Drama | Großbritannien/Belgien/Deutschland/Italien/Spanien 2004 | 104 Minuten

Regie: Ken Loach

Eine junge Frau in Glasgow unterrichtet an einer katholischen Schule. Als sie sich in einen pakistanisch-stämmigen DJ verliebt, stoßen beide in ihrem beruflichen und familiären Umfeld auf Animositäten und schier unüberwindliche Probleme. Eine berührende "Romeo-und-Julia"-Geschichte um ein Paar, das über große kulturelle Unterschiede hinweg zueinander finden will. Mit der genau beobachteten Milieu- und Mentalitätsstudie erweist sich Ken Loach einmal nicht als schonungsloser Kritiker ökonomischer Ungerechtigkeit, sondern er erzählt mit Feingefühl und Humor über soziale und kulturelle Spannungen. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
AE FOND KISS...
Produktionsland
Großbritannien/Belgien/Deutschland/Italien/Spanien
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Bianca Film/Cinéart/Glasgow Film Office/Matador/Scottish Screen/Sixteen Films/Tornasol
Regie
Ken Loach
Buch
Paul Laverty
Kamera
Barry Ackroyd
Musik
George Fenton
Schnitt
Jonathan Morris
Darsteller
Atta Yaqub (Casim Khan) · Eva Birthistle (Rosin Hanlon) · Shamshad Akhtar (Sadia Khan) · Ghizala Avan (Rukhsana Khan) · Shabana Bakhsh (Tahara Khan)
Länge
104 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Liebesfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Legend Films (1:1.85/16:9/Dolby Digital 5.1)
DVD kaufen

Diskussion
Der Originaltitel von Ken Loachs jüngstem Glasgow-Film, „Ae Fond Kiss“, stammt aus der Feder des schottischen Dichters Robert Burns (1759-96), in dessen gleichnamigem Lied es heißt: „Ae fond kiss, and then we sever. Ae farewell, and then for ever!“ Es erzählt von einem Abschied für immer, einer unglücklichen Liebe, die sich gegen die Umstände der Zeit nicht durchzusetzen vermag; eine Liebe, die es tatsächlich gegeben hat, und die es so ähnlich immer wieder gab und bis heute gibt. Wohl zu Recht ging der deutsche Verleih davon aus, dass diese Anspielung hierzulande kaum verstanden wird, und wandelte den Filmtitel ab – warum ausgerechnet in ein belangloses „Just a Kiss“, bleibt dessen Geheimnis. Casim, Sohn pakistanischer Einwanderer, und die junge Musiklehrerin Roisin verbindet viel mehr als „nur ein Kuss“. Vor dem multikulturellen Hintergrund der schottischen Metropole spinnt Loach das tragische Geflecht aus Burns’ Lied in der Gegenwart weiter zu einem modernen „Romeo und Julia“-Stück, in dem ihre unterschiedliche Herkunft die beiden Liebenden zu trennen droht. Casim, der nachts als DJ durch die Glasgower Clubs zieht, begegnet Roisin zufällig, als er seine jüngere Schwester von der Schule abholt. Zwischen beiden funkt es auf Anhieb. Sie sehen sich wieder, und eine leidenschaftliche Affäre entbrennt. Doch mehr kann daraus zunächst nicht werden. Casim ist längst einer Cousine aus Pakistan versprochen, was er Roisin aber erst wenige Wochen vor dem festgesetzten Hochzeitstermin gesteht. Widerstände gegen die Liebe zu einem Andersgläubigen regen sich auch in Roisins Umfeld. Weil sie an einer katholischen Schule unterrichtet, benötigt sie für ihre Arbeitsstelle eine „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ des zuständigen Pfarramtes. Eine bloße Formalie, wie Roisin glaubt, aber der selbstgerechte, altväterliche Pfarrer beharrt mit strengem Blick und zornigen Worten darauf, dass Roisin das „sündige“ Verhältnis, in dem sie mit Casim lebt, beendet. Entweder solle sie ihn heiraten und die gemeinsamen Kinder später katholisch erziehen oder ihn zum Teufel jagen. Roisin, die nicht bereit ist, sich wie ein Kommunionmädchen gängeln zu lassen, verliert zuerst die Fassung und hinterher ihren Job. Deutlich schwerer tut sich Casim damit, sich von überkommenen Traditionen freizumachen. Erst nach zähem inneren Ringen und als Roisin und er sich eigentlich schon getrennt haben, sagt er die arrangierte Heirat ab und zieht von zuhause aus. Doch Casims Eltern sind nicht gewillt, seine Entscheidung zu akzeptieren.

Nach „My Name is Joe“ (fd 33 480) und „Sweet Sixteen“ (fd 36 009) ist „Just a Kiss“ bereits Loachs dritter Film, der in Glasgow spielt. Die grau-schmutzige Hafenstadt mit ihren eng geschachtelten, beklemmenden Proletarierparzellen, die derbe, ungeschminkte und unbarmherzige Brutstätte arbeitsloser Alkoholiker und Dealer aber sucht man in „Just a Kiss“ vergebens. Casims Vater betreibt ein gut gehendes Ladengeschäft, und in Roisins schicker Singlewohnung ist sogar Platz für ein Klavier. Frei von Existenzängsten führen diese Mittelständler – getrennt von einander – ein geradezu idyllisches Leben. Die Sonne scheint durchs Fenster, Blumen blühen im Garten, Bäume säumen den Straßenrand, die ganze Stadt wirkt vergleichsweise luftig, licht und bunt. Überhaupt stimmt „Just a Kiss“ einen optimistischeren, fröhlicheren Ton an, als man es sonst von Loach als schonungslosem Verfechter eines sozialkritischen Kinos gewohnt ist. Auch diesmal legt er den Finger auf gesellschaftliche wie zwischenmenschliche Wunden, aber anders als auf ökonomische Ungerechtigkeiten reagiert Loach auf die kulturellen Verschiedenheiten und Traditionen seiner Protagonisten verständnisvoll. Der katholische Pfarrer erscheint als Repräsentant der Institution Kirche als einziger durchweg negativ, alle anderen sind schlichtweg Menschen. Beispielhaft zeichnet Loach an Casims Geschwistern den Generationenkonflikt nach: seine ältere Schwester ist noch traditionsbewusster als er, seine jüngere schon moderner und frecher. Loachs Film wirft mehr Fragen auf als er beantwortet, aber von der frustrierenden, deprimierenden Atmosphäre seines vorherigen Films „Sweet Sixteen“ könnte „Just a Kiss“ kaum weiter entfernt sein. Denn aller Probleme, Widrigkeiten und Intrigen zum Trotz behält der Film seine anfangs eingeschlagene leichte Gangart bis zum Ende bei. In Anlehnung an Damien O’Donnells „East is East“ (fd 34 254) zeigt Loach, dass Kulturkonflikte nicht nur tragisch, sondern auch komisch sein können. Vor allem aber nimmt er sie zum Anlass, eine wunderschöne romantische und berührende Liebesgeschichte zu erzählen.

Kommentieren