- | Italien 2004 | 94 Minuten

Regie: Saverio Costanzo

Israelische Soldaten dringen in das Haus einer palästinensischen Familie ein, das an einer strategisch wichtigen Stelle liegt, und erklären es zum Sperrgebiet. Als sich die Bewohner weigern, das Anwesen zu verlassen, wird ihr Bleiben unter strengen Auflagen geduldet. Einer wahren Begebenheit verpflichtet, ist der Film eher eine cineastische Versuchsanordnung, die mögliche Strategien im Umgang mit der allgegenwärtigen Gewalt durchbuchstabiert. Ein mutiger Debütfilm, der seinen allegorischen Charakter zwar nicht immer abstreift, aber mit Witz und Köpfchen für einen friedfertigeren Umgang miteinander plädiert. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
PRIVATE
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Offside/Istituto Luce
Regie
Saverio Costanzo
Buch
Camilla Costanzo · Saverio Costanzo · Alessio Cremonini · Sayed Oashua
Kamera
Luigi Martinucci
Musik
Alter Ego
Schnitt
Francesca Calvelli
Darsteller
Mohammad Bakri (Mohammad B.) · Lior Miller (Kommandant Ofer) · Tomer Russo (Gefreiter Eial) · Hend Ayoub (Mariam B.) · Arin Omary (Samiah B.)
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Heimkino

