Doppelporträt der österreichischen Schriftstellerinnen Elfriede Gerstl und Elfriede Jelinek. Trotz aller charakterlichen Differenzen und des Altersunterschiedes merkt man die stille Komplizenschaft der beiden Freundinnen, die vieles über ihr Privatleben und die Vergangenheit in der Obhut dominanter Mütter preis geben. Formal mitunter etwas irritierend, entschädigt der Dokumentarfilm durch unbekannte Facetten der beiden Porträtierten.
- Ab 16.
Elfriede & Elfriede
Dokumentarfilm | Deutschland 2004 | 80 Minuten
Regie: Hanna Laura Klar
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- Klar Filmprod.
- Regie
- Hanna Laura Klar
- Buch
- Hanna Laura Klar
- Länge
- 80 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Zwei Wienerinnen, die sich als „ewige Mädchen“ bezeichnen, zwei ausgewiesene „femmes de lettres“: Elfriede Jelinek muss sich in der Videodokumentation der deutschen Filmemacherin Hanna Laura Klar die Aufmerksamkeit mit ihrer Kollegin und Freundin Elfriede Gerstl teilen. Die Lyrikerin rückte ins Licht der Öffentlichkeit, als sie kurz hintereinander den Trakl- und Erich-Fried-Preis erhielt. Die sich gerne provokativ gebende „Nestbeschmutzerin“ Jelinek genießt hingegen schon lange das Interesse der Medien. „Elfriede & Elfriede“ gelangt wohl deshalb ins Kino, weil sie mit der Auszeichnung als Nobelpreisträgerin endgültig den Weg ins literarische Establishment gefunden hat.
Die eine groß und blond, die andere klein und rothaarig, schaut man dem ungleichen Paar zu, wie es durch den Ersten Bezirk von Wien schlendert. Mit angenehmer Distanz begleitet die Kamera sie durch Straßen, Kaffeehäuser, Leseabende und Flohmärkte oder folgt ihnen in Gerstls kleinen Second-Hand-Laden am Naschplatz, wo sich Kleider aus den 1930er- bis 1970er-Jahre türmen, Taschen, Knöpfe und Hüte vergangener Zeiten. Elfriede Jelinek ist hier Stammkundin. Wie sie ausgelassen und kindlich beschwingt alte Männerhemden anprobiert, sich an kitschigen Accessoires erfreut oder von ihrer ersten Barbie-Puppe schwärmt, das entspricht so gar nicht dem gängigen Bild der scharfzüngigen, verbissenen Analytikerin und Ikone der Frauenbewegung, das sie sich in vielen Jahren hart erarbeitet hat. Stille Komplizenschaft verbirgt sich hinter jeder Einstellung. Man merkt schnell, dass sich die Schriftstellerinnen, die sich als „Gegenspieler im Schreiben“ begreifen, seit Ewigkeiten kennen. 15 Jahre Altersunterschied liegt zwischen ihnen. Das macht sich an dem Respekt bemerkbar, mit dem Jelinek der weniger berühmten Freundin begegnet. Sie lässt ihr den Vortritt, hört ihr geduldig zu und schmunzelt über ihre lyrische Ausdrucksweise. Doch zumindest, was die Leidenschaft für Mode angeht, liegen sie auf gleicher Wellenlänge. Der stets maskenhaft geschminkten Jelinek verleiht die optische Inszenierung ein Schutzschild, es ist der „Ausdruck des Wunsches, sich zu verstecken“, nichts von sich preiszugeben, so wie ihr die Sprache dazu dient, hinter den Wörtern zu verschwinden. Für die selbstironische Gerstl ist es eine Sucht, die ihr Leben bestimmt, Trostpflaster für die entbehrungsreiche Kindheit.
Leider drängt sich die Frau hinter der Kamera als Dritte im Bunde in den Vordergrund. Hanna Laura Klar nimmt nicht nur neben den Wein schlürfenden Damen Platz im Bild, sondern unterbricht sie hemmungslos mit erregter Stimme, quittiert ihre Aussagen mit störendem „Aha“ und „Mhh“ und entpuppt sich so als Schülerin von Alexander Kluge, bei dem sie eine Zeit lang Assistentin war. Die betont unprofessionelle Interviewsituation soll Intimität suggerieren, das Resultat aber ist oft ein lautes Durcheinander, bei dem man gelegentlich kein Wort versteht. Dabei haben die Dichterinnen durchaus etwas mitzuteilen. Wenn sie über die Vorteile sinnieren, die ihnen das Verbleiben im Zustand der ewigen Kindheit für ihre Arbeit bietet, erfährt man Aufschlussreiches über ihren sich gegenseitig befruchtenden Schreibprozess. Die verhängnisvolle Beziehung zur dominanten Mutter spielt bei beiden eine Schlüsselrolle. Gleich dutzendfach wird das Tochterschicksal der beiden Elfriedes erzählt und ermüdet dennoch keine Sekunde, denn sie ordnen es in zeitgeschichtliche Zusammenhänge ein. Freimütig spricht das jüdische Einzelkind Gerstl über die Zeit, als sie sich, während der Vater ins Ausland emigrierte, mit ihrer Mutter vor den Nazis verstecken musste und nur mit Lügen und Tricks der Deportation entkam. Ein ähnliches Schicksal widerfuhr Jelineks jüdischem Vater, der nur dank der Mischehe überlebte, auch wenn er als Chemiker wegen seiner kriegsdienlichen Forschung lange vor antisemitischer Diskriminierung geschützt war. Das Trauma der Verfolgung holte ihn nach Kriegsende dennoch noch ein: 1969 starb er nach langer Krankheit in einer psychiatrischen Klinik. Im Familiengefüge hinterließ der abwesende Vater eine Leerstelle. Die Mütter, „beide Täterinnen“, füllten sie, indem sie ihre Töchter zu Wunderkindern trimmten und ihnen die Ablösung erschwerten.
Mit Mut zur Schwäche erzählt Jelinek von der Angstneurose, die sie während ihres Studiums ein Jahr lang im Elternhaus festhielt, unfähig, auch nur einen Schritt vor die Tür zu setzen. Diese privaten Geständnisse kommentieren Fotos aus der Kindheit und frühen Jugend, die Klar ein wenig beliebig und zudem viel zu selten unter die Erzählungen schneidet. Stimmiger fallen die Außenaufnahmen aus, die in langsamem Bilderfluss die spezifische Wiener Atmosphäre einfangen. Dass das Doppelporträt über weite Strecken statisch und langatmig wirkt und zu sehr auf die Fabulierlust seiner Protagonistinnen setzt, lässt sich verschmerzen, bekommt man doch eine unbekannte Elfriede Jelinek präsentiert, die man so sanft und gelassen noch nie gesehen hat. „Wir sind Expertinnen in Sachen Leid“, sagen die beiden Schmerzensfrauen zum Schluss. Angesichts der zärtlichen Frauenfreundschaft, die sie verbindet, mag man ihnen das fast nicht glauben, so heiter kommt es über ihre Lippen. Aber es reicht, nur wenige Zeilen aus ihrem Werk zu lesen, um die Präsenz einer gebrochenen Biografie zu spüren.
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