Historias Minimas

- | Argentinien/Spanien 2002 | 92 Minuten

Regie: Carlos Sorin

Zwei Männer unterschiedlichen Alters und eine junge Frau brechen unabhängig voneinander im patagonischen Hinterland Argentiniens aus jeweils individuellen Gründen auf, um in der Provinzhauptstadt ihr Glück zu suchen. Episodisches Road Movie über die Träume einfacher Menschen, das die unwirtlich anmutende Landschaft als metaphorischen Hintergrund nutzt, um mit einer schlichten, mitunter skurrilen Haltung von Hoffnungen zu erzählen, die sowohl von Lebensfreude als auch von Melancholie geprägt sind. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
HISTORIAS MINIMAS
Produktionsland
Argentinien/Spanien
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Cuacamole/Nirvana/Wanda Visión
Regie
Carlos Sorin
Buch
Pablo Sorin
Kamera
Hugo Colace
Musik
Nicolas Sorin
Schnitt
Mohamed Rajiid
Darsteller
Javier Lombardo (Roberto) · Antonio Benedictis (Don Justo) · Javiera Bravo (Maria Flores) · Francis Sandoval (Marias Baby) · Carlos Montero (Losa)
Länge
92 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
„Historias Minimas“ (Kleinste Geschichten) ist ein Road Movie aus dem tiefsten Süden Argentiniens. Mehrere tausend Kilometer unterhalb von Buenos Aires treten zwei Männer und eine Frau unabhängig voneinander ihren individuellen Weg an, der sie über Hunderte von Kilometern zu einem neuen Lebensabschnitt führen soll. Patagonien, die raue weite Landschaft im Süden des lateinamerikanischen Subkontinents, ist eine beliebte Projektionsfläche der argentinischen Literatur sowie des Films, für Bilder der Selbstfindung und Selbstbestimmung des Individuums in einer kargen, unwirtlichen, von Wind und Wetter beherrschten Einöde. Häufig steht die Landschaft zwischen Wind, Wolken und Gezeiten als Kontra- und Fluchtpunkt der hektischen Metropole Buenos Aires gegenüber. In seinem dritten Spielfilm zeichnet der Argentinier Carlos Sorin ein alltägliches und unmittelbares Bild der Region und webt drei Reisen ineinander, an deren Ausgangspunkten ganz unterschiedliche Intentionen und Sehnsüchte stehen: Der 80-jährige Don Justo hat sein Leben an der großen Landstraße verbracht. Seine Bar wird längst von seinem Sohn geleitet, sein Lebensabend vergeht in friedlicher, eintöniger Unmündigkeit. Eines Tages erzählt ein Reisender, er habe seinen vor Monaten entlaufenen Hund in der Provinzhauptstadt San Julián gesehen. Der alte Mann mit dem verschmitzten Gesicht verlässt heimlich sein Haus und tritt den 400 Kilometer langen Weg per Autostop an – mit Lastwagenfahrern, deren Schicksale und Wege sich über Jahrzehnte mit seinem eigenen Leben gekreuzt haben. Immer wieder verbindet Sorin die räumliche Weite mit lokaler, ortsgebundener, fast provinzieller Geborgenheit, und im Lauf der Reise wird deutlich, dass für Don Justo die Suche nach seinem Hund nur ein Vorwand für eine Suche nach der verlorenen Zeit ist; der Versuch, an alte Lebensfäden anzuknüpfen, letztlich auch eine Vorbereitung auf den nahenden Tod. Tiere und Objekte verkörpern die Sehnsüchte der Protagonisten. Ist es bei Don Justo der entlaufene Hund, führt Roberto, ein 40-jähriger Handlungsreisender, in seinem PKW ein sperriges Gepäck mit sich: eine große Geburtstagstorte in Form eines Fußballs aus Marzipan und Zuckerguss. Es handelt sich um ein Geschenk für den Sohn einer Kundin, einer jungen attraktiven Witwe, in die er sich verliebt hat. Roberto hat seinen Plan nach der Strategie seiner Verkaufshandbücher ausgearbeitet: Der unerwartete Besuch und das opulente Geschenk sollen die Frau so beeindrucken, dass sie seinen Heiratsantrag annehmen wird. Aber Roberto hat nicht mit den Tücken patagonischer Landstraßen gerechnet. Auch die 25-jährige Maria macht sich auf die Reise, allerdings im Autobus und mit ihrer kleinen Tochter. Sie hat kaum Geld, um Essen zu kaufen, ist verschuldet und lebt in ärmlichen Verhältnissen. Aber sie wurde für einen Fernsehwettbewerb ausgewählt, ein Quiz, bei dem als Hauptgewinn ein Küchenroboter winkt. Maria träumt von der Stadt und ihrem großen Fernsehauftritt; was sie mit einem Küchenroboter in einem Haus ohne Stromanschluss will, fällt dabei nicht ins Gewicht. Drei Menschen auf dem Weg über die Landstraße von Fitz Roy nach Puerto San Julián, drei Geschichten mit unterschiedlichem Erzähltempo und unterschiedlicher Intensität. Ihre Wege kreuzen sich, aber zielstrebig zieht jeder von ihnen seiner eigenen Illusion hinterher. Der Film zeichnet seine Haupt- und Nebenfiguren liebevoll bis ins Detail: den Alten, der immer wieder um heißes Wasser für seinen Mate-Tee bittet, den Vertreter in seiner nervösen Umständlichkeit und Maria in der Hektik des improvisierten Fernsehstudios. „Historias Minimas“ handelt von den Träumen einfacher Menschen, und das schlicht, skurril, melancholisch, aber auch mit Humor; ein Film über die Absurdität und die Notwendigkeit persönlicher Träume und Verrücktheiten, erzählt in fließendem, unbeschwertem Rhythmus. Sorin zeigt Patagonien jenseits pathetischer Landschaftsmetaphern und nimmt für seine Einwohner ein, wobei die Verwurzelung der Menschen in der Landschaft ein Gegenpol zu den hektischen und sterilen Bildern des Fernsehens ist, das Sorin als eines der schlimmsten Übel gerade in den abgelegenen Regionen geißelt. In dieser subtilen Kontrastierung lebt der Film von der menschlichen Zeichnung der Charaktere, die überwiegend mit Laien besetzt sind. Dabei beeindruckt der leise, unspektakuläre Film durch die feinen Zwischentöne sowie die Mischung aus Lebensfreude und Melancholie, die von zutiefst menschlichem Optimismus in einem nur auf den ersten Blick unwirtlichen Umfeld geprägt ist.
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