So schön, schön war die Zeit“, raunt es beschwörend aus dem Kassettenrecorder, während zwei junge Männer in ihrem Kleinbus durchs Berlin der Gegenwart kreuzen. Freddy Quinn landete vor nahezu 50 Jahren mit „Heimweh“ seinen ersten großen Schlager-Hit, als er von „brennend heißem Wüstensand“ sang und klagte: „Viele Jahre schwere Fron, harte Arbeit, karger Lohn; tagaus, tagein, kein Glück, kein Heim; alles liegt so weit, so weit.“
Irgendwo zwischen nostalgischer Verklärung, lustvoll-renitenter Parodie und der eigenen diffusen Weltverlorenheit treibt es Jan und Peter, beide etwa Mitte 20 und nicht minder heimatlos, durch die moderne Großstadt, mal vehement gegen Kinderarbeit in der Dritten Welt demonstrierend, mal wütend aktiv, wenn ein schwarz fahrender Obdachloser der brutalen Macht zweier Fahrkartenkontrolleure ausgeliefert ist. Abseits solch sporadischer Aktionen am Tage führen die beiden nachts jedoch ein subversives Doppelleben: Sich selbst als „Die Erziehungsberechtigten“ etikettierend, brechen sie nach präzise ausgearbeiteter Recherche in Zehlendorfer Luxusvillen ein – freilich nicht um zu stehlen, sondern um die verreisten Bewohner bei deren Rückkehr in tiefe Beunruhigung zu stürzen. Dazu derangieren sie die üppig angehäuften Luxusgüter zu kreativ-chaotischen Kunstobjekten, türmen Stühle übereinander, stopfen Porträtfotos im Goldrahmen in den Kühlschrank und quittieren das heillose Durcheinander mit Botschaften wie „Sie haben zu viel Geld“ oder „Die fetten Jahre sind vorbei“. Die Reichen in diesem Land sollen sich nicht länger sicher fühlen, ihr Besitz soll ihnen keinen Schutz mehr bieten vor der neuen revolutionären Energie der „rechtelosen“ Jugend. Statt auf offenen Straßenkampf setzen Jan und Peter auf anonymen Guerilla-Krieg, wobei sie in ihren Graffiti-tauglichen Sprüchen mit dem Charme eines Robin Hood kokettieren und elegant in der Nacht verschwinden wie einst der maskierte Gentleman-Rächer Zorro.
Regisseur Hans Weingartner wollte offensichtlich nicht länger eines der Standard-Sujets des „jungen deutschen Kinos“ bedienen. Gegen die ebenso kokette wie inhaltsleere Selbstbespiegelung in den Tag lebender Wohlstandsjugendlicher, die ihre allzu erträgliche Leichtigkeit des Seins in seichten Beziehungskomödien zelebrieren, setzt er mit „Die fetten Jahre sind vorbei“ einen kämpferisch-politischen Entwurf. Anders als die üblichen Kino-Jugendlichen, die nach dem Motto „Bloß keine Botschaften“ ihre Attitüden und Posen pflegen, treten Weingartners Twens an, um ihre Ansprüche an der Realität zu messen; sie suchen nach Lebenserfahrungen in der Konfrontation mit der Welt. „Wir müssen die Dinge in einem größeren Zusammenhang sehen, alles auf eine höhere Stufe stellen“, lautet Jans analytisches Credo, was tragischerweise bereits im Ansatz zum plakativen Allgemeinplatz zu gerinnen droht, in Zeiten, in denen das, was einst subversiv war, längst legal ist und in jedem Laden gekauft werden kann; und auch das Demonstrieren weit schwieriger und aussichtsloser geworden ist als noch vor gut 30 Jahren. Was für Jan zählt, ist die gute Idee hinter der Aktion, die sich, so seine Utopie, tröpfchenweise durchsetzen und „das System“ aushöhlen wird.
