Die Bücher von Daniel Handler alias Lemony Snicket sind voller bitterböser, unmenschlicher, grauenhaft-brutaler Details und ironischer, subversiver Untertöne. Normalerweise würde kein „vernünftiger Erwachsener“ so etwas seinen Kindern zu lesen geben, aber die einfache Grammatik, die Protagonisten – drei Kinder, die auf ihren Reisen durch eine abenteuerliche Welt begleitet werden –, vor allem aber das Label „Kinderbuch“ verleiten Erwachsene, es für Kinder zu kaufen – und es dann (auch) selbst zu lesen. Barry Sonnenfeld, der sich zunächst an die Verfilmung einiger „Lemony Snicket“-Bücher machte, gehört zu den „bekennenden Kindern“ in Hollywood; dem Projekt ist er noch als ausführender Produzent treu geblieben, während die Regie Brad Silberling übernahm, der mit „Casper“
(fd 31 427) erste Erfahrungen im fantastischen „Kinderfilm“ sammelte. Ihm ist es wohl zu verdanken, dass „Lemony Snicket – Rätselhafte Ereignisse“ nicht ganz so pointiert und böse geworden ist, wie es die Vorlage hergegeben hätte.
So ist die Begegnung mit Bösewicht Graf Olaf zwar unheimlich, aber nicht albtraumhaft. Olaf ist ein Exzentriker wie er im Buche steht; er lebt allein in einem riesigen Haus, das schon zu seiner Blütezeit nicht sonderlich einladend wirkte, frönt dem monologisierenden Mimenspiel und trifft sich mit ähnlich zwielichtigem Künstlerpack, um seine Genialität feiern zu lassen. Graf Olaf ist böse und macht kein Hehl daraus. Dennoch bemüht sich der bekennende Misanthrop nach Kräften, den vorstellig gewordenen Testamentsvollstrecker Mr. Poe davon zu überzeugen, dass er den auf tragische Weise verwaisten Baudelaire-Kindern nicht nur ein Onkel, sondern treusorgender Elternersatz sein kann. Die schauspielerische Charade mag bei Mr. Poe Eindruck hinterlassen haben, den Kindern aber ist sofort klar, dass es nicht ihr Wohlergehen ist, das dem Grafen am Herzen liegt, sondern die Erbschaft, die ihre Eltern hinterlassen haben.
Doch Olaf hat die Rechnung ohne den Bücherwurm Klaus, die geniale Erfinderin Violet und den beißfreudigen Säugling Sunny gemacht, die seinen Einkerkerungs- und Mordversuchen nicht nur begegnen, sondern Mr. Poe auch davon überzeugen können, sie bei anderen Verwandten unterzubringen. Doch Olaf wäre kein Hintertriebener aus Leidenschaft und zudem ein Verwandlungsgenie, wenn er seinen Plan nicht weiter verfolgen würde.
Abenteuerpotenzial ist in „Lemony Snicket“ zuhauf vorhanden, um Kinder zu fesseln und – je nach Gemütslage – zu ängstigen. Zweimal dürfen die Baudelaires noch ein neues Zuhause ausprobieren und besonders bei dem Schlangenforscher, Weltreisenden und Lieblingsonkel Monty das perfekte „Fantasia-Land“ ihr eigen nennen. Sie dürfen die verschrobene Tante Josephine aus einem einsamen Insel-Verlies retten und dem bösen Monster Olaf das Handwerk legen. Doch bereits Lemony Snicket, der als Erzähler der Geschichte fungiert, warnt: „Dies ist alles andere als eine erfreuliche Geschichte“, und wer ein unbeschwertes Märchen sehen will, sollte den Film in der Tat meiden. Die Stimmung ist durchweg düster, die Grundkonstellation tragisch, die Figuren sind alles andere als herzenswarm, etliche Situationen klaustrophob.
Vieles erinnert an die erwachsenen Kindermärchen von Tim Burton, hat doch Szenenbildner Rick Heinrichs bereits in „Edward mit den Scherenhänden“
(fd 28 836), „Nightmare Before Christmas“
(fd 31 095) und „Sleepy Hollow“
(fd 34 116) für magische Settings gesorgt, während Bühnenbildnerin Cheryl Carasik bei „Edward mit den Scherenhänden“ und „Beetlejuice“
(fd 27 141) das surreale Ambiente kreierte und Kostümbildnerin Colleen Atwood für „Sleepy Hollow“, „Edward mit den Scherenhänden“ „Big Fish“
(fd 36 429) atemberaubend märchenhafte Kleider schuf. Dem (erwachsenen) Vergnügen abträglich sind lediglich die gewollt komischen Untertitel des Gebrabbels der kleinen Sunny; hier hätte man mehr auf die sonst stringent durchgehaltene surreale Stimmung des Films und die Fantasie der Zuschauer vertrauen sollen. Ein Problem hätte auch Hauptdarsteller Jim Carrey mit seinem exaltiert polterndem Chargieren werden können; doch Carrey er ist deutlich gereift und spielt Graf Olaf mit kontrollierter, dafür umso brodelnderer Boshaftigkeit, sodass sein Auftritt zu den schönsten Überraschungen des Films zählt. Für Kinder mag das ein fantastisches Abenteuer sein, vielleicht aber auch eine Mutprobe, die es zu bestehen gilt.