Verleih DVD
Ventura (16:9, 1.78:1, DD2.0 arab. & engl. & hebr.)
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Diskussion
Während eines Palästinaaufenthalts hörte der italienische Dokumentarfilmer Saverio Costanzo von einem arabischen Englischlehrer und seiner Familie, die ihr Haus seit vielen Jahren mit israelischen Soldaten teilen müssen. Das Haus liegt nur wenige Meter von einer israelischen Militärbasis entfernt. Alle umliegenden Häuser wurden zerstört. Aber die Familie weigerte sich, ihr Haus zu verlassen; die Israelis konnten sie nicht dazu zwingen. Costanzo erkannte den Symbolcharakter dieser Geschichte und entwickelte aus dem Stoff die Grundlage für sein eindrucksvolles Spielfilmdebüt. Im Originalhaus soll es, laut Costanzo, mittlerweile friedlich zugehen. Soldaten und Familie hätten sich im grotesken Besatzungsalltag eingerichtet. „Private“ hingegen führt den Einbruch des Staates in die Privatsphäre der Familie vor Augen. Costanzo inszeniert mit einfachen, wirkungsvollen Mitteln eine Atmosphäre latenter Bedrohung, keimender Gewalt, fast ohne Effekthascherei. Allerdings begnügt sich der Regisseur nicht damit, einfach nur die Realität abzubilden. Stattdessen spitzt er Konflikte zu, baut Spannung auf, schält Charakteristisches heraus und weitet das Geschehen so zum Panoptikum menschlicher Widerstandsformen. Das Haus wird zur Metapher für das Besatzungsgebiet einer letztlich austauschbaren Okkupationsmacht. Dass aus dem Film dabei keine artifizielle Fallstudie wurde, sondern ein packendes, intensives Kammerspiel, liegt an den treffsicheren Dialogen und den hervorragenden Darstellern, aber auch an der flüssig inszenierten Dramaturgie. Ganz kann „Private“ sein hehres Anliegen dennoch nie verbergen. Mitten in der Nacht dringt die israelische Armee in das Haus von Mohammed und seiner Familie ein. Das Haus liegt strategisch wichtig im Irgendwo zwischen israelischem Militärstützpunkt und palästinensischem Dorf. Der israelische Kommandant erklärt es für besetzt. Aber Mohammed ist nicht bereit, es aufzugeben. Also teilt der Kommandant es in drei Zonen auf. Zone A, Erdgeschoss. Hier dürfen sich die Familienmitglieder tagsüber aufhalten. Nachts werden sie im Wohnzimmer eingesperrt. Zone B, 1. Etage. Diese Zone dürfen sie nur mit ausdrücklicher Erlaubnis der Besatzer betreten. Zone C, Dachgeschoss. Das Betreten dieser Zone ist der Familie bei Strafe untersagt. Die Reaktionen der Familienmitglieder auf den nächtlichen Überfall erscheinen psychologisch einigermaßen nachvollziehbar, vor allem aber repräsentieren sie grundsätzliche Möglichkeiten sozialen Handelns. Mohammed will nicht weichen. Er wählt den friedlichen, passiven Widerstand. Wenn wir das Haus aufgeben, sagt er zu seiner Frau Samiah, bleibt uns nichts mehr. Wenn wir jetzt fliehen, werden wir für den Rest unseres Lebens auf der Flucht sein. Samiah will von solchen Weisheiten nichts hören. Für sie sind das pazifistische Kalendersprüche. Sie fürchtet um das Leben ihrer Kinder und möchte weg. Der älteste Sohn dagegen will kämpfen. Nicht friedlich, sondern mit Waffengewalt. Tagsüber hockt er vor dem Fernseher, saugt Berichte über Terroristen und Märtyrer in sich auf. Nachts starrt er ins weiße Rauschen der Sendepause und fantasiert sich selbst in diese Berichte hinein. Passiver Widerstand, Flucht und bewaffneter Kampf: diese drei Wege sind im besetzten Haus ständig präsent. Nur mit Mühe gelingt es Mohammed, die Familie zusammenzuhalten. Je länger die Gefangenschaft im eigenen Haus dauert, desto fragiler gerät das Gefüge. Die Eskalation liegt in der Luft. Jede Szene, fast jede Einstellung atmet sie. Zwischen den Bildern zeigt „Private“ etwas, das allgegenwärtig und doch unsichtbar ist: die Gewalt, die (noch) nicht hervorbricht; das nicht manifeste, aber dennoch fast schon körperlich spürbare Gefühl permanenter Bedrohung. Es braucht wenig, dieses Gefühl zu erzeugen. Eine diffuse, grobkörnige Ausleuchtung; eine gefräßige Dunkelheit, an der nur Schritte, Schreie und Schüsse vorbeidringen; eine undogmatische Handkamera, die keinen sicheren Stand hat und keinen festen Boden unter den Füßen zulässt. Dazu ein klassischer Suspense-Effekt: der kriegerische Sohn findet eine Handgranate, schleppt sie mit sich herum. Man ahnt, was er damit vorhat. Daran, dass die Filmemacher den Weg des charismatischen Familienvaters unterstützen, besteht kein Zweifel. In einer kurzen, wichtigen Szene bauen Vater und Sohn gemeinsam ein Gewächshaus auf. Als der Sohn hasserfüllt droht, die Soldaten zu töten, wenn sie das Gewächshaus zerstören, entgegnet ihm der Vater entschieden: „Wenn sie es zerstören, bauen wir es wieder auf. Wenn sie es wieder zerstören, bauen wir es wieder auf.“ Aber es gibt noch einen weiteren, vierten Weg, den der Film nur andeutet: Es ist der Weg der Kommunikation. Die älteste Tochter Mariam, anfangs kaum weniger kampfeslustig als ihr Bruder, beschreitet ihn zaghaft, als sie von oben Flötenspiel hört. Sie schleicht sich die Treppe hinauf, versteckt sich im Schrank und beobachtet die Soldaten. Wieder geht bei jedem Schritt die Angst mit. Überall lauert Gefahr. Zunächst aber ist es nur ihr kleiner drolliger Bruder, der sie ertappt. Durch die Schranktür nimmt Mariam am Leben der Soldaten teil, an ihren Streitereien, Hoffnungen, Sehnsüchten und Ängsten. Ihrem Bruder erzählt sie davon, um ihm so ein wenig von seinen eigenen Ängsten zu nehmen. Die Soldaten erhalten Namen, menschliche Züge. Ohne, dass sie selbst es ahnt, beginnt Mariam ein Feindbild abzubauen. Auch Costanzo und sein Team beschritten diesen vierten Weg, indem sie die israelischen Rollen von Israelis und die palästinensischen Figuren von Palästinensern spielen ließen; was zur Intensität der Darstellung beigetragen haben dürfte. Insgesamt aber gelingt es „Private“ eher selten, den allegorischen, allgemeinmenschlichen Charakter zu sprengen und so auch zum Einzelnen durchzudringen. Die Aura einer cineastischen Versuchsanordnung wird der Film nie ganz los. Die Helden bleiben in erster Linie fiktive Geschöpfe, die allerdings für eine unbestreitbare Wirklichkeit stehen. Palästinensische und israelische Schauspieler, erzählt Costanzo, seien sich während der aus Sicherheitsgründen nach Kalabrien (Italien) verlagerten Dreharbeiten zunächst näher gekommen, hätten sich dann aber wieder voneinander entfernt. Trotzdem hat der Regisseur mit seinem beachtlichen Debüt einen mutigen Schritt in Richtung einer verständnisvolleren, friedlicheren Welt getan.
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