Die Vermutung liegt nahe, dass man beim Schreiben über Martin Scorseses neuen Film in erster Linie den Mythos eines Regisseurs weiterzuspinnen hätte, der sich aus sozialen Hintertreppenmilieus zu hochfliegenden, bombastischen Panoramen geschichtsmächtiger Figuren heraufgearbeitet hat. In der Tat verstehen es Scorsese und sein Produktionsdesigner Dante Ferretti vom ersten Bild an, opulentes Kino der Spitzenklasse zu entfalten. Man kann in den Massenszenen „baden“ und an der keimfreien Heroisierung des jungen Exzentrikers Howard Hughes das Staunen neu lernen. Doch den Gipfel seiner Kunst erklimmt Scorsese nur in einer Nebenhandlung, die Cate Blanchett als Katharine Hepburn einführt. Was als ironisch überdrehte Karikatur beginnt, mit der (in der Originalfassung) Gestus, Stimme und Diktion der eigenwilligen Komödiendarstellerin bereits zu einer wunderschönen Hommage zugefeilt werden, verdichtet sich alsbald zu einem intimen Drama, das die Dimension eines so opernhaften Films wie „The Aviator“ sprengt. Sobald sich Katharine Hepburn aus Hughes’ Leben wieder verabschiedet, weil sie in Spencer Tracy die große Liebe gefunden zu haben glaubt, bricht auch der Film zusammen.
Insofern ist „The Aviator“ Scorseses „Gangs of New York“
(fd 35 802) durchaus ähnlich: Auch hier verselbständigen sich einzelne virtuos konzipierte Szenenfolgen, während das große Ganze zur Repetition neigt und langsam ermüdet. Das hat nicht zuletzt etwas damit zu tun, dass sich Scorsese immer mehr vom kritischen Filmemacher zum Regisseur überproportionierter „Event Movies“ entwickelt. Seine bedeutenden und richtungweisenden Arbeiten, die vornehmlich zu Beginn seiner Karriere entstanden, fanden zwar bei der Kritik, aber weder in Hollywood noch beim breiten Publikum die Anerkennung, die sie verdienten. Nun sieht es so aus, als ob er all sein Talent nur noch dazu verschleudert, mit aller Gewalt endlich einen „Oscar“ für den besten Film des Jahres zu erhalten, der ihm bisher versagt blieb. Doch „The Aviator“ ist nur in der Beherrschung der filmischen Mittel ein großer Film; so oft Scorsese auch mit dem Genius des jungen Industriellen, Piloten und Filmproduzenten Howard Hughes kokettiert, der nach jedem riskanten Geschäftsmanöver wie ein Phönix aus der Asche aufersteht, und so penetrant er gelegentlich in Inhalt und Stil mit der Erinnerung an Orson Welles’ genialen Film „Citizen Kane“
(fd 10 261) flirtet, gelingt ihm doch nicht der große Wurf, der ihm wohl vorgeschwebt hat.
Einer der Gründe dafür liegt in der abwärts tendierenden Biografie des trotz Geld, Macht und Selbstbewusstsein an seinen Neurosen scheiternden Helden. Was der Film erzählt, ist über weite Strecken der Inbegriff einer amerikanischen Erfolgsstory: die Geschichte eines jungen Mannes, der mit seinem ererbten Vermögen und seinem grenzenlosen Perfektionismus in allem, was er tut, nach dem Höchsten strebt. Ob er für eine Szene seines Films „Hell’s Angels“ 26 Kameras verlangt und Wolken wie die Brüste von Jane Russell, ob er das schnellste oder das größte Flugzeug der Welt bauen lässt, ob er einen ganzen Straßenzug von Beverly Hills bei einem Flugzeugabsturz in Asche legt, ob er den Traum von einer interkontinentalen Fluglinie in Washington gegen eine Phalanx einflussreicher Widersacher verteidigen muss oder ob es nur um seine wechselnden Liebschaften mit Hollywood-Stars und -Starletts geht: Alles, was Hughes anfasste, trug stets den Stempel des Außergewöhnlichen und Übermenschlichen. Das ist der Stoff, aus dem amerikanische Karrieren gemacht sind. Aber Hughes war kein Rockefeller. Von Kindheit an war er eine gespaltene Persönlichkeit, deren Höhenflüge lediglich der Kompensation zahlloser Neurosen dienten, mit denen er sich schließlich als hoffnungslos Drogenabhängiger zugrunde richtete.
Scorsese verweigert tiefere Einsichten in das Ende des Mannes, dessen Aufstieg er mit sichtlicher Begeisterung glorifiziert. In der zweiten Hälfte des Films, wo es gegolten hätte, die Tragödien des Howard Hughes zu beschreiben, scheint er entschlossen, vor dem Schlimmsten Halt zu machen. Er verzettelt sich in einer schier endlosen Ausbreitung der Verhöre vor einem Senatsausschuss, dessen Vorsitzender Hughes moralisch und finanziell zugrunde richten will, und er überlässt es einer seltsam ambivalenten Szene, in der ein nackt in seinem Vorführraum herumirrender Hughes der neugierigen Öffentlichkeit die kalte Schulter zeigt, den endgültigen Durchbruch der Geisteskrankheit anzudeuten. Größe im eigenen Untergang wird diesem Howard Hughes nicht gestattet. Darin unterscheidet sich „The Aviator“ zum Beispiel von David Leans „Lawrence von Arabien“
(fd 11 864), der seinem zwielichtigen Helden auch im unattraktiven Ende die Aura des „Übermenschen“ belässt, so anfechtbar sie auch erscheinen mag. Der inhaltlichen Konzeption entspricht die formale: Die Bravour der Anfangsszenen, der Witz der Beziehung zu Katharine Hepburn, die Rasanz der Fliegerszenen, die kalkulierte, aber augen- und ohrenbetäubende Extravaganz des Hollywood-Betriebs können auf Dauer nicht verbergen, dass der Held, um dessentwillen das alles inszeniert wurde, dem Abgrund zusteuert und den Film damit um das Crescendo betrügt, das Kinofilme dieses Kalibers nun einmal benötigen, um sich im Gedächtnis des Zuschauers zu verankern. An dem Versuch, Kino und Historie in Einklang zu bringen, haben sich schon viele Autoren und Regisseure verhoben. Wenige verfügten über die Begabung, die Martin Scorsese auszeichnet. Deshalb ist es um so bedauerlicher, einen Film wie „The Aviator“ letztlich scheitern zu sehen.