Am Tag als Bobby Ewing starb

Komödie | Deutschland 2005 | 95 Minuten

Regie: Lars Jessen

Im Frühjahr 1986 stoßen eine geschiedene Städterin und ihr 17-jähriger Sohn in der Provinz der Wister Marsch zu einer kleinen Kommune, die sich im routinierten Widerstand gegen das Atomkraftwerk Brokdorf eingerichtet hat und dabei ihre politischen Ideale allmählich überlebt. Eine unterhaltsame, präzis rekonstruierte und hervorragend gespielte Mischung aus Polit-Satire, Provinzkomödie und Coming-of-Age-Geschichte, die nie hämisch, sondern liebevoll und melancholisch einen Schwebezustand der Desorientierung beschreibt, der durch die Reaktor-Katastrophe in Tschernobyl durchgerüttelt wird und eine bis heute aktuelle Brisanz der Thematik offenbart. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Neue Mira Filmproduktion/RB/NDR/arte
Regie
Lars Jessen
Buch
Ingo Haeb · Kai Hensel · Lars Jessen
Kamera
Andreas Höfer
Musik
Paul Rabiger · Jakob Ilja
Schnitt
Elke Schloo
Darsteller
Peter Lohmeyer (Peter) · Gabriela Maria Schmeide (Hanne) · Franz Dinda (Niels) · Nina Petri (Gesine) · Richy Müller (Eckardt)
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Komödie
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs sowie ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
Eurovideo (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Als Hanne nach ihrer Scheidung mit ihrem 17-jährigen Sohn Niels Bremen verlässt, um in der einsamen Provinz der Wister Marsch nach Ruhe und Neuorientierung zu suchen, da ist die „heiße Zeit“ der Protestbewegung gegen den Bau von Atomkraftwerken auch im hohen Norden Deutschlands schon vorbei. Man schreibt das Frühjahr 1986, Brokdorf ist im Prinzip gebaut, nur die standhaften Mitglieder einer kleinen Landkommune sind übrig geblieben und demonstrieren mit zum Ritual erstarrter Beständigkeit gegen das AKW. Da kann es dann schon passieren, dass beim Sitzstreik vor dem Eingangstor überteuerte Cola an (kaum vorhandene) Schaulustige verkauft wird, während die Polizisten die Ruhe des Tages genießen und schadlos eine neue Lieferung durch die Hintertür des Kraftwerks eingebracht wird. „Sie können aber gerne noch sitzen bleiben,“ bietet die Stimme aus dem Lautsprecher höflich an. „Bis zum nächsten Mal.“ Dabei gibt es nichts Schlimmeres als ein in Routine erstarrtes Einvernehmen zwischen den politischen Gegnern: ein unausgesprochen konsensfähiger Schwebezustand, der die „Großen“ agieren lässt und die „Kleinen“ in der Illusion gefangen hält, dass es sich immer noch lohnt, für eine gute Sache zu kämpfen. Diese Falle müssten die Mitglieder des „Alternativen Wohnkollektivs Regenbogen“ aber erst einmal erkennen und verarbeiten – was indes kaum möglich ist, sind sie doch zu sehr in ihrem Kosmos gefangen, um zu verstehen, dass sie im bürgerlichen Lager nicht mehr ernst genommen, vielmehr als wirklichkeitsferne „Freaks“ belächelt werden. Die wackeren Kommunarden genießen derweil das Leben, in dem sie sich eingerichtet haben: ein Alltag mit gut organisiertem friedlichem Widerstand, nacktem Gemeinschaftsbad im Holzzuber, abendlichen Konsensdiskussionen, Schreitherapie, Küchendienst und Gemüseanbau. Hanne findet das alles spontan recht „schick“ und fügt sich „politisch“ wie organisatorisch ein, indem sie Sozialarbeiterin Gesine ersetzt, die die Gemeinschaft verlässt. Auch ihre einstige Zuneigung zum Chefkommunarden Peter flammt in aller Romantik wieder auf. Niels aber steht rat- und sprachlos den kuriosen Vertretern einer Generation gegenüber, die ihm nichts mehr mitzuteilen hat; Orientierung oder gar ein Lebensziel bieten ihm die dogmatischen WG-Regeln nicht, sodass er in der „Außenwelt“ nach Freunden und Bezugspunkten sucht. Er muss und will seine eigenen Entscheidungen treffen. Liebevoll und detailgenau, pointiert und sehr amüsant rekonstruiert Lars Jessen die Zeit der Alternativbewegung der späten 1980er-Jahre, als Studentenunruhen, Wohn- und Beziehungsexperimente sowie ziviler Ungehorsam bereits passé, neue Lebensformen (u.a. eine innerparlamentarische Mitbestimmung durch die Grünen) aber noch nicht denkbar waren. Es war eine Zeit des Übergangs und des Vakuums; etwas ging zu Ende, etwas Neues, in das die Ideale und Lebenserfahrungen des alternativen Lebens und Denkens sinnstiftend eingebracht werden könnten, war noch nicht in Sicht. Geradezu köstlich ist zu verfolgen, wie Peter Lohmeyer, Nina Petri oder Richy Müller auf dem schmalen Grat zwischen präziser Rekonstruktion und aufmüpfiger Parodie eine kaum 20 Jahre zurückliegende „Epoche“ aufleben lassen und sie an liebenswerten, teils versponnen-skurrilen, teils desillusioniert-herben Charakteren verdeutlichen; nicht minder eindrucksvoll spielt Gabriela Maria Schmeide die zwischen den Extremen pendelnde „Bürgerliche“ Hanne, die nirgendwo so ganz hingehört und vor allem von ihrer gluckenhaften Fürsorge für Sohn Niels getrieben wird. Prinzipiell müsste man politisch wohl andere, zumindest analytischere Schlussfolgerungen aus der Auseinandersetzung mit jener Zeit ziehen als es Jessen tut, der als Kind selbst „Opfer“ eines Wohnkollektivs wurde, nun seine sehr private Hassliebe in die Geschichte einfließen lässt und ganz auf der Seite von Niels steht, der am Ende lieber zur Bundeswehr geht als dass er irgend etwas mit diesen „Pre-Ökos“ zu tun haben will. Indes weiß Jessen hellsichtig und klug die Pole jener Zwickmühle zu veranschaulichen, die sich unerwartet im April 1986 auftat und bis heute wirksam ist: Genau zu dem Zeitpunkt, als sich Bürgerliche wie Alt-Kommunarden einvernehmlich vor dem Fernseher einfanden, um US-Serien wie „Dallas“ zu goutieren, kam es im fernen Tschernobyl zum Super-Gau – die „Katastrophe“ um Bobby Ewings Tod (in der „Dallas“-Folge „Schwanengesang“, ausgestrahlt am 29. April) traf auf die tatsächliche Katastrophe vom 26. April, deren Folgen und Auswirkungen sich nicht einmal auf die heutigen Generationen beschränken. Da werden auch in Jessens Geschichte die Karten noch einmal neu gemischt, tun sich Abgründe wie Sackgassen, aber auch Perspektiven auf. Welche das sind, formuliert der Film eher diffus, und doch weitet sich am Ende die Mischung aus komischem Provinzporträt und Coming-of-Age-Komödie durch eine Nachdenklichkeit, die auch einer jungen Generation vermittelt, dass die Auseinandersetzung mit den 1980er-Jahren mehr ist als nur ein nostalgischer Rückblick.
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