Ässhäk - Geschichten aus der Sahara
Dokumentarfilm | Schweiz/Deutschland/Niederlande 2003 | 109 Minuten
Regie: Ulrike Koch
Filmdaten
- Produktionsland
- Schweiz/Deutschland/Niederlande
- Produktionsjahr
- 2003
- Produktionsfirma
- Catpics Coproductions/Pegasps/Artcam The Netherlands/
- Regie
- Ulrike Koch
- Buch
- Ulrike Koch
- Kamera
- Pio Corradi
- Schnitt
- Magdolna Rokob
- Länge
- 109 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Nach „Die Salzmänner von Tibet“ (fd 32 803) hat Ulrike Koch ihren ethnografischen Blick von Asien nach Nordafrika gelenkt, wo sie eine „neue Welt“ kennen lernte, die „viele Parallelen zu den Salzmännern“ aufweise. So erklärt es die Filmemacherin in einem Interview, das hier deshalb zitiert wird, weil es sich durchaus komplementär und aufschlussreich zu den Schwächen des Dokumentarfilms verhält. Wie schon im Falle der „Salzmänner von Tibet“ nähert sich Koch behutsam und voller Respekt einer fremden Welt, um eine gefährdete Kultur zu dokumentieren. Allerdings geschieht dies nicht „objektiv“, sondern im Bewusstsein des potenziellen Verlustes dieser Kultur, dem ein Bewusstsein des Defizitären der westlichen Kultur(en) korrespondiert. Ulrike Koch will eine Botschaft vermitteln: „Von nomadischen Kulturen können wir lernen, Realität und Achtsamkeit in Einklang zu bringen, im Bewusstsein, dass auch der Mensch nur ein Glied im großen Geschehen der Natur ist.“
„Ässhäk“ trägt schwer am Grundproblem des Exotismus: Der Film profitiert von der Fremdheit dessen, was (dem Zuschauer) gezeigt wird, postuliert aber gleichzeitig eine potenzielle Vergleichbarkeit der unterschiedlich komplexen Gesellschaften. Nur unter dieser Voraussetzung aber wären Lernprozesse möglich. Auf der Habenseite hat „Ässhäk“ atemberaubende Bilder der Wüste, Bilder des Nachthimmels über der bis zum Horizont reichenden Sandfläche und eine auf den ersten Blick erstaunliche Nähe zum Alltag der Tuareg. „,Ässhäk‘ und Gottesfurcht sind dasselbe“, erklärt der Erzähler El Hadj Ibrahim Tshibrit einmal. „Es bedeutet, alle Lebewesen zu achten.“ Wie diese spirituelle Einstellung den Alltag bis in Nuancen hinein gestaltet, fasst Koch in eindrucksvolle Bilder. Sie zeigt die permanente Sorge um die Tiere und das Feuer, enthüllt die geheimnisvolle Zeremonie des Teetrinkens, aber auch die Umstände einer Taufe. Sie lässt Frauen zu Wort kommen, die ihren Stolz über die matriarchale Kultur deutlich formulieren und sich mit leichtem Spott über die ausgestellte Verantwortung der Männer für die Karawanen mokieren. Sie zeigt auch den Schulbesuch der Kinder und die Schwierigkeiten, die es mitunter bereitet, Schule und Viehzucht im Alltag in Einklang zu bringen. Viele dieser Einzelbeobachtungen sind interessant und beeindruckend; vieles bleibt jedoch auch Stückwerk und mitunter rätselhaft, weil sich der Filmkonsequent jedes Off-Kommentars enthält. Dass das gefilmte Material durchaus „Sinn“ machen kann, belegt eine Sequenz, in der der Marabut etwas auf eine Holztafel schreibt, die Tinte abwäscht, die Flüssigkeit auffängt und in einen Behälter füllt. In der darauffolgenden Szene „klärt“ sich das Geschehen zumindest partiell auf, weil es sich um die Herstellung eines Heilmittels für eine von einer Geburt erschöpfte Frau handelt. „Ässhäk“ verfügt auch über eine sehr schöne Stelle, die ganz filmisch die konstatierte „andere Zeitlichkeit“ einzufangen versteht, wenn sehr besonnen und routiniert ein Wasserloch ausgehoben wird, damit ein Kamel getränkt werden kann. Hier wird deutlich, wie der Lebensrhythmus von den klimatisch-geografischen Verhältnissen bestimmt wird, in diesem speziellen Fall von den Bedürfnissen des überlebenswichtigen Tieres.
