„Es heißt, Japan sei durch das Schwert entstanden, erbaut durch ein paar tapfere Männer.“ Der epische Ton des Erzählers macht gleich in den ersten Sekunden klar, dass hier an die archaischen Tugenden einer weit zurückliegenden, von einer Kriegerkaste dominierten Vergangenheit erinnert werden soll. „Last Samurai“ ist ein Film, der fragt, was einen Helden überhaupt zum Helden macht; und die Antworten, die er darauf gibt, sind uneindeutiger als man vermuten möchte. Daran allerdings, dass man Helden braucht – und auch dies ist bezeichnend für die Tendenzen des Gegenwartskinos –, lässt der Film keinen Zweifel. Bereits Edward Zwicks letzter Film „Ausnahmezustand“
(fd 33 478) konfrontierte das US-Publikum sowohl mit einigen unangenehmen Seiten der eigenen Geschichte und Gegenwart als auch mit einer (gemessen an den Regeln des Mainstream-Kinos) ambivalenten Form der Fremdheitserfahrung. Damals ging es um eine Attentat-Serie in New York und deren Folgen, vor allem für die arabischstämmige US-Bevölkerung. In der Rückschau ist der Film geradezu prophetisch, nimmt er doch die Ereignisse des 11.September 2001 und den daraufhin ausgerufenen „War against Terror“ präzise vorwegnimmt. In Zwicks neuem Film steht die Begegnung eines Amerikaners mit einer fremden Kultur und die daraus folgende Infragestellung der eigenen Traditionen noch stärker im Zentrum. „Last Samurai“ ist fraglos Hollywood-Action, die sich ans breite Publikum richtet und seinem Star Tom Cruise eine großzügige Plattform bietet. Aber es ist ein Film, der sein Thema ernst nimmt, und im Rahmen seiner Möglichkeiten differenziert und variantenreich mit ihm umgeht – mehr als bloße Unterhaltung.
Angesiedelt ist die Geschichte im Jahr 1876 zur Zeit der Meji-Reform. Nathan Algren ist ein US-Captain, der im Bürgerkrieg und in den Indianerkriegen kämpfte und nun, als traumatisierter Trinker, Ausbilder der kaiserlichen Armee in Japan ist. Diese befindet sich im Bürgerkrieg mit den Samurai, die die radikale Modernisierungspolitik des Kaisers bekämpfen, weil dabei alte Traditionen hemmungslos geopfert werden. Bald kommt es zum ersten Gefecht mit den Samurai, die zwar ohne Feuerwaffen kämpfen, der Armee aber durch Todesmut und Taktik haushoch überlegen sind. Algren wird von dem Samurai-Führer Katsumoto gefangen genommen und in die Berge verschleppt, wo dieser seinen „neuen Feind kennen lernen“ will. Die Gestalt des Katsumoto und die Darstellung der Samurai- Rebellion orientieren sich grob an tatsächlichen Geschehnissen der Jahre 1876/77. Damals kam es zum blutigsten Konflikt, den Japan in mehr als zwei Jahrhunderten erlebt hatte, als die vom Kaiser ihrer Privilegien beraubten Samurai unter Führung des legendären Saigõ Takamori in einer letzten Schlacht untergingen. Nach actionreichem Auftakt beschreibt der Film sensibel und ohne allzu viele Zugeständnisse die allmähliche Annährung des Amerikaners an seine Bewacher. Es ist ein umfassender Lernprozess, in dem Algren durch Zen-Philosophie, Kampftechnik, viel Tee und noch mehr Spaziergänge an frischer Luft wieder zu sich findet. Man kann es als kulturelle Eitelkeit empfinden, wenn aus dem westlichen Soldaten binnen eines Winters ein hervorragender Samurai- Krieger wird, der zudem leidlich Japanisch spricht und viele Werte des alten Japans verinnerlicht hat. Doch umgekehrt ist dies ein Film, der eine fremde Kultur als der westlichen zumindest ebenbürtig beschreibt. Algren lehrt nicht, sondern er lernt, und der Zuschauer mit ihm Neugier auf und Achtung vor fremden, zunächst schwer verständlichen Kulturen. Man kann sogar aktuelle Parallelen ziehen: Gewiss sind die Samurai unmodern und „fundamentalistisch“. Zwick zeichnet ein idealisiertes, harmonisches Bild ihrer Kultur und des japanischen Landlebens, ein Auenland für Erwachsene. Die Schattenseiten des Samurai-Daseins bleiben weitgehend unsichtbar. Von der Verniedlichung reaktionärer Modernitätsfeindschaft abgesehen, gibt Zwick auch nur ein einseitiges Bild der Gründe der Rebellion. Man wird Zeuge der Demütigung, als einem Samurai öffentlich die Haare geschoren werden. Unerwähnt bleibt dagegen, dass es in diesem Konflikt schlicht um den Verlust eigener Macht ging, der Privilegien, mit denen die Samurai Jahrhunderte lang das Land dominiert hatten. Vielleicht wird hier auch das Kämpfen für eine verlorene Sache, eine inhärente Todessehnsucht unangemessen verherrlicht.
Um so kritischer geht der Film mit den USA um. In Dialogen und den Albträumen, die Algren vor allem anfangs plagen, erinnert Zwick an brutale Vernichtungskriege gegen die Indianer, an den Mord an Frauen und Kindern – zwar nur in verwaschenem Weichzeichner, aber trotzdem klar und scharf in der Aussage. Auch in der Inszenierung stand der Western Pate, die Samurai funktionieren wie die Indianer in „Der mit dem Wolf tanzt“ (fd 28 748). In den kaiserlichen Beratern und Offizieren, den wahren Barbaren, die ihre Ziele menschenverachtend verfolgen, ist bereits der Faschismus zu ahnen, der 50 Jahre später in Japan an die Macht kam. Schonungslos zeigt der Film auch den Zynismus der amerikanischen Waffenhändler, Militärs und korrupten Diplomaten, die die Japaner als „Wilde“ verachten und eigene imperialistische Interessen verfolgen. Stilistisch bietet der Film atemberaubendes Kino; in den besten Momenten verschmelzen Kurosawa-Bilder mit einem Old-School-Studiostil. Die Inszenierung der Kampfszenen ist technisch herausragend, bleibt aber auch in punkto Martial Arts immer westlich, darin ganz anders als zuletzt „Kill Bill“ (fd 36 195). Kameramann John Toll gelingen hochemotionale, bewegende Bilder, bezwingend im Wechsel zwischen Ruhe und Dynamik – gutes Kino eben. Man kann über viele Aspekte der Geschichte streiten, die sowohl reaktionäre als auch liberale Lesarten zulässt. Zweifellos aber begegnet Zwick der fremden japanischen Kultur mit großer Offenheit und viel Sympathie. Damit wächst sein Film über sich selbst hinaus und wird repräsentativ für einen allgemeinen Trend: dem neuen Interesse Hollywoods an Fernost, der Hinwendung zum pazifischen Westen – ob im Stil von „Kill Bill“ oder ganz anders in „Lost in Translation“ (fd 36 315). „Last Samurai“ geht einen dritten Weg – er ist schön, ernst und so klug, wie Mainstream- Kino eben auch sein kann.