Zimt und Koriander

- | Griechenland/Türkei 2003 | 107 Minuten

Regie: Tassos Boulmetis

Eine in Konstantinopel lebende Familie griechischer Abstammung wird 1964 ihrer Heimat verwiesen. Nur der Großvater, ein Gewürzhändler, darf bleiben. In der Folgezeit erinnert sich der erwachsene Enkel, ein Astrophysiker, an die Gerüche seiner Kindheit, die Weisheiten des Großvaters und das Schicksal seiner Familie. Der Film leistet Erinnerungsarbeit, ohne revanchistischen Gefühlen Vorschub zu leisten. Gekennzeichnet von feiner Melancholie und humoristischer Leichtigkeit, erzählt er unaufdringlich von Vertreibung und Exil und macht den Schmerz der Heimatlosigkeit spürbar. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
POLITIKI KOUZINA
Produktionsland
Griechenland/Türkei
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Village Roadshow Prod. Hellas/Greek Film Center/FilmNet/Cinegram/ANS Prod./PPV Athens
Regie
Tassos Boulmetis
Buch
Tassos Boulmetis
Kamera
Takis Zervoulakos
Musik
Evanthia Reboutsika
Schnitt
Yorgos Mavropsaridis
Darsteller
Georges Corraface (Fanis Iakovides) · Ieroklis Michaelidis (Savas Iakovides) · Renia Louizidou (Soultana Iakovidou) · Stelios Mainas (Onkel Emilios) · Tamer Karadagli (Mustafa)
Länge
107 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
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Heimkino

Die Extras enthalten u.a. ein optional kommentierbares Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen (4 Min.). Des Weiteren ist eine "Limited Edition" erhältlich, die zusätzlich eine CD mit der Filmmusik enthält.

Verleih DVD
Alamode (16:9, 2.35:1, DD2.0 gri./dt.)
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Diskussion
Der Dachboden des Gewürzhändlers Vassilis wölbt sich wie ein Firmament über der Welt des kleinen Fanis. Den lieben langen Tag hockt der Junge auf der Holztreppe zwischen Himmel und Erde und beobachtet seinen Großvater dabei, wie er das Leben mit Hilfe der häuslichen Kochkunst erklärt. Manchmal muss man ein falsches Gewürz verwenden, beschwört er eine Frau, die ihre zukünftigen Schwiegereltern zu bewirten hat. Etwas Zimt zum Fleisch öffne die Herzen und stoße die Pforten zum Eheglück weit auf. Dass nicht nur die Liebe durch den Magen geht, sondern auch die hohe Politik, wird Fanis‘ schmerzlichste Lektion sein. Als ein türkischer Diplomat den Laden betritt, erkennt der Großvater bereits am ungewöhnlich starken Knoblauchgeruch seines Stammkunden, woher der Wind in Konstantinopel weht: Im Jahr 1964 nimmt die türkische Regierung den bis heute schwelenden Konflikt um Zypern zum Anlass, alle griechischen Bürger des Landes zu verweisen. Fanis muss mit seinen Eltern nach Athen übersiedeln, während sein Großvater in der Heimat bleibt. Seitdem bedeuten Fanis die Gewürze mehr als je zuvor: Sie verleihen jedem Gericht den Geschmack des verlorenen Zuhauses.

Unter den Filmen, die das Ritual des Essens zum Thema haben, gehört „Zimt und Koriander“ zu den ungewöhnlichsten: Während andere Regisseure die Verführungskraft einzelner Speisen feiern oder die Gemeinschaft stiftende Funktion des Mahles betonen, legt die griechisch-türkische Co-Produktion mit kulinarischer Raffinesse eine Spur der Erinnerung in ein historisch vermintes Grenzgebiet. Wie eine proustsche Madeleine locken die Düfte der Kindheit den erwachsenen Fanis immer wieder in die Vergangenheit zurück, sodass auch die Gegenwart wie selbstverständlich unter den Zeichen von Abschied und Wiedersehen steht: Ausgerechnet am Tag seiner Abreise nach Berkeley erfährt der Astrophysiker Fanis von der lang erwarteten Ankunft seines Großvaters in Athen. 40 Jahre lang hat dieser seinen Besuch immer wieder angekündigt, um dann doch stets in Konstantinopel zu bleiben. Auch dieses Mal werden die Gäste vergeblich herbeieilen und dem alten Freund nur in ihren Erinnerungen begegnen. Für Fanis ist dieser Weg in die Vergangenheit genau vorgezeichnet: Er führt ihn in die Schule der Gewürze, in der ihm der Großvater nicht nur das Leben, sondern auch die Grundzüge der Astronomie erläuterte. Der feurige Pfeffer steht im Planetensystem der Kochkunst für die Sonne, der bittersüße Zimt für die lockende Venus, das Salz, das nicht zu sehen, aber stets vorhanden ist, für alles Irdische. Dieser letzten großväterlichen Einsicht hat sich die Inszenierung angeschlossen: Wie das Salz in der Speise ist die Politik in „Zimt und Koriander“ niemals offen gegenwärtig, und doch wäre der Film ohne sie nicht zu verstehen.

Er beginnt mit dem Bild einer stillenden Mutter, die ihrem Neugeborenen die Brustwarze mit ein wenig Zucker schmackhaft macht. Auch Tassos Boulmetis, der mit seinem Film eigene Erlebnisse dramatisiert, ist dem Prinzip der Verzuckerung nicht abgeneigt: Im Exil vermag Fanis die Vernunftheirat seines Onkels zu verhindern, indem er der Braut die richtigen Zutaten unterschiebt; die Vereinigung der Familien findet nur über dem Toilettenbecken statt, danach geht man wieder getrennte Wege. Mit humoristischer Leichtigkeit mildert der Regisseur die Melancholie seiner Kindheitserinnerungen und lässt das Sujet Vertreibung und Exil so bewegend wie unaufdringlich im Alltäglichen aufgehen. Niemand wird zum Sprachrohr eines Leitartikels degradiert, stattdessen baut Fanis die Küche seiner Mutter zur heimatlichen Enklave aus. Ganze Nächte hindurch bereitet er die köstlichsten Speisen zu, bis es den Lehrern mit ihrem stets schläfrigen Schüler zu bunt und seinen Eltern unheimlich wird. Die Küche bleibt fortan für alle männlichen Hausbewohner verschlossen, doch die Sehnsucht findet andere Wege und führt den Pfadfinder zur Kochstelle eines Freudenhauses. Als Fanis bei einer Razzia aufgegriffen wird, schlägt die Polizei patriotische Ertüchtigung als Arznei gegen das Heimweh vor. Der Junge solle die nationalen Monumente Griechenlands besuchen, mindestens dreimal die Woche. Doch solche simplen Rezepte verfangen nicht in einem Film, der ohne jeden revanchistischen Gestus vom Schmerz der Heimatlosigkeit erzählt.

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