Andere Stellen jedoch bleiben blind, etwa wenn es auf der Tonspur (in den Untertiteln) unvermittelt heißt: „Der al Baraka-Segen entspricht der spirituellen Intelligenz einer Person.“ Mitunter rettet sich Koch in die Inszenierung und lässt die Figuren ihre Handlungen hölzern selbst erläutern, was dem Film unfreiwillig komische Momente („Wenn es kalt ist, hat man nicht solch einen Durst!“) beschert. Gleich zu Beginn „muss“ ein Nomade dem anderen etwas über die Natur des Kamels erzählen, was, selbstredend, auch ein Selbstbeschreibung (oder -zuschreibung?) des Utopisch-Nomadischen ist: „Kamele kennen keine Landesgrenzen. Sie folgen einfach einander und suchen Freunde.“ An anderer Stelle erzählen dann einzelne Figuren unvermittelt von der gerade überstandenen Dürre oder von der Bedeutung, die Straußenvögel in der Vorstellungswelt der Nomaden haben. Dieser unbekümmerte Einsatz inszenatorischer Momente – Koch leistet sich sogar eine Traumsequenz – ist die große Schwäche von „Ässhäk“, weil der Film seine eigene Präsenz nicht reflektiert. Immer wieder versuchen einzelne Frauen, sich dem Kamerablick zu entziehen. Andere Frauen wirken sehr gelöst vor der Kamera. Einmal sagt ein Mann, der sich einen Turban bindet, er wolle, falls es ihm misslinge, nicht gefilmt werden. Er wird gefilmt, wenn er das sagt. Was verrät eine solche Szene über den Status der Bilder, die in den Film gefunden haben? „Die Tuareg haben Geheimnisse, die sie für sich behalten“, heißt es einmal. „Ässhäk“ ist der beste Beweis für diese These. Solcherart irritiert, registriert man moderne Blechschüsseln oder wundert sich über die Herkunft der Plastikkanister, auf denen die Frauen einmal trommeln. Als der Nomade schließlich auf dem Markt landet und sich erneut nach seinem Kamel fragt, antworten ihm desinteressiert andere Tuareg, die sich selbst als „Autoleute“ bezeichnen. Koch: „Es gab Stimmen, die sagten, das darfst du nicht zeigen. (...) Tuareg, die schon lange in der Stadt leben, schätzen Autos und Funktelefone und können damit sehr gut umgehen.“ Doch werden diese Zivilisationsgegenstände wirklich, nur zu billigen Musikinstrumenten „verfremdet“? Was ist mit den „schon lange“ in den „lärmigen“ Städten lebenden Tuareg? Vielleicht hätte die Beantwortung solcher Fragen sich nicht so gut mit den zivilisationskritischen Romantizismen von „Ässhak“ vertragen. Man hat bisweilen den Eindruck, es hier weniger mit einer differenzierten Dokumentation als einer parteilichen Projektion zu tun zu haben. Ein letztes Indiz dafür, dass die sozial-politische Realität hier verdrängt wird: Durch den gesamten Film geistert das Stichwort „Rebellion“, doch was es damit auf sich hat, klärt sich filmimmanent nicht. Für Konflikte ist in diesem Modell eines gesellschaftlich fundierenden, allumfassenden Respekts kein Platz.