Doch wie bei allen revoltierenden Generationen geht dies nur so lange gut, bis sich die Liebe in die romantische Vorstellung von einer „besseren“ Welt und einer „anderen“ Politik mischt. Dabei klingt es für Jan zunächst ganz leicht: „Jedes Herz ist eine revolutionäre Zelle“, betont er euphorisch, doch als er sich ausgerechnet in Jule, die Freundin seines besten Freundes Peter, verliebt, gerät die schöne Idee vom Untergrundkampf gegen den „ganzen kleingeistigen Kleinbürgerscheiß“ unausweichlich aus den Fugen. Dabei wollte Jan nur ein wenig angeben mit dem Kampf-Konzept der „Erziehungsberechtigten“, doch Jule ist begeistert davon und will sich ausgerechnet in der Villa des betuchten Top-Managers Hardenberg als Rächerin austoben, dem sie nach einem Autounfall viel Geld schuldet. Doch dann steht Hardenberg plötzlich leibhaftig vor ihnen – und genauso plötzlich haben Jan und Jule einen Gefangenen, den sie gemeinsam mit Peter in eine entlegene Berghütte entführen. Aus dem illegalen Spiel mit der Subversion wird der existenzielle Ernst eines handfesten Verbrechens.
Ausgesprochen flott, ja nachgerade elegant entwickelt Hans Weingartner seine moderne Robin-Hood-Geschichte mit kurzweiligen, bisweilen virtuos gehandhabten filmischen Mitteln, wobei er stilsicher und zudem unterhaltsam die delikate Balance zwischen Spiel und Ernst, analytischer Ernsthaftigkeit und lakonischer Ironie wahrt. Vehement treibt die rastlose Handkamera die Ereignisse voran, verleiht die rasante Montage aus mal wild verkanteten, mal dokumentarisch anmutenden, dann wieder poetisch verdichteten Szenen dem Ganzen eine eigene Handschrift, die gleichsam programmatisch „außer Atem“ daherkommt. Mit dem Wechsel der Szenerie von der Stadt in die einsame Bergwelt ändert sich der Rhythmus drastisch; die Erzählung stockt, scheint erschrocken innezuhalten und durchzuatmen. Kann die Sackgasse, in die sich Jan, Jule und Peter manövriert haben, noch als politische Aktion durchgehen? Für Hardenberg, den Alt-68er mit SDS-Vergangenheit, der allmählich seine Furcht ablegt, sind sie nicht besser als Terroristen, doch Weingartner bleibt pragmatisch: „Wir brauchen Milch, Brot und Klopapier“, lautet die erste wirklichkeitsnahe Entscheidung.
Das Kammerspiel des zweiten Filmteils wird zur inszenatorisch schwierigeren, nicht immer glücklich gelösten Mischung aus kompliziertem Liebesdrama, Besinnungsstück und politischem Diskurs, an dem sich die Revoluzzer von einst und jetzt bis zur Erschöpfung verbal abarbeiten, bis sie ernüchtert zur Tagesordnung zurückkehren; auf die „Romantik“ des politisch akzentuierten Existenzkampfes folgt die lange Katerstimmung der Perspektivlosigkeit, und mit einem Mal sind die „fetten Jahre“ auch für Jan, Jule und Peter vorbei, da sie ihre „Unschuld“ und jugendliche Naivität eingebüßt haben, ohne dass ihnen Weingartner einen politisch überzeugenden Ausweg weisen könnte. So bleibt die Schlusspointe des Films lediglich eine schicke aufgesetzte Pose, die dem zuvor so wundersam leicht erzählten Drama nicht gerecht wird und es eher konterkariert. Was indes besticht, ist das glaubwürdige Spiel der drei jungen Hauptdarsteller, die manche Lücke in der Charakterzeichnung ihrer Figuren mit Verve überspielen und dabei so ganz nebenbei signalisieren, dass der wirklich aufrechte Gang vielleicht gar nicht eine Frage des „richtigen“ politischen Kampfes ist; wundersamerweise passen am Ende Begriffe wie Moral, Freundschaft und Loyalität durchaus glaubwürdig mit der aufmüpfigen Lebenslust der drei Jugendlichen zusammen.