Schwarz, in China keineswegs die Farbe der Trauer, steht am Anfang und am Ende. Dazwischen erstrahlt die Leinwand in Rot, Blau, Weiß und Jadegrün, man begegnet fünf Schwertkämpfern und einem Fürsten, Helden allesamt, wie es der Titel in Aussicht stellt. In jeder anderen Hinsicht aber strotzt Zhang Yimous neuer Film nur so von Unerwartetem. Er entfesselt ein filmisches Feuerwerk an Überraschungen, eine Bilderorgie voller filmischer Einfälle, Witz und Stilisierungswille. Selten ist ein Film dem Ideal der „reinen“ Bewegung so nahe gekommen wie „Hero“, ein märchenhaftes Drama, das pathetisch und sinnlich, leidenschaftlich und geheimnisvoll zugleich ist. Es beginnt mit einer alten Legende. Sie führt zurück ins dritte Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, in die „Epoche der sieben kämpfenden Reiche“ (ca. 230-221 v.Chr.), kurz vor der Einigung Chinas unter König Chin Shi Huang Di, dem legendären Herrscher von Qin, der mit dem Bau der chinesischen Mauer begann. Doch auch wenn Zhang seine Geschichte zu einem sehr exakten historischen Zeitpunkt ansiedelt, ist der Stoff nicht historisch verbürgt, sondern eine von vielen Legenden. Chen Kaiges „Der Kaiser und seine Attentäter“
(fd 34 005) hatte 1998 eine ähnliche Sage aufgegriffen. Auf bei „Hero“ geht es um den Versuch mutiger Attentäter, den Tyrannen zu töten. Diese tragen so poetische Namen wie „Broken Sword“ oder „Flying Snow“ und sind zu allem bereit. Im Unterschied zu Chen versucht Zhang jedoch nicht, das Verhalten der Attentäter politisch oder psychologisch zu motivieren. Vielmehr befreit er seine Geschichte vom historischen Ballast, indem er den Stoff inhaltlich wie formal ins Zeichenhafte transformiert und die Figuren symbolisch umreißt. „Hero“ ist deshalb eine zeitlose Parabel über den Einzelnen und die Macht, über Liebe und Verrat, darüber, was man sich selbst, den anderen und dem Staat schuldig ist.
Die Handlungsstruktur ist von kristallklarer Einfachheit: Ein namenloser Held kommt an den Hof von Qin und erklärt, dass er die drei gefährlichsten Feinde des Herrschers getötet habe. Als Beweis zeigt er deren Waffen vor. Nun möchte er die vom König ausgesetzte Belohnung in Empfang nehmen, zu der auch die Gunst gehört, sich dem Regenten bis auf zehn Schritte nähern zu dürfen. Dieser verlangt aber zunächst eine genaue Schilderung, wie der Unbekannte die legendären Kämpfer besiegt habe. In drei großen, immer wieder durch Dialogpassagen zwischen König und dem Unbekannten unterbrochenen Rückblenden stellen diese Erzählungen die eigentliche Handlung des Films dar. Indem die Geschichte in vier, miteinander verschachtelten, zugleich einander fortführenden und ergänzenden, kaleidoskopartig gebrochenen, sich kritisierenden und gelegentlich auch aufhebenden Varianten ein und desselben Geschehens erzählt wird, erinnert „Hero“ stark an Kurosawas „Rashomon“ (fd 1875). Hier wie dort geht es um die Einsicht, dass „Wahrheit“ relativ und perspektivenabhängig ist. „Hero“ führt die Aporien jeder Geschichtsschreibung vor Augen, indem er immer neue Versionen eines Geschehens anbietet, und die damit die Wahrheit, die er erst gerade schuf, sogleich wieder zerstört.
Auch stilistisch erinnert „Hero“ in vielem an Kurosawa. Vielleicht liegt dies neben der formalisierten Erzählweise auch am Set- und Kostüm-Design von Emi Wada, die 1985 für „Ran“
(fd 25 529) einen „Oscar“ gewann. Doch auch die bildgewaltig choreographierten Massenszenen erinnern an Kurosawas Spätwerk. Das Faszinierendste aber sind Zhangs Inszenierung der Martial-Arts-Kämpfe und sein Einsatz der Farben. Auch Zhang betritt mit diesem Werk Neuland. Viele Inszenierungsformen und Gesten werden ausprobiert, ohne freilich ausgereizt zu werden. Technisch absolut auf der Höhe der Zeit, sind die Kämpfe von einer Leichtigkeit, die Menschen und mit ihnen den Film fliegen lässt. Zärtlich kreist Christopher Doyles Kamera um die Gesichter der Darsteller, Maggie Cheung und Tony Leung, Jet Li und Zhang Ziyi, und fängt ein Zucken der Mundwinkel ebenso ein wie eine einsame Träne, die die Wange hinunterrinnt. Jede Episode erhält durch eine dominante Farbe ihren emotionalen Grundton – grob skizziert: Rot für die Leidenschaft der Liebe, Blau für romantische Entsagung, Weiß, in China Farbe des Todes, für das Opfer. Nur Gelb fehlt bezeichnenderweise nahezu vollständig. Es steht in China für die Macht des Kaisers. Wenn man Zhangs Farbdramaturgie ernst nimmt, schränkt dies den Vorwurf ein, der Regisseur habe mit „Hero“ seinen Kotau vor den Pekinger Machthabern vollzogen. Im Gegenteil: Man kann „Hero“ durchaus als Fabel über Widerstand und Selbstbehauptung lesen, als Darstellung eines Machthabers, der das Gesetz über die eigene Souveränität stellt, sich wissentlich in Gefahr begibt, überzeugen will, nicht überreden oder einschüchtern. So bleibt die Botschaft des Films, der schon jetzt der erfolgreichste der chinesischen Filmgeschichte ist und in Zhangs Heimat für handfesten politischen Streit sorgte, gewollt ambivalent: Sie kann fatalistisch wie optimistisch verstanden werden, als verstecktes Plädoyer für Widerstand wie als Anbiederung. Unübersehbar ist freilich der Versuch, mit filmischen Mitteln einen ästhetischen Zivilisationsmythos zu begründen, eine Poesie des höheren Zwecks, der auf Konzentration und der Schönheit von Gesten beruht. Wenn „Hero“ argumentiert, dass die gute Handlung auch schön sei, und dabei auf die Attraktivität der Eindeutigkeit setzt, ist dies eine konservative Botschaft, die durchaus nicht im Widerspruch zu europäischen Kultur steht.
Vor allem anderen aber will „Hero“ eine handwerklich brillant erzählte elegische Heldensage aus mythisch-vorgeschichtlicher Zeit sein, ein essentiell romantisches Luftballett, das bei aller Opulenz und Inszenierungskunst einer archaischer Einfachheit huldigt. In seiner pathetischen, wohldosierten Übertreibung ist der Film trotzdem in jedem Moment eine große Oper und einer der Höhepunkte des Martial-Arts-Genres. Zhang „malt“ mit Menschen auf der Leinwand, wobei er auf die Logik ebensowenig Rücksicht nimmt wie auf die Schwerkraft, indem er Traum, Gefühl und Bewegung zu einem einzigartigen, zeitlosen Zauber verschmilzt.