Die Helfer und die Frauen

Dokumentarfilm | Deutschland 2003 | 80 Minuten

Regie: Karin Jurschick

Eine engagierte Recherche in Bosnien und im Kosovo entlarvt die Hintergründe des Frauenhandels und der Prostitution in der Region, die mit der Stationierung von SFOR-Truppen und deren harten Geldwährungen ins Land kamen. Betroffen sind vorwiegend Frauen aus Moldawien, der Ukraine und Rumänien, die verschleppt oder unter Vorspiegelung falscher Tatsachen rekrutiert wurden. Der Film zeigt die hilflosen Bemühungen übergeordneter Behörden, der importierten Schattenwirtschaft Herr zu werden, und lässt Betroffene zu Wort kommen. Aufrüttelnder Dokumentarfilm mit einer mitunter verwirrenden Vielfalt von Fakten. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Karin Jurschick Filmprod./ZDF/3sat
Regie
Karin Jurschick
Buch
Karin Jurschick
Kamera
Rainer Komers · Karin Jurschick
Schnitt
Antje Schäfer · Bettina Böhler
Länge
80 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
In ihrem vielfach prämierten Dokumentarfilmdebüt „Danach hätte es schön sein müssen“ (fd 34 928) spürte Karin Jurschick der eigenen Familiengeschichte nach, einer Kindheit in den 1960er- und 1970er-Jahren, die sich zur Chronik einer männlich dominierten Gesellschaft verdichtete. Im Zentrum des Films, der sich nur vordergründig mit dem Vater beschäftigte, standen jedoch die Frauen, Mutter und Tochter, die in fest gefügte Hierarchien eingepasst werden sollten. Jurschicks neuer Film, „Die Helfer und die Frauen“, weitet den Blick, bleibt dem feministischen Anspruch der Regisseurin aber treu, indem er auf erschreckende Weise einen Ausschnitt einer männlich dominierten Welt sichtbar macht, in der Frauen die Opferrolle zugedacht ist. Es geht um (Zwangs-) Prostitution und Menschenhandel, Verschleppung und Verdinglichung, um eine (nicht nur) in Südosteuropa blühende Schattenwirtschaft, die unter dem viel sagenden Namen „Trafficking“ aktenkundig geworden ist. Die Krisenherde der modernen Welt belegen, dass sich dort, wo Geld aus westlichen Ländern kursiert, fast zwangsläufig auch die Prostitution etabliert, da die meist noch ärmeren Anrainer-Staaten an den Versuchen des wirtschaftlichen Aufbaus dieser Regionen partizipieren wollen – auch wenn es die eigenen Frauen sind, die anstelle anderer Wirtschaftsgüter getauscht werden.

Das ist auch in Bosnien bzw. im Kosovo passiert, als die SFORTruppen zur Friedenssicherung stationiert und Freihandelszonen etabliert wurden, die das Land mit Dollar und Mark überschwemmten. Frauen aus Moldawien, der Ukraine oder Rumänien wurden in die zunächst US-dominierten Clubs gebracht, meist gegen ihren Willen oder unter falschen Versprechungen; später bestimmte die D-Mark, lange „offizielles“ Zahlungsmittel in der Region, den Wert einer Frau. Heute rekrutiert sich das Gros der Kunden nicht mehr aus den Mitgliedern von SFOR-Einheiten oder anderen UN-Delegationen, sondern aus Einheimischen. Die Sicherheitsbehörden geben sich keiner Illusion hin, woher deren Geldmittel stammen – ehrlich erworben sind sie in den seltensten Fällen.

Die Regisseurin zeichnet diesen skandalösen Kreislauf ebenso minutiös wie engagiert nach, befragt Vertreter der übergeordneten UN-Behörden, die Leiterin des S.T.O.P.-Teams, die helfen soll, das Unheil wieder rückgängig zu machen; Kriegsgewinnler, die sich mit speziellen Statements Ausflüchte verschaffen wollen, überforderte Mitglieder der lokalen Polizei, betroffene Frauen, deren erschütternde Äußerungen als Insert auf Schwarzfilm eingeblendet werden. Und sie besucht Dörfer in Moldawien, in denen viele der unter 40-Jährigen verschleppt wurden, während nur einige wenige „freiwillig“ in der Prostitution einen Ausweg suchten, da „Armut weiblich ist“ und die Familien ernährt werden müssen.

„Die Helfer und ihre Frauen“ ist ein aufrüttelnder Film, der exemplarisch beschreibt, was sich in vielen Orten jederzeit wiederholen kann und wiederholt wird (aktuelles Beispiel: Kabul). Dabei handelt er nicht nur von der Hilflosigkeit der Opfer, sondern auch von der der Behörden, die zur Vertuschung neigen und kaum einen Ausweg sehen; dem Dilemma, dass mit dem westlich finanzierten Aufbau der Infrastruktur auch die sexuelle Ausbeutung in ihrer schlimmsten Form wie eine Seuche eingeschleppt wird, stehen sie hilflos gegenüber. Die aufklärerische Wirkung des Films wird auch durch die inflationäre Verwendung von NATO/UN-Kürzeln nicht verwässert; wer weiß schon den Unterschied zwischen SFOR, KFOR/S.T.O.P./ IPTF und IOM zu erklären, wenn man sich nicht ähnlich intensiv mit dem Thema auseinander gesetzt hat wie die Regisseurin? Durch ihren faktenreichen Eifer unterliegt sie allerdings dem Trugschluss, der Zuschauer wäre auf gleichem Wissensstand, was den Gebrauchswert des sensibel recherchierten, aber energisch nachfragenden Films etwas mindert. Damit allerdings muss wohl jeder Dokumentarfilm, der sich komplexer Zusammenhänge annimmt, leben.

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