Für Regisseure, insbesondere für Dokumentaristen, muss es ein Albtraum sein, auf der Leinwand die dramatischsten Szenen ihres Lebens zu zeigen – und beim Publikum nur auf kaltes Desinteresse zu stoßen. Steve Zissou, einen berühmten Meeresforscher und -filmer, dessen letzter Erfolg allerdings schon eine Weile zurück liegt, ereilt dieser Moment bei einer Premiere, genau in dem Augenblick, als auf der Leinwand sein langjähriger Partner von einem Jaguarhai gefressen wird. Da sein Ruf als heiterer Tierfilmer ohnehin ruiniert ist, schiebt er nach Art eines Kapitän Ahab die Drohung hinterher, den seltenen Hai zu finden und zu töten – aus Rache. So beginnt ein seltsames Meeresabenteuer an Deck eines uralten Forschungsschiffes, das von einigen sehr seltsamen Charakteren bevölkert wird, und auf einem Ozean, in dem nicht minder eigenartige Geschöpfe leben. Wie jede erzählerische Reise ist auch diese eine Reise zum eigenen Ich der Hauptfigur: Zissou, einst unangefochtener Chef des „Team Zissou“, steht vor den Scherben seiner Arbeit und seines Lebens. Das führt über kurz oder lang dazu, dass zuerst die Sponsoren und dann auch Teile der Mannschaft die Gefolgschaft verweigern. In dieser Situation taucht ein junger Mann auf, der behauptet, aus einer lange zurückliegenden Affäre Steves zu entstammen, außerdem sind auch seine Noch-Gattin und eine schwangere Reporterin an Bord, während auf hoher See sein professioneller und persönlicher Widersacher sowie philippinische Piraten auf ihn warten.
Mit bemerkenswerter Konsequenz breitet Wes Anderson seit seinem Debüt „Durchgeknallt“
(fd 32 439), vor allem aber seit „Rushmore“
(fd 34 741) sein persönliches Panoptikum merkwürdiger Charaktere in nicht minder merkwürdigen Welten aus. Nicht nur, dass der Schulsponsor in „Rushmore“, der Analytiker in „The Royal Tenenbaums“
(fd 35 300) und Steve Zissou gleichermaßen selbstverliebt wie voller Zweifel und Versagensangst sind, sie werden alle auch von Bill Murray dargestellt, der hier wieder auf umwerfende Weise alles Elend dieser Welt auf seinen Schultern zu tragen scheint. Owen Wilson, hier der angebliche Sohn, gehört ebenfalls seit Beginn zum Anderson-Team, auch als Co-Autor oder -Produzent. Dazu kommen eine schöne, aber irgendwie hässliche Frau, die von Cate Blanchett verkörpert wird, sowie weitere Menschen, die sich aus Neid und anderen niederen Beweggründen gegenseitig das Leben schwer machen. Indem seine Figuren alle in familiären Bindungen gefangen sind, von denen sie offensichtlich nicht loskommen, wirkt Anderson ein wenig wie der John Irving des Kinos. Mehr noch als beim Bestsellerautor ist Andersons Welt jedoch eine, die es nicht gibt und auch nicht geben kann, selbst dann nicht, wenn man die dramaturgischen Prozesse der Verdichtung und Übersteigerung in Rechnung stellt. Allerdings sind nicht nur die Figuren Karikaturen, sondern auch die Schauplätze – die Schule in „Rushmore“, das New York der Tenenbaums – und letztlich wohl auch die Plots.
Diesen Weg ist Anderson nun konsequent zu Ende gegangen: Sein jüngster Film ist noch deutlicher ein Meta-Film, einer, der nicht nur seine Vorbilder offen legt, sondern den Prozess der Offenlegung gleich mit. Daher ist der Schiffsrumpf des Zissou-Schiffs aufgeschnitten worden, sodass die Kamera an ihm entlang gleiten kann wie an einer riesigen Kulisse, vorbei an den Trennwänden, während die Schauspieler sich unbeirrt weiter in ihre Manien verwickeln. Daher sind die Meerestiere allesamt Trickfiguren, die mittels Stop-Motion zum Leben erweckt werden. Und daher wackelt auch die Kamera, wirken die Bauten missraten – wobei die Zissou-Filme im Film noch bedeutend dilettantischer ausfallen. Das Leben des Zissou-Teams ist, so mag man daraus schließen, ein alter Kahn, der Rost angesetzt und Schlagseite hat, dem also der Untergang droht, wenn er sich nicht einer Generalüberholung stellt. Doch nicht nur das Meeresfilmerteam und dessen Arbeit, auch das traditionelle Geschichtenerzählen weist aus Andersons Sicht eine dicke Patinaschicht auf. Zu Andersons Vorbildern zählt, neben Jacques-Yves Cousteau, sicherlich Hal Ashby mit seinen ebenso leisen wie bösen Gesellschaftssatiren, weshalb er hier tatsächlich Bud Cort, den Darsteller des Harold in Ashbys „Harold und Maude“
(fd 18 885), aus seinem unauffälligen Schauspielerdasein erweckt hat. Anderson, Anfang 30, ist, ähnlich wie die Pioniere des New Hollywood, vor allem medial geprägt, und seine Filme lassen sich als Kommentare zu bestimmten Genres lesen, zur High-School-Komödie („Rushmore“), zur Familien-Tragödie („Die Royal Tenenbaums“) und diesmal zu Tierdokumentation, Abenteuerfilm, Ehedrama, Vater-Sohn-Geschichte. Vor allem den Hochglanzausgaben dieser Genres sagt Anderson den Kampf an, nimmt ihnen jeden illusionistischen Charakter und entlarvt – mit seinem zugleich billig wirkenden und völlig artifiziellen Film, den treffenden Dialogsätzen und behutsam ausbalancierten Szenen – besser deren Charakter eines reinen Kunstproduktes, als es jede auf bloße Gags hin konzipierte Parodie könnte.