weiteres, sehr persönliches Motiv für ihren Trip, der sie den Jangste flussaufwärts bis nach Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan, führte: Dort lebte vor 80 Jahren ihr Großvater als Konsul des deutschen Reiches gemeinsam mit seiner Ehefrau für mehrere Jahre. Der Film dokumentiert in der ersten Hälfte den letzten Teil der Reise, für die Wyss' Großeltern seinerzeit von Deutschland aus vier Monate brauchten. Dabei leben die Sequenzen von der imposanten Naturschönheit, die der Jangste zu bieten hat. Da der Opa einst fleißig fotografierte, während die Oma akribisch über ihre Erlebnisse in der Fremde Tagebuch führte und die Filmemacherin diese Hinterlassenschaften im Gepäck hat, konfrontiert sie während der Fahrt regelmäßig das Heute mit dem Gestern. Mal hält sie die Fotografien an den Orten ihrer Entstehung in die Kamera, um die Veränderungen zu dokumentieren, mal zeigt sie die Aufnahmen betagten Einheimischen, um deren Erinnerungen lebendig werden zu lassen; etwa an jene Plackerei, mit der Schiffe mit Seilen vom Ufer aus durch Stromschnellen flussaufwärts gezogen werden mussten.
Natürlich kann bei einer heutigen Fahrt auf dem Jangste das ebenso gigantische wie irrwitzige Projekt des Drei-Schluchten-Stausees nicht unerwähnt bleiben, in dessen Folge nahezu 2.000 Orte und eine einmalige Kulturlandschaft verschwinden und rund zwei Millionen Bewohner von ihren Häusern am Fluss in höher gelegene, eilig hochgezogene triste Satellitenstädte umgesiedelt werden. In Gesprächen mit Betroffenen lassen sich die Folgen jahrzehntelanger Indoktrination erahnen. „Der Einzelne zählt nicht, wenn es dem Land dient“, sagt ein älterer Mann und scheint das bei aller kaum zu überhörender Melancholie durchaus nicht als Klage zu meinen. Nicht minder irritierend nehmen sich Ausführungen einer Stadtführerin aus, die euphorisch ein lächerliches Brunnen-Bauprojekt mit postmodernem Anstrich preist, mit dem ein Platz ihrer Stadt „verschönert“ werden soll. Letztlich ist es gerade dieses seltsame Nebeneinander von Tradition und einer scheinbar naiven Begeisterung für eine Moderne nach westlichem Vorbild, das den Reiz des Films ausmacht. Das gilt für die Flussfahrt und erst recht für die zweite Hälfte der Dokumentation, wenn die Filmemacherin in Chengdu auf den Spuren ihrer Großeltern Geschichte und Gegenwart der Stadt erkundet. „Die chinesischen Schuhe“ ist eine klassische Reisereportage mit biografischer Note, die ohne Off-Kommentar auskommt und ihre Geschichten in ruhigen, teils imposanten Bildern erzählt.
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