Bei der Aufklärung eines Betrugs mit gefälschten Ausweispapieren verliebt sich ein Versicherungsdetektiv in die Täterin, wodurch er selbst gegen die Vorschriften seiner futuristischen Gesellschaft verstößt. Der Film verzichtet auf genreübliche Effekte, benutzt vielmehr das urbane Design moderner Metropolen als Hintergrund einer um Identität und persönliche Freiheit kreisenden Science-Fiction-Story. Er entwirft dabei die Schreckensvision einer kontrollierten und hermetischen Welt, die auch in ihren Extremen nur eine kurze Spanne von der Gegenwart entfernt ist und eine Atmosphäre existenzieller Angst vermittelt. Formal von kühler, unemotionaler Konsequenz.
- Sehenswert ab 14.
Code 46
Science-Fiction | USA/Großbritannien 2003 | 92 Minuten
Regie: Michael Winterbottom
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Filmdaten
- Originaltitel
- CODE 46
- Produktionsland
- USA/Großbritannien
- Produktionsjahr
- 2003
- Produktionsfirma
- Smoke and Mirrors/The Moving Picture Company
- Regie
- Michael Winterbottom
- Buch
- Frank Cottrell Boyce
- Kamera
- Alwin Kuchler · Marcel Zyskind
- Musik
- David Holmes
- Schnitt
- Peter Christelis
- Darsteller
- Tim Robbins (William) · Samantha Morton (Maria) · Om Puri (Backland) · Jeanne Balibar (Sylvie) · Togo Igawa (Fahrer)
- Länge
- 92 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Science-Fiction | Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
An „Code 46“ werden sich die Geister scheiden. Wer in Science-Fiction-Filme geht, um sich in fantastische Welten versetzen zu lassen oder um Special Effects zu sehen, ist bei Michael Winterbottoms Film am falschen Platz. Die Zukunft in „Code 46“ ist nur einen Augenblick, eine kurze Spanne von der Welt des beginnenden 21. Jahrhunderts entfernt. Was fremd erscheint, kann dem Zuschauer schon in der nächsten Einstellung vertraut vorkommen, und Vertrautes nimmt unvermutet die Dimensionen eines Albtraums an. Winterbottom spekuliert mit der Doppeldeutigkeit seiner Erfindungen, wie es auch einen Großteil der Faszination des Films ausmacht, sich auf die Spannungen einzulassen, die aus solcher Doppeldeutigkeit entstehen. Wer nach Parallelen sucht, kann sie am ehesten in Filmen wie Andrew Niccols „Gattaca“ (fd 33 221) oder Kathryn Bigelows „Strange Days“ (fd 31 767) finden.
„Code 46“ versetzt in eine Welt, deren Ozonschicht bereits so weit zerstört ist, dass die Menschen entweder in verbarrikadierten, hochindustrialisierten Städten leben oder in unzivilisierten Wüsten dahinvegetieren. Wer zu den Begünstigten gehören will, braucht Aufenthalts- und Versicherungspapiere, deren Zuteilung streng überwacht wird. Gen-Manipulation und Klonen zählen zum Alltag. Die meisten Menschen verdanken dem einen oder dem anderen ihre Existenz. Deshalb gibt es strikte Gesetze, die den Geschlechtsverkehr zwischen Personen gleicher genetischer Herkunft verbieten. William kommt als Versicherungsdetektiv nach Shanghai, eine der überbevölkerten, privilegierten Großstädte, um einen Betrug aufzuklären. Ausgestattet mit einem „empathy virus“, ist er in der Lage, die Gedanken anderer Menschen zu lesen, und stößt deshalb rasch auf den Schuldigen. Es ist Maria, eine junge Frau, die in einer Fabrik arbeitet, wo Identitätsausweise hergestellt werden. Beide fühlen sich zueinander hingezogen und verbringen die Nacht von Marias Geburtstag miteinander, vor der sie ihr Leben lang Angst gehabt hat, weil es die letzte Nacht ist, die ihr ein jährlich wiederkehrender Albtraum gewährt. William muss zu seinem Arbeitsplatz und seiner Familie nach Seattle zurück und erfährt erst bei einer späteren Reise nach Shanghai, dass er gegen den Code 46 verstoßen hat.
Der Film ist Science Fiction-, Detektiv- und Liebesgeschichte zur selben Zeit. Dennoch vermeint man keinen Augenblick lang, einer dieser Storys beizuwohnen, weil Winterbottoms unemotionale, konsequente Erzähltechnik jedes der Genres seiner konventionellen Bestandteile entkleidet. Gleich von den ersten Bildern der Ankunft Williams’ in Shanghai an entwickelt sich eine Art hypnotische Qualität der fast dokumentarischen und doch auch wieder mystisch überhöhten Erzählung, die „Code 46“ als etwas Besonderes ausweist. Wer in seinem Leben viele Filme gesehen hat, fühlt sich weniger an die Rituale und Klischees der bemühten Genres erinnert als an thematische Ähnlichkeiten mit einigen Filmen aus jüngster Zeit, die schon vom Datum ihrer Entstehung her keine direkten Vorbilder gewesen sein können, die aber zeigen, dass es eine geistige Verwandtschaft zwischen den Filmemachern gibt. Die scheinbare Unvereinbarkeit der beiden Liebenden beispielsweise und deren Zusammentreffen in einer technisierten, unnahbaren Großstadt lässt an Sofia Coppolas „Lost in Translation“ (fd 36 315) denken, die Manipulationen am Erinnerungsvermögen, die im zweiten Teil des Films eine große Rolle spielen, an Michel Gondrys „Vergiss mein nicht!“ (fd 36 491). All diese Filmemacher scheinen etwas aufzugreifen, was in der Luft liegt und was ihre Filme von der bloßen Variation vertrauter Genre-Schemata absetzt: die Beschneidung persönlicher Freiheit in einer von Reglementierung und Technik bedrohten Welt und die Furcht vor einer zunehmenden Entindividualisierung unserer Gesellschaft.
Michael Winterbottom verzichtet auf alle Spezialeffekte, auf futuristische Bauten und extravagantes Set Design. Stattdessen hat er seine Crew um den halben Globus geschickt und das Städte-Design der Gegenwart als Hintergrund und Schauplatz gewählt – ein weiteres Indiz dafür, dass seine Story ihre Motivation ebenso aus dem Hier und Heute wie aus der Zukunft bezieht. Die sterile Architektur von Flughäfen, Hotels und U-Bahn-Stationen, die Neon-Reklamen der Straßen von Shanghai und die unerwartete Modernität von Dubai stehen in hartem Kontrast zur Armut und Trostlosigkeit indischer Landstriche. So, wie er Stadtlandschaften verschiedenster Kulturen als Handlungsplätze benutzt, bevölkert Winterbottom diese Städte auch mit Menschen unterschiedlicher Herkunft, deren Transnationalität nicht nur im Aussehen, sondern auch in der mit spanischen, französischen und chinesischen Brocken durchsetzten Sprache ihren Ausdruck findet. Die Atmosphäre – das müssen sogar die Kritiker des Films zugestehen – lässt sich so schnell nicht vergessen. Selbst wenn man den Plot als konstruiert empfinden sollte, überträgt sich die existenzielle Angst der Personen allein durch deren Unentrinnbarkeit aus einer kontrollierten und hermetischen Welt so sehr auf den Zuschauer, dass „Code 46“ einen Platz unter den besten Science-Fiction-Filmen der letzten Zeit verdient.
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