Mittels vorgetäuschter Briefe gibt eine allein erziehende Mutter ihrem neunjährigen Sohn die Illusion, dass sein Vater seit seiner Geburt auf einem Frachtschiff um die Welt reist. Das Lügengebilde droht einzustürzen, als ein namensgleiches Schiff tatsächlich in den heimischen Hafen einläuft. Dennoch bekommt der Junge für einen Tag den Vater, den er sich ein Leben lang gewünscht hat. Emotional aufgeladenes Familiendrama, das trotz seiner märchenhaften Wendung und der aufdringlichen Musik weitgehend glaubwürdig entwickelt ist und dank guter Darsteller anrührt.
- Ab 14.
Lieber Frankie
Drama | Großbritannien 2004 | 105 Minuten
Regie: Shona Auerbach
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Filmdaten
- Originaltitel
- DEAR FRANKIE
- Produktionsland
- Großbritannien
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- Pathé Pic./Scorpio Films/Sigma Films/Scottish Screen
- Regie
- Shona Auerbach
- Buch
- Andrea Gibb
- Kamera
- Shona Auerbach
- Musik
- Alex Heffes
- Schnitt
- Oral Norrie Ottey
- Darsteller
- Emily Mortimer (Lizzie) · Gerard Butler (der Fremde) · Jack McElhone (Frankie) · Mary Riggans (Nell) · Sharon Small (Marie)
- Länge
- 105 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Kofferpacken zählt für den neunjährigen Frankie zu den normalsten Dingen der Welt, und die Ruhelosigkeit seiner Mutter Lizzie erträgt er mit stoischer Gelassenheit. Die Großmutter, die die dreiköpfige Familie komplettiert, bezeichnet den aktuellen Umzug wieder einmal als den letzten ihres Lebens, doch Frankie spürt, dass auch das schottische Hafenstädtchen nicht der letzte Ort sein wird, an den er sich nicht gewöhnt. Freunde hat er nirgendwo gefunden – denn Frankie ist taub. Doch nach Freunden sehnt sich der aufgeweckte Junge ohnehin nicht, denn er vertraut alles, was man sonst seinem besten Kumpel erzählt, den Briefen an, die er seinem Vater schreibt. Der ist Seemann und bereist schon seit Jahren an Bord der „HMS Accar“ die Meere, ohne je an der schottischen Küste vor Anker gegangen zu sein. Während Lizzie eine Halbtagstelle in einem „Fish & Chips“-Laden annimmt und Oma Nell ihren Lieblingstätigkeiten Rauchen und Nörgeln nachgeht, muss sich der Junge mit seinen neuen Klassenkameraden arrangieren, die ihn, wie üblich, eher schneiden oder aufziehen, als sich mit der „tauben Nuss“ abzugeben. Einzig ein Mädchen aus der Nachbarschaft und der aufmüpfige „Klassenkasper“ nehmen ihn interessiert zur Kenntnis. Letzterer aber will der Geschichte von Frankies Vater keinen Glauben schenken und ist fast noch aufgeregter als Frankie, als er einen Zeitungsausschnitt in die Schule mitbringt, der vom baldigen Einlaufen der „Accar“ im örtlichen Hafen kündet. Er wettet mit Frankie, dass dessen Vater weder auf dem Schiff sei noch zu Besuch kommen werde. Frankie hat keine Ahnung, dass er auf verlorenem Posten steht; denn der reisende Vater ist nichts als eine Erfindung seiner Mutter, die den wirklichen Vater verließ, weil er im Affekt Frankies Behinderung verursachte. Die Antwortbriefe, auf die Frankie zweimal im Monat hofft, stammen aus ihrer Feder. Nun bringt die Wette Lizzies (selbst-)betrügerisches Universum ins Wanken: Woher bekommt sie in einen Mann, der für einige Stunden den Vater spielt?
Familiengeschichten aus Hollywood sind oft von einer bigotten Moral geprägt: Als Keimzelle dessen, was die Nation ausmacht, wird das (Familien-)Leben zwar durchaus problematisiert, am Ende aber meistens auch pauschal wieder bestätigt, auf dass man gestärkt in die Zukunft gehe. In englischen Filmen fällt die Zustandsbeschreibung weit kritischer, manchmal fast defätistisch aus, wobei man angesichts desolater familiärer Zustände eher um Schadensbegrenzung bemüht ist und dem Einzelnen Kraft und Hoffnung auf eine bessere Zukunft zugesteht. Shona Auerbachs schottischer Beitrag zum Thema liegt zwischen diesen beiden Polen: Auch hier ist die Familie am Boden und erweist sich als wenig funktionstüchtig, wenn es um den Aufbau gesellschaftlicher Kleinidyllen geht. Aus den Trümmern des Zusammenlebens kristallisieren sich drei tragische Charaktere, die aus der Eigenständigkeit ihre Energie schöpfen und ihren Weg als Einzelkämpfer gehen. Dabei bräuchte „Lieber Frankie“ eigentlich am Ende gar nicht das Glück einer neuen Gemeinschaft, um einen (politischen) Sinn zu erfüllen; der Zuschauer ist bereits mit der Option zufrieden, dass es den Personen nicht noch schlechter gehen wird als bisher und sie das Beste aus ihrer Lage machen. Doch Shona Auerbach kann und will die Nähe zu Hollywood nicht leugnen: Der Märchenprinz, der die drei aus ihrem emotionalen Verlies retten könnte, naht in der Person eines „Fremden“; Name, Vergangenheit und Herkunft spielen keine Rolle, wichtig ist allein, dass Frankie für einen Tag einen Vater bekommt. Der Fremde, der auch zur See fährt, gerät in den Bann der sympathischen Lizzie und vor allem des charismatischen Frankie, mit dem er viele Stunden erlebt. Gerard Butler („Phantom der Oper“, fd 36 826) verkörpert den geheimnisvollen Namenlosen – keine Frage, dass hier der Wunschtraum aller allein erziehenden Mütter in Erfüllung geht. Doch ganz so kitschig endet der Film dann doch nicht. Zwar leidet er unter einer bisweilen unerträglich pathetischen Musik, die die emotional ohnehin starke Geschichte durch Geigen und Klavier bis zur Aufdringlichkeit doppelt; doch das realitätsferne Märchen gewinnt vor allem dank der Darsteller durchaus Natürlichkeit und Glaubwürdigkeit, sodass man dem hoffnungsvollen Ausblick, den die Geschichte eröffnet, gerne Glauben schenkt.
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