Die Geschichte von Marie und Julien
- | Frankreich/Italien 2003 | 150 Minuten
Regie: Jacques Rivette
Filmdaten
- Originaltitel
- HISTOIRE DE MARIE ET JULIEN
- Produktionsland
- Frankreich/Italien
- Produktionsjahr
- 2003
- Produktionsfirma
- Pierre Grise Prod./Arte France Cinéma/VM/FMB 2/Canal +/Eurimages/Cinemaundici/Cofimage 14/Gimages 6/CNC
- Regie
- Jacques Rivette
- Buch
- Pascal Bonitzer · Christine Laurent · Jacques Rivette
- Kamera
- William Lubtchansky
- Schnitt
- Nicole Lubtchansky
- Darsteller
- Emmanuelle Béart (Marie) · Jerzy Radziwilowicz (Julien) · Anne Brochet (Madame X) · Bettina Kee (Adrienne) · Olivier Cruveiller (Verleger)
- Länge
- 150 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Es ist erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit und Souveränität es Jacques Rivette gelingt, mit einfachsten filmischen und erzählerischen Mitteln die Grenze zwischen Leben und Tod aufzuheben. Da werden redundante Dialoge ausgetauscht, die darauf zielen, eine geheimnisvolle Spannung zwischen den Figuren zu bewahren. Räume verdoppeln sich, Träume wiederholen sich, Gegenstände, die von Hand zu Hand gehen, entwickeln ein Eigenleben, erweisen sich mitunter als Botschaften aus dem Jenseits und Handlungsanweisungen zur ersehnten oder gefürchteten Erlösung. Selbst, wenn man der von Adrienne und Madame X angebotenen „Plausibilisierung“ des Geschehens folgt, bleiben logische Leerstellen, die immer wieder auf sich selbst und damit die Aufhebung der Grenze zwischen Leben und Tod verweisen. Damit verbunden ist eine konsequent entfaltete, mehrschichtige Metaphorik zu den Themenfeldern „Gedächtnis“, „Erinnern und Vergessen“ und der damit verbundenen Zeitlichkeit. Hieraus entsteht im Film eine Spannung zwischen omnipräsenter Präzision – Julien ist ein Uhrmacher – und dem permanenten Verfehlen der Figuren, die Rendezvous verpassen, sich missverständlich verabreden oder aneinander vorbei reden. Die traumhafte Atmosphäre des Films, die im Zeichen Edgar Allan Poes immer wieder Türen zur Realität hinter der Realität zu öffnen versteht, wird durch die Sinnlichkeit der Liebesszenen zwischen Emmanuelle Béart und Jerzy Radziwilowicz noch profiliert. Dass Radziwilowicz sehr zurückhaltend, fast unbeteiligt seinen oftmals pathetischen Text „aufsagt“ oder große Gesten „absolviert“, gibt der Figur etwas Verzweifeltes, selbst wenn dadurch in Kauf genommen wird, dass man darüber rätselt, warum eine Schönheit wie Marie sich von einem Mann wie Julien angezogen fühlt. Aber diese etwas gespreizte Larmoyanz älterer Männer kennt man ja auch von Woody Allen und nicht zuletzt aus den Filmen, die Drehbuchautor Pascal Bonitzer selbst inszeniert hat (u.a. „Encore“, fd 32 617). Es ist jedenfalls nicht ohne Komik zu beobachten, wie Julien allmählich und ohne großen Widerstand die Kontrolle über sein Leben verliert und zum Objekt einer Intrige wird, das unvermittelt seine Manipulierbarkeit erkennen muss. Es ist ein absoluter Glücksfall, dass Rivette sich dieses liegen gebliebenen Stoffes – die Dreharbeiten von „Marie und Julien“ mit Albert Finney und Leslie Caron wurden 1975 nach nur drei Drehtagen abgebrochen, weil Rivette sich nach dem ökonomischen Desaster von „Unsterbliches Duell“ (fd 20024) eine depressive Auszeit von zwei Jahren gönnte – noch einmal angenommen hat. Heute wirkt sein Film fast wie eine Flaschenpost aus der Hoch-Zeit des europäischen Autorenfilms, womit sich die schillernde Doppelbödigkeit des Films selbstreflexiv potenziert.