Für prächtige Bilder ist Zhang Yimou berühmt. Der frühere Kameramann, der bereits mit seinen ersten Filmen „Rotes Kornfeld“
(fd 27 622) und „Rote Laternen“
(fd 29 732) zum wichtigsten Vertreter der „Fünften Generation“ des chinesischen Kinos wurde, bestach schon immer durch die Verbindung einer überraschenden, oft mit den Stereotypen westlicher China-Wahrnehmung brechenden Geschichte mit einer subtilen, visuell bezaubernden Bildsprache, die stets doppelsinnig und eigenwillig ist. Seine Filme enthielten immer mehr, als westliche Beobachter in ihnen sehen wollten: Auf den oppositionellen Kommentar eines heimlichen Dissidenten ließen sie sich die früheren Werke ebenso wenig reduzieren wie sein fesselndes Epos „Hero“
(fd 35 972) auf einen Kotau gegenüber der Pekinger Führung. In erster Linie ist Zhang ein Bilderkünstler: ein Meister, der in Farben und Einstellungen spricht.
„House of Flying Daggers“ besitzt alle diese Tugenden und ist doch auch wieder mehr: Zhang erfindet sich noch einmal neu, entwickelt seine Stoffe und Themen weiter. Erzählt wird die Geschichte einer verbotenen Liebe, der Selbstbehauptung einer „starken“ Frau in einer Männerwelt, die sie schwach machen will, und ihrem opferreichen Kampf um Liebe. Vor allem muss der Film als Willensbekundung des Regisseurs gesehen werden, sich dem chinesischen Massenpublikum zu öffnen und die westliche Arthouse-Nische zu verlassen, in denen seine früheren Werke ihre Grenzen fanden. Mit gewissen Konzessionen an Zuschauer, die mit den Erzählweisen und Motiven des chinesischen Populärkinos vergleichsweise unvertraut sind, gelang Zhang ein Film, der weltweit bezaubert; womit er einerseits ein Weg ist, dem chinesischen Kino einen neuen Markt zu öffnen, andererseits aber die heimische Industrie zu neuer Offenheit gegenüber dem Westen zu bewegen.
Ein Drama, eine Frau zwischen zwei Männern, dazu Wirren aus Krieg und Politik, die sie trennen, am Ende ein Liebestod im Schnee – es ist ein leidenschaftliches Melodram, das Zhang Yimou ausbreitet. Kino als große Oper, ein Bad in opulent-grandiosen Bildern und ein Fest der Sinne. Doch zugleich ist „House of Flying Daggers“ voller Feinheiten, bildgewaltig und lyrisch zugleich, musikalisch und ergreifend. Ein Western aus China, eine abenteuerliche Romanze von Tuch und Schwert. Der Anfang spielt noch inmitten der Zivilisation: Im Jahr 859, die Tang-Dynastie ist im Begriff zu zerfallen, begegnet man der blinden Tänzerin Mei. Bald stellt sich heraus, dass sie in Kontakt mit der Oppositionsgruppe „House of Flying Daggers“ steht, die aus dem Untergrund die Herrscher bekämpft. Zunächst gefangen genommen, lässt die Obrigkeit sie zum Schein aus dem Gefängnis befreien. Auf der Flucht verliebt sich ihr Befreier, der im Dienst der Polizei steht, in sie. Als beide den Sitz der Untergrundbewegung erreichen, eskalieren die Ereignisse. Kino, das viele Motive streift und kombiniert: das Reiten im Film, die Wahl der Waffen, zu denen neben dem obligatorischen Schwert auch Pfeil und Bogen sowie die „fliegenden Dolche“ des Titels gehören. Gerade hier entfaltet der Film mit Hilfe klug eingesetzter Computertechnik seine Poesie. Das Motiv des blinden Schwertkämpfers – schon in Zhangs „Happy Times“
(fd 35 717) war die weibliche Hauptfigur blind – ist im asiatischen Film, zuletzt „Zatoichi – Der blinde Samurai“
(fd 36 547), sehr beliebt.
Weit mehr als der Plot zählt, wie ihn Zhang inszeniert. Gleich zu Beginn steht eine hochgradig artifizielle, wunderbar ausgefeilte Sequenz: Umringt von 100 Männern, die kleine Trommeln halten, tanzt Mei, gekleidet in ein Kleid aus goldener Seide, durchwirkt mit türkisen Farbtönen. Mit ihrem Schal bedient sie die Trommeln. Kinomodernität und CGI-Technik treffen auf Farben, Orte und Themen des chinesischen Mittelalters, Martial-Arts-Choreografie verschmilzt mit dem stilisierten Spiel der Peking-Oper. Ganz anders geht es dann weiter: Ritte durch wilde Natur, Verfolgungsjagden im grünen Wald, einem klassischen Thema des chinesischen Kinos. Die Farben spiegeln den Verlauf der Geschichte: sattes Waldgrün, Brauntöne und Herbstfarben, kurz eine gelbe, blumenbeschmückte Wiese, das Hellgrün eines Bambuswaldes, in dem einer der spektakulärsten Martial-Arts-Kämpfe stattfindet, der eine berühmte Szene aus King Hus „Ein Hauch von Zen“
(fd 23 417) sowie Ang Lees „Tiger & Dragon“
(fd 34 652) zitiert. Dann, am Ende, eine Winter-Szenerie: Weiß ist in China die Farbe der Trauer. Der Farbgebrauch ist hier ähnlich programmatisch wie in „Hero“, und doch sieht bei allen Ähnlichkeiten der Film völlig anders aus. Zum einen, weil die Farben anders sind und weniger Primärtöne dominieren; zum anderen, weil Szenerie und Schauplätze authentischer, „realistischer“ sind. Wie im Western feiern die Blicke der Kamera die Landschaft, erobern den Raum – mitunter möchte man sich in ihnen verlieren. „House of Flying Daggers“ ist grandiose Unterhaltung, ein ekstatisches Fest aus Seide, Blut und Bewegung, Kino als Kinese.
Hinter der gradlinigen Handlung mit tragischem Ausgang verbergen sich ein pessimistischer Lebensentwurf sowie die sehr chinesische Erfahrung, dass die Geschichte übermächtig ist und persönliche Biografien sowie individuelle Hoffnungen zerschlägt. Am Ende – so viel zu den angeblich „klaren“ politischen Botschaften des Regisseurs – sind es politische Fronten und Parteien, die die große Liebe verhindern und das private Glück nicht weniger zerstören als schlichte Eifersucht und Besitzanspruch der Männer. Ein Gedicht beschwört die Macht der Liebe und erzählt davon, wie Land und Stadt durch sie zerstört werden. Die Schönheit, heißt es, sei unerreichbar. In Zhangs Film zumindest erlebt man das Gegenteil.