Die Perlenstickerinnen

Drama | Frankreich 2004 | 88 Minuten

Regie: Eléonore Faucher

Eine ungewollt schwangere junge Frau will ihr Kind in der französischen Provinz zur Welt bringen und es danach zur Adoption freigeben. Als sie eine ältere Frau kennenlernt, die ihren Sohn bei einem Unfall verloren hat, liefert ihnen ihre leidenschaftliche Hingabe fürs Sticken erste Impulse der Annäherung, woraus sich eine tiefe Freundschaft entwickelt, die für beide von beträchtlichem Gewinn ist. Das subtil entwickelte und inszenierte Spielfilmdebüt visualisiert seine symbolische Ebene durch eine einfühlsame Bildsprache, wobei die Kamera unaufdringlich und sensibel die Freundschaft zwischen den Generationen beobachtet. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BRODEUSES
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Sombrero Prod./Mallia Films
Regie
Eléonore Faucher
Buch
Eléonore Faucher · Gaëlle Macé
Kamera
Pierre Cottereau
Musik
Michael Galasso
Schnitt
Joële van Effenterre
Darsteller
Lola Naymark (Claire) · Ariane Ascaride (Madame Mélikian) · Jackie Berroyer (M. Lescuyer) · Thomas Laroppe (Guillaume) · Marie Félix (Lucile)
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Eurovideo (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Feuerrot leuchten die Haare der 17-jährigen Claire, wild gekräuselt, kaum zu bändigen, wirbeln sie übermütig nach allen Seiten. Ein Blick auf die widerspenstige Haarpracht genügt, um zu wissen, dass das Mädchen an der Kasse des Supermarktes, wo es arbeitet, nicht glücklich werden kann. Mit seinen Kolleginnen wechselt es nur wenige Worte; viele freundliche sind nicht darunter. Die anderen lästern, weil Claire immer dicker werde. Um den Grund dafür zu verheimlichen, behauptet sie, eine Chemotherapie sei schuld daran, und reißt sich demonstrativ ein Haarbüschel vom Kopf. In Wirklichkeit hat sie keinen Krebs, sie ist im fünften Monat schwanger. Doch niemand weiß davon, und niemand soll davon wissen. Der Vater des Kindes war nie ihr Freund, wird es auch nicht werden, und die strenge Mutter nimmt ihre eigensinnige Tochter kaum noch wahr. Auf sich allein gestellt, versteckt Claire ihr strahlendes Haar unter einem Tuch, meldet sich im Supermarkt krank und beschließt, das Baby irgendwo außerhalb ihres französischen Heimatdorfs anonym zur Welt zu bringen, um es anschließend zur Adoption freizugeben. Zurückgezogen und isoliert lebt Claire in der rauen, ländlichen Umgebung; eine scheinbar störrische Einzelkämpferin. Die zärtliche Hingabe aber, mit der sie ihrer Stick-Leidenschaft frönt, lässt die verborgenen Sehnsüchte einer ebenso sensiblen wie disziplinierten Frau erahnen. In ruhigen, sinnlichen Bildern folgt die Kamera den über Stoff streichenden Händen und ihren kunstvoll, sicher gesetzten Nadelstichen. Unsicher tasten dieselben Hände über die gespannte Haut des sich immer weiter dehnenden Bauches; geradezu verschämt liebevoll. Als die Frauenärztin fragt, ob sie das Geschlecht des Kindes wissen möchte, bittet Claire sie darum, es auf einen Zettel zu schreiben. Erst kurz vor Ende des Films schaut sie darauf. Bis dahin jedoch trägt sie die Notiz fast immer bei sich. Den Mut zu lesen, was aufgeschrieben wurde, findet sie schließlich durch die Begegnung mit einer Frau, die zunächst so ganz anders zu sein scheint als Claire und ihr doch in vielem ähnelt. Madame Mélikain, bei der sie sich als Aushilfskraft bewirbt, ist eine erfolgreiche, aber zurückgezogen lebende Haut-Couture-Stickerin. Ihre Haare sind schwarz und glatt, erst vor kurzem hat sie ihren Sohn bei einem Motorradunfall verloren. Die trauernde Mutter und die Frau, die keine Mutter werden möchte, finden zögerlich zueinander. Bis hierhin mag sich mancher an „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ (fd 36 415) erinnert fühlen. Tatsächlich gelingt Eléonore Faucher („Les toilettes de Belle-Ville“) eine weibliche Variation des Themas „Freundschaft zwischen jung und alt“, die sich vor Dupeyrons märchenhaft schönem Film nicht zu verstecken braucht. Aber anders als bei Momo und seinem philosophischen Lehrmeister ist das Verhältnis der beiden Frauen weniger hierarchisch. Zwar bringt Madame Melikain Claire einige Stickkniffe bei, aber fürs Leben lernt sie von ihrer jungen Freundin mindestens ebenso viel wie umgekehrt. Erst durch Claires hartnäckige Krankenbesuche gewinnt sie nach einem Selbstmordversuch neuen Lebenswillen. Dabei reden die beiden Frauen nur wenig miteinander; warmherzige Weisheiten fürs Poesiealbum des Lebens bleiben aus. Es sind kleine Gesten und immer wieder Blicke, die ihre Freundschaft nähren. Die Stickerei als gemeinsame Sprache ersetzt den Dialog. Diese sinnbildliche Ebene geht ganz selbstverständlich und eher im Hintergrund einher mit psychologisch stimmig gezeichneten Figuren und deren Entwicklung. Faucher beweist in ihrem Langfilmdebüt ein feines Gespür für die Visualität des Alltags. Ihr im Wortsinn „stiller“ Film entfaltet eine einfühlsame Bildersprache, die keinen kinoschönen Momenten hinterher jagt, sondern sich von der Geschichte und ihren starken (und stark gespielten) Charakteren treiben lässt. Ebenso wie auf das optische Spektakel verzichtet Faucher auf dramaturgische Paukenschläge. Zwar verlieben sich Claire und Guillaume, der beste Freund von Madame Mélikians verstorbenem Sohn, ineinander; was dadurch besonders heikel wird, dass Guillaume hinter dem Lenker des Unglücksmotorrads saß. Aber Faucher bläht die so entstehenden Konflikte nicht auf, dirigiert sie auf keine vordergründige Schlusspointe hin. Als eine „Metapher des Kinos“ bezeichnet die junge Regisseurin die Stickerei in ihrem Film: der Entstehungsprozess findet hinter den Kulissen statt. Am Ende sollte in beiden Fällen ein Werk stehen, das für sich selbst spricht, kein Produkt. So gesehen, ist Faucher eine wunderbare Filmstickerin: sie beleuchtet die schöpferischen, zwischenmenschlichen Abläufe, aber ihrer eigenen Arbeit merkt man die inszenatorischen Eingriffe kaum an. Wie aus einem Guss, oder besser organisch, entfaltet die Geschichte ihr Eigenleben; die Kamera wirkt dabei wie eine zwar aufmerksame und kluge, aber diskrete Beobachterin.
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