Porträt der Schweizer Ärztin Elisabeth Kübler-Ross, die in den 1960er-Jahren in den USA beruflich Fuß fasste, durch Sterbebegleitung und -forschung von sich reden machte und das Berufsbild ihres Standes veränderte. Der thematisch interessante Dokumentarfilm lässt die mittlerweile bettlägerige Frau weitgehend unkommentiert zu Wort kommen und befragt ihre beiden Drillingsschwestern sowie ihre Mitarbeiterinnen. Trotz aller Nähe entsteht der Eindruck, dass die Ärztin dem Regisseur eher fremd geblieben ist, während die nicht unumstrittene Frau selbst, die den Tod als Teil des Lebens erfahrbar machen wollte, noch nicht bereit ist loszulassen.
- Ab 16.
Elisabeth Kübler-Ross - Dem Tod ins Gesicht sehen
- | Schweiz 2002 | 98 Minuten
Regie: Stefan Haupt
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Filmdaten
- Originaltitel
- ELISABETH KÜBLER-ROSS - DEM TOD INS GESICHT SEHEN
- Produktionsland
- Schweiz
- Produktionsjahr
- 2002
- Produktionsfirma
- Fontana/Stefan Haupt/SF DRS/Idée Suisse
- Regie
- Stefan Haupt
- Buch
- Stefan Haupt
- Kamera
- Christian Davi · Jann Erne · Patrick Lindenmaier
- Musik
- Klaus Wiese · Peter Landis
- Schnitt
- Stefan Kälin
- Länge
- 98 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Externe Links
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Heimkino
Diskussion
In der Schweiz ist sie weltberühmt, ihre Fangemeinde verehrt die 76-Jährige noch bis heute. Mit 23 Ehrendoktortiteln ist sie wahrscheinlich die akademisch meist ausgezeichnete Frau der Welt – und dennoch ist Elisabeth Kübler-Ross bei all ihren Verdiensten nicht unumstritten. Die Ärztin, Wissenschaftlerin und Autorin versuchte in den 1960er-Jahren als Sterbebegleiterin und -forscherin, das Sterben ins Bewusstsein der Lebenden zu holen, den Sterbenden die Angst zu nehmen und den Überlebenden die Trauerarbeit zu erleichtern. Ihr 1969 erschienener Bericht „On Dead and Dying“ („Interviews mit Sterbenden“) trug dazu bei, den (längst tabuisierten) Umgang mit dem Tod als Teil des Lebens erfahrbar zu machen, revolutionierte zudem das Krankenwesen, aus dessen Bewusstsein der Tod verdrängt zu werden drohte: Ärzte sahen ihre Aufgabe im Heilen, die Auseinandersetzung mit dem Tod wurde von vielen mit Kapitulation und Versagen gleich gesetzt. Die 1926 in Zürich geborene Elisabeth Kübler-Ross machte in den USA eine stets argwöhnisch beäugte Karriere; heute lebt sie in der Wüste von Arizona. Nach mehreren Schlaganfällen ist sie ans Bett und an den Rollstuhl gefesselt. Ganz entscheidend hat Kübler-Ross die Hospiz-Bewegung beeinflusst, Impulse zur Sterbebegleitung gegeben und in zahllosen Vortragsreisen den Tod zu enttabuisieren versucht. Nun steht sie selbst an dessen Schwelle, doch die Frau, die sich ins Licht sehnt, scheint selbst nicht loslassen zu können.
Der Schweizer Stefan Haupt besucht seine Landsmännin in ihrem abgeschiedenen Ein-Personen-Hospiz in der Wüste und findet eine geistig rege Gesprächspartnerin vor, die Rede und Antwort über ihre mäandernde Karriere steht und nie den Eindruck erweckt, das (Gesprächs-)Heft aus der Hand zu geben. Im Gegenteil, die sichtlich sieche Elisabeth Kübler-Ross ist der Chef im Ring, bilanziert die Sonnenseiten ihres Lebens, unterstreicht ihre (wissenschaftlichen) Erfolge, blockt Fragen nach Scheitern und Irrwegen ab. So weiß Kübler-Ross, die über die ermordeten Kinder des Konzentrationslagers Majdanek zu ihrer Berufung fand und ihr Leben in späteren Jahren Kindern in aller Welt widmete, faszinierend über ihre Nahtod-Forschungen zu sprechen, die angstfreie Reise ins Licht, die Sterbende immer wieder beschreiben; über ihre esoterischen Geist-Forschungen, in deren Verlauf sie wohl Scharlatanen aufgesessen ist, schweigt sie sich indes aus.
Der interessante Film erhellt den familiären Hintergrund durch Gespräche mit den beiden Drillingsschwestern, den beruflichen durch Interviews mit ehemaligen Mitarbeitern. Dabei geht Haupt streng chronologisch vor; er beschreibt die Mädchenjahre in Zürich ebenso wie die Zeit als Assistenzärztin in Amerika und den sensationellen Durchbruch, der letztlich zur Trennung von ihrem Ehemann Manny führte. Die Beziehung zu dem gut aussehenden Arzt, den auch die Schwestern verehren, wurde der Berufung geopfert. Manny kümmerte sich um die beiden gemeinsamen Kinder, Elisabeth blieb den Sterbenden verbunden. Der Dokumentarfilm bettet seine Protagonistin auf ihre wohl verdienten Lorbeeren, ohne sie und ihre Leistungen freilich wirklich zu hinterfragen. Haupt, der 2001 mit seinem beispiellosen Spielfilmdebüt „Utopia Blues“ beeindruckte, hinterlässt hier den Eindruck eines paralysierten Kaninchens, das noch so viel hätte (hinter-)fragen wollen, wenn man ihn nur gelassen hätte. (Die Autobiografie von Kübler-Ross gibt da wesentlich mehr her.) Auch filmisch findet er keinen rechten Zugriff, verschneidet Interview-Szenen mit Archivmaterial sowie Aufnahmen der Schwestern und den Mitarbeitern, wobei immer der Eindruck bleibt, dass ihm Elisabeth Kübler-Ross bei aller Nähe doch fremd geblieben ist. Immerhin gelingt es ihm, diese Distanz in Nähe umzumünzen: durch zahlreiche Fahraufnahmen durch die Wüste Arizonas, die allesamt am Domizil Kübler-Ross’ enden – optisch verfremdete Bilder einer unwirtlichen Landschaft, die keinen Zweifel daran lässt, dass der Tod das letzte Wort zu sagen hat. Haupt sucht nach den letzten Bildern, und immer wieder tauchen Einstellungen auf, die an „Prospect Cottage“ bei Dungeness erinnern; und damit ist der Zuschauer dann im Garten angelangt, bei Derek Jarman, dem einzigen Filmgärtner, der seinen nahenden Tod in Einklang mit einer unwirtlichen Natur zu bringen vermochte, der die Ruhe fand, Abschied zu nehmen. Davon scheint die Sterbeforscherin, die längst nicht mehr forscht, weit entfernt.
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