Verloren im Irak

- | Iran 2002 | 97 Minuten

Regie: Bahman Ghobadi

Ein kurdischer Vater begibt sich an der Grenze zwischen Iran und Irak mit seinen beiden erwachsenen Söhnen auf die Suche nach seiner früheren Frau, die in Not geraten ist. Als Road Movie angelegt, beschreibt der Film die Situation der kurdischen Bevölkerung Ende der 1980er-Jahre, die von den Soldaten Saddam Husseins mit Bomben- und Giftgasangriffen tyrannisiert wird. Im Verlauf der Reise werden die gelegentlich durchaus auch komischen Erlebnisse immer mehr von den tragischen Momenten verdrängt. Dank der geschickt angelegten Dramaturgie, einer pointierten Kameraarbeit und nicht zuletzt der Darsteller ein ebenso unterhaltsamer wie informativer Film über eine Region im Brennpunkt politischer Ereignisse. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
GOMGASHTEI DAR ARAGH | MAROONED IN IRAQ (SONGS FROM MY MOTHERLAND)
Produktionsland
Iran
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Mijfilm
Regie
Bahman Ghobadi
Buch
Bahman Ghobadi
Kamera
Saed Nikzat
Musik
Arsalan Kamkar
Schnitt
Hayedeh Safyari
Darsteller
Fa'eq Mohamadi (Barat) · Allah-morad Rashtiani (Audeh) · Shahab Ebrahimi (Mirza) · Iran Ghobadi (Hanareh)
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Sie wirken wie ein sich wunderbar ergänzendes Komiker-Paar; so, als hätte Aki Kaurismäki seine Leningrad Cowboys in kurdische Gewänder gesteckt und nach einem Drehbuch von Emir Kusturica abermals in die Fremde geschickt. Doch Fa’eq Mohamadi als Barat und Allah-morad Rashtiani als dessen Bruder Audeh erleben in diesem Road Movie von Bahman Ghobadi eine Reise, die einen ungleich ernsteren und realistischeren Hintergrund hat. „Verloren im Irak“ spielt Ende der 1980er-Jahre, kurz nach dem Krieg zwischen dem Iran und dem Irak. Das kurdische Volk, das diesseits und jenseits der Grenzen der verfeindeten Staaten lebt, bekommt mit Giftgasangriffen und Flugzeug-Bombardements den ganzen Zorn des irakischen Diktators zu spüren. Ein Strom von Menschen bewegt sich im Norden Iraks auf die Grenze zu, Flüchtlingscamps ersetzen notdürftig die zerstörten Dörfer. Ghobadi beginnt den Film zwar gleich mit dem Lärm unsichtbarer Kampfjets, und doch ist die Grundstimmung zunächst von skurrilen Momenten und ausgelassener Situationskomik geprägt. Barat, markant mit immensem Schnauzer und ständig mit cooler Sonnenbrille auf der Nase, ist im iranischen Teil Kurdistans mit seinem geliebten Motorrad plus Beisitzer auf dem Weg zu seinem Bruder und ihrem Vater Mirza, einem berühmten Musiker. Dieser hat erfahren, dass seine frühere, noch immer geliebte Frau Hanareh, die ihn vor 23 Jahren ausgerechnet wegen seines besten Freundes verließ, im iranisch-irakischen Grenzgebiet in Not geraten ist und seine Hilfe benötigt. Der alte Mann muss seine ganze Wortgewalt und List aufbringen, um seine Söhne dazu zu bewegen, mit ihm gemeinsam die gefährliche Reise anzutreten. Besonders Audeh leistet als Mann von sieben Frauen und 13 Töchtern – der erhoffte Sohn wurde ihm immer noch nicht geschenkt – lange Widerstand. Parallel zur Handlung richtet Ghobadi den Blick immer auch auf die Lebensumstände der Menschen, vermeidet aber geschickt folkloristische Aperçus. Besonders in solchen Momenten tritt die lakonisch-pointierte Kameraarbeit von Saed Nikzat aus dem Schatten der reinen Story heraus, etwa wenn sie den Frauen bei der beschwerlichen Herstellung von Ziegeln zuschaut und die Montage dabei den Rhythmus der Arbeit unterstreicht, ja ihn gleichsam zum Puls des Lebens selbst überhöht. Von Camp zu Camp folgt man schließlich dem Gespann aus Vater und Söhnen. Immer auf der Suche nach Hinweisen auf den letzten Aufenthalt von Hanareh – immer ein Stück zu spät, um sie selbst noch vorzufinden –, werden sie in unterschiedlichste Abenteuer verwickelt. Eine unter merkwürdigen Vorzeichen stattfindende Hochzeit liefert dabei den willkommenen Anlass, um einen musikalischen Auftritt einzubinden. Später wird ihnen das Motorrad von einer Diebesbande gestohlen, was ein Intermezzo auf einem vollgeladenen Lastwagen möglich macht. So unterhaltsam und kurzweilig sich diese Odyssee ausnimmt, so ist doch unverkennbar, dass mit zunehmender Dauer die Stimmung bedrückendere Züge annimmt. Selbst die Landschaft wird immer abweisender, karge Bergflächen, Schnee und Eis bestimmen im letzten Drittel des Films die Bilder. Nun wird man auch nicht nur Ohren-, sondern auch Augenzeugen der Bombardements irakischer Flugzeuge, der Schrecken ist den Flüchtlingen direkt ins Gesicht geschrieben. Der alte Mirza wird den letzten Teil seines Weges allein zurücklegen, um seine Söhne zu schützen, die, jeder auf seine Weise, inmitten des Unglücks sogar ihr persönliches Glück finden dürfen. Aber auch Mirzas Reise wird nicht folgenlos bleiben; er wird sogar gleich mehrfach fündig werden, ohne sich dessen allerdings bewusst zu sein. Nach „Die Zeit der trunkenen Pferde“ (fd 35 110) über den Überlebenskampf kurdischer Kinder und nun mit „Verloren im Irak“ ist Ghobadi fast schon zu einer Art cineastischer Botschafter seines Volkes geworden. Tatsächlich bieten seine Filme die großartige Gelegenheit, jenseits wenig-minütiger Fernsehberichte Einblicke in das Schicksal eines Volkes zu gewinnen – und das auf nie belehrende oder larmoyante, sondern höchst unterhaltsame Weise. Dass der bereits im Frühjahr 2002 fertiggestellte Film, der das Leid der Kurden unter Saddam Hussein schildert, jetzt in die deutschen Kinos kommt, mag manchem als nachträgliche Rechtfertigung für den zurückliegenden Krieg dienen; doch gerade für eine solche Argumentation ist dieser Film, der Menschen in den Mittelpunkt stellt, sich jeder Schwarz-weiß-Malerei enthält und mit keinem Wort das irakische Volk als solches angreift, denkbar ungeeignet.
Kommentar verfassen

Kommentieren