- | USA/Großbritannien 2004 | 100 Minuten

Regie: Jonathan Glazer

Eine junge Frau stimmt zehn Jahre nach dem Tod ihres geliebten Ehemanns einer neuerlichen Ehe mit dem Spross einer reichen New Yorker Upper-Class-Familie zu, nicht zuletzt wohl auch, um ihre seelische Instabilität zu überwinden. Als ein zehnjähriger Junge auftaucht und beharrlich behauptet, er sei ihr verstorbener, sie immer noch liebender Mann, gerät ihr fragiles Seelengerüst ins Wanken. Nuanciert inszeniertes, von der Hauptdarstellerin eindrucksvoll aufgefächertes Vexierspiel auf dem schmalen Grat von metaphysischer Spekulation, psychoanalytischer Seelenbeschreibung und gesellschaftlicher Satire, das mehr Fragen stellt als Antworten sucht, dabei aber durchaus Wirkung entfaltet. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BIRTH
Produktionsland
USA/Großbritannien
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Fine Line Features/Lou Yi Inc./Academy Prod.
Regie
Jonathan Glazer
Buch
Jean-Claude Carrière · Milo Addica · Jonathan Glazer
Kamera
Harris Savides
Musik
Alexandre Desplat
Schnitt
Sam Sneade · Claus Wehlisch
Darsteller
Nicole Kidman (Anna) · Lauren Bacall (Eleanor) · Danny Huston (Joseph) · Anne Heche (Clara) · Cameron Bright (junger Sean)
Länge
100 Minuten
Kinostart
23.12.2004
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Warner (1:1.85/16:9/Dolby Digital 5.1)
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Diskussion
Mit dem suggestiven Anfang steht und fällt alles – entweder man steigt vorbehaltlos auf die reizvolle Erzählweise des Films ein und lässt sich von seinen optisch wie auditiv fintenreichen Angeboten in ein seltsames Zwischenreich aus Fantasy und Wirklichkeit entführen, oder man bleibt bis zum Ende außen vor. Minutenlang verfolgt die Kamera im Prolog einen Jogger bei seinen ausufernden Trainingseinheiten im New Yorker Central Park; es ist diesig und kalt, der Schnee wirkt nass und pappig, überhaupt ist es ein trister, alltäglicher Morgen ohne etwas Besonderes. Es ist die (symphonische) Musik, die die lange, nahezu ungeschnittene Sequenz auflädt: mal behutsam, mal drängend bahnen sich Klänge von „überirdischer“ Wucht ihren Weg zum Ohr, die weniger aus dem Kopfhörer des Joggers stammen als von schicksalhafter Einwirkung auf das Kommende künden. Der Läufer macht unter einer Brücke eine kurze Pause – fällt um und stirbt, unbeachtet in der Einsamkeit der urbanen Parkanlage. Quasi zur selben Zeit, wie ein schneller Schnitt nahe legt, geschieht etwas anderes: Aus dem (Frucht-)Wasser taucht ein neugeborenes Kind auf, die Musik schwillt an – und macht lange anhaltender Stille Platz, nach der erst die eigentliche Handlung einsetzt, zehn Jahre später. Dermaßen auf die Existenz eines unausgesprochenen Geheimnisses, von etwas Unerklärlich-Übersinnlichem vorbereitet, begegnet man der immer noch um den Verlust ihrer großen Liebe trauernden Anna am Grab ihres toten Mannes. Nun will sie endgültig Abschied nehmen von ihrem Schmerz: Sie willigt ein, ihren Verehrer Joseph zu heiraten, Spross einer reichen, standesstolzen New Yorker Upper-Class-Familie, die sich in einer mondänen Wohnflucht an der Upper East Side um die herrische Mutter gruppiert. Je nachdem, für welche Rezeptionshaltung sich der Zuschauer zu Beginn entschieden hat, folgt man dem Geschehen bald auf einer jeweils anderen Ebene: entweder auf der der „vernünftigen“, rationalen Fabel, die Lebens-, Arbeits- und vor allem die Denkweise der Oberschichtsfamilie beschreibt und den schwierigen, von unterschwelligen Ressentiments begleiteten Integrationsprozess der zukünftigen Schwiegertochter beobachtet; oder aber auf jener von Annas komplexer Gefühlswelt, ihrer tiefen Verunsicherung, unbewussten Ängste und Zweifel und einer stillen Einsamkeit, in der sie niemanden an sich heranlässt. Nichts wird in dieser Hinsicht explizit artikuliert – alles spielt sich allein im Gesicht und in der Körperhaltung der eindrucksvollen Nicole Kidman ab, die wortlos eine hoch komplexe Seelenlandschaft entfaltet. Wie sich „ihre“ Anna stets mühsam kontrolliert und beherrscht, um Fassung ringt und sich ihr pure physische Anwesenheit immer wieder selbst bewusst machen muss – das ist die eigentliche, höchst spannende Geschichte des Films. Es bedarf eines irrationalen, spekulativen Auslösers von außen, der Anna komplett ins Wanken bringt: Da steht plötzlich und unvermittelt ein zehnjähriger Junge im Familien-Appartment und verbietet Anna die Heirat – sie würde ihn kennen, er sei es, der sie auf immer liebe: ihr toter Ehemann Sean. Man möchte sich amüsieren, schmunzeln über solchen Humbug, wie es auch Josephs Familie tut, doch was die immer beharrlicher vorgetragene Überzeugung des Jungen bei Anna anrichtet, ist beklemmend. Allein in einer weiteren langen Plansequenz, die Anna bei einem Opernbesuch beobachtet, spiegelt sich ihr aufgelöstes Inneres, bis die Kamera zum Schluss an ihren flackernden, unruhigen Augen kleben bleibt, die förmlich Alarm zu „schreien“ scheinen. Regisseur Jonathan Glazer hält geschickt und stets spielerisch-verspielt die Balance zwischen metaphysischer Spekulation und New Yorker Upper-Class-Satire, die sich an den bis zur Herzlosigkeit eitlen und konservativen Denk- und Rollengefügen der Reichen delektiert. Einen starken Gegenpart zu Anna baut er mit dem (ungelösten) Geheimnis des Jungen auf, der, halb Opfer, halb Christus-Figur, seine altersspezifische Kindlichkeit verloren hat und an der Grenze von visionärer Fremdbestimmtheit und übersteigerter Pubertätsfantasie das adäquate Gegenstück zu Annas Befindlichkeit ist. Dass Glazer sowohl das Kind als auch die einsame Frau selbst in den bizarrsten Situationen ernst nimmt, ist ganz entscheidend für die Wirkung des Films: Was sich zu einem emotionalen Aufbrausen in Irrungen und Verwirrungen steigert, bricht am Ende unspektakulär in einer brüchigen Ruhe nach dem Sturm zusammen, wirkt dabei aber intensiv nach und gibt den Raum für Reflexionen frei. Nichts könnte „wirklich“ gewesen sein – der Film als verplauderte Fantasie, die mit dem Übersinnlichen kokettiert. Und doch bleiben Eindrücke haften, die anregen, Antworten nicht allein in psychoanalytischen Erklärungsmustern zu suchen: Was ist denn wirklich „wahr“, was prägt und leitet die Gefühle, die stärker und drängender sein können als alles andere und das „Gefängnis“ von Vernunft und pragmatischer Realität vielleicht tatsächlich überwinden können? „Birth“ will und kann darauf nicht antworten; er ist lediglich eine subtile filmische Fantasie, ein Spiel immerhin, das nachwirkt.
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