Ich kenn keinen - Allein unter Heteros

Dokumentarfilm | Deutschland 2003 | 99 Minuten

Regie: Jochen Hick

Dokumentarfilm über Homosexualität im ländlichen Schwaben, wobei vier Männer und ihr soziales Umfeld vorstellt werden. Erschreckend deutlich wird dabei, wie stark Homosexuelle noch immer diskriminiert werden, wobei der Regisseur seine Arbeitsthese eines starken Stadt-Land-Gefälles freilich kaum hinterfragt, was sich bereits in der Auswahl seiner Protagonisten dokumentiert. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Galeria Alaska/Hick & Hick
Regie
Jochen Hick
Buch
Jochen Hick
Kamera
Jochen Hick
Musik
Jan Tilman Schade · Klaus Wagner
Schnitt
Florian Köhler
Länge
99 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Die Extras beinhalten u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs.

Verleih DVD
Salzgeber (FF; DD2.0 dt.)
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Diskussion
Kennen Sie einen Schwulen? Mit dieser Frage im Gepäck reist Filmemacher Jochen Hick ins ländliche Schwaben. Glaubt man den abweisenden Antworten, die er erhält, scheint es dort so gut wie keine Homosexuellen zu geben. In seiner Dokumentation hat er dennoch ein paar gefunden: Vier Männer unterschiedlicher Generationen begleitet er in ihrem von Vorurteilen und Ausgrenzungen bestimmten Alltag sowie bei ihren gelegentlichen Fluchten aus dessen sozialer Enge. Da ist Hartmut, Mitte 50. Jahrzehntelang erzählte er am Stammtisch von seinen amourösen Abenteuern im Thailand-Urlaub, angeblich mit Mädchen, bis er HIV positiv getestet wurde und sich outete. Die Stammtischrunde hat ihn nicht ausgeschlossen, aber sie denkt sich ihren Teil, bei den meisten stößt er auf Unverständnis. Einer seiner Bekannten, ein Gemeinderat, bedauert Hartmuts „Krankheit“ und meint damit nicht nur das Virus. Dabei wirkt er keineswegs unsympathisch: ein gemütlicher Familienvater, nur eben überzeugt davon, dass Homosexualität nicht Gott gewollt sei; auch wenn ihm die Worte „homosexuell“ oder gar „schwul“ nicht über die Lippen wollen. Die Beiläufigkeit, mit der er seine diskriminierenden Thesen vertritt, ist frappierend. Intoleranz als Selbstverständlichkeit. Gleichzeitig trägt die bigotte Unbeholfenheit, mit der er das Wort meidet, durchaus amüsante Züge.

Über weite Strecken behält der Film diesen ambivalenten Ton zwischen Beklemmung und absurder Komik bei. Das dargestellte soziale Klima ist nicht gereizt, nicht hasserfüllt, sondern ignorant, sturköpfig verleugnend. Duldsam bis ins Unverständliche erscheinen bisweilen auch die porträtierten Schwulen selbst. Der junge Forstwirt Stefan, der noch bei seiner Mutter lebt, berichtet mit stoischer Gelassenheit von den nationalsozialistisch eingefärbten Anfeindungen, die ihm sein um sieben Jahre verzögertes Outing im Kollegenkreis eingebracht habe. Bei den „Heteros“ ist von solch aggressivem Rechtsradikalismus kaum etwas zu spüren. Am liebsten würden sie das Schwulsein überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen. Lange geschwiegen hat auch der 1924 geborene Richard, dessen Jugend in die Zeit des Nationalsozialismus fiel und für den der legendäre Züricher „Kreis“ die einzige Gelegenheit bot, Gleichgesinnte zu treffen. Geoutet hat er sich außerhalb des Films nie, und um das Wort „schwul“ macht er einen fast so großen Bogen wie der Gemeinderat. Eine Parallele, die nachdenklich stimmt, nicht nur, weil sie zeigt, wie sehr manch einer aus der älteren Schwulen- Generation die Tabuisierung verinnerlicht hat, sondern auch, weil sie charakteristisch ist für die Auswahl der heterosexuellen Gesprächspartner: Menschen jenseits der 50, aktive Kirchenmitglieder, nur halbherzig ergänzt durch einen Lehrer und einen Arzt.

Gleich zu Beginn formuliert Hick seine These: In der Stadt haben sich die Schwulen etabliert, aber auf dem Land herrschen noch finstere Zeiten. Bei der Auswahl der Interviewpartner scheint er wenig geneigt, dieses Vorurteil auf die Probe zu stellen. Die meisten Schwulen, so konstatiert er, ziehen irgendwann in die Stadt. Was aber ist mit denen, die zurückbleiben? Hicks Reportage zeichnet sie als Gefangene, als im doppelten Sinne Zurückgebliebene. Auch der 37-jährige Uwe wohnt noch bei seiner Mutter. Er hat ein Faible für Militärklamotten und reist hin und wieder nach Berlin, um sich dort auszuleben. Programmatisch kontrastiert Hick großstädtische Offenheit mit ländlicher Verstocktheit, begleitet Uwe auf seiner Berlin- Reise ebenso wie Hartmut beim Thailand-Urlaub. Aber alles, was nicht in seine Ausgangsthese passt, lässt er unberührt. Die Nonchalance, mit der er über Hartmuts Sextourismus berichtet, wird fahrlässig dadurch, dass er an anderen Stellen geradezu penetrant nachhakt. Zum Beispiel mag er nicht gelten lassen, dass jemand keinen Schwulen kennen will, und versteigt sich zur Frage, woher man denn überhaupt wisse, dass es Schwule gäbe. Dass der etwas ruppige Schnitt des Films wenig mehr präsentiert als eine simple Gesprächscollage und die sachlich-journalistische Bildsprache kaum Kinoformat hat, ist angesichts der thematischen Bedeutsamkeit der Dokumentation zu vernachlässigen; störender ist, dass es Hick zu selten gelingt, den Blick des Städters abzulegen und das (schwule) Leben auf dem Lande in seinem ganzen Spektrum darzustellen. Umgekehrt hätte er jenseits urbaner Szene-Ghettos und anonymer Spielräume auch an großstädtischen Stammtischen die Grenzen heterosexueller Toleranz veranschaulichen können. Seine Eingangsthese ist somit nur bedingt haltbar. Dennoch zeigt Hick eindrucksvoll, wie alltäglich die Diskriminierung Homosexueller in Deutschland nach wie vor ist und wie tief Vorurteile noch verankert sind